Schnürt der Bund bald ein neues Monster-Hilfspaket? Eine Milliarde Franken sollen angeschlagene Firmen erhalten. So viel Geld fordern Härtefall-Betroffene aus Tourismus, Event- oder der Konzertbranche. Die bislang von Bund und Kantonen versprochenen 400 Millionen reichten niemals aus.
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Darf man bestimmte Betriebe hängen lassen oder nicht? Corona-Finanzspritzen sind der grosse Zankapfel in der SRF-Arena. Ins rhetorische Gefecht steigen SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, SVP-Nationalrat Thomas Matter, Grüne-Nationalrat Gerhard Andrey und Peter Grünenfelder von Avenir Suisse. Weiter mit dabei sind Jan Egbert Sturm von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH sowie Epidemiologe Marcel Salathé.
Für die grossen Emotionen in der Arena sorgt für einmal aber die zweite Gästereihe. Food-Truck-Unternehmerin Samira Luna Doberer erlebt am eigenen Leib, was die Corona-Misere bedeutet. Denn weil alle Events verboten sind, muss ihr Apéreo-Mobil in der Garage bleiben. Dementsprechend leer bleibt die Kasse.
Als Notlösung hat sie während des Lockdowns einen Onlineshop und sogar einen Hofladen eröffnet. Diese Einnahmen sind aber für die Familie Doberer nur einen Tropfen auf den heissen Stein. Für sie ist die theoretische Diskussion der Bundespolitiker über Corona-Härtefälle darum ein Hohn: «Es stehen so viele Familien vor dem Aus. Innovative Unternehmen werden an die Wand gefahren. Mit einem Erwerbsersatz von 1000 bis 2000 Franken pro Monat kommt man in der Schweiz einfach nicht durch», sagt sie mit tränenerstickter Stimme und blickt zu SVP-Vertreter Matter.
Der betont, dass man das Gewerbe weiter unterstütze. Die Gelder müssten jetzt rasch zu den Betrieben fliessen. «Der Staat hat Lockdown verursacht, also muss er finanziell gerade stehen. Aber langfristig kann der Bund die Wirtschaft nicht ersetzen», so der Zürcher Banker.
Wenn die Realität auf die Politik trifft, ist das so eine Sache. Das gilt auch für den zweiten Exponenten aus der zweiten Reihe, Christoph Stampfli von Unabhängigkeitspartei «Up! Schweiz». Der libertäre Polit-Querulant gibt mächtig Gas: Er enerviert sich ob der andauernden Kurzarbeit. Man bezahle Milliarden, damit gesunde Leute zuhause auf dem Sofa herumsitzen würden. «Wir sind in der grössten Staatsausweitung seit dem 2. Weltkrieg.» Das sei absoluter Wahnsinn. Man werde noch Jahrzehnte dafür büssen und eine Staats-Regulierung erleben, die nie mehr weggehe.
Man könne jetzt nicht über Jahre Geschäftsmodelle verbieten und andere begünstigen. «Wer die beste Lobby hat, bekommt am meisten Geld zugesprochen. Das kann es einfach nicht sein», so Stampli. Viele Reisebüros beispielsweise seien schon vor Corona am Darben gewesen. Jetzt würden sie sich mit Staatsunterstützung noch höher verschulden, aber später dennoch Konkurs gehen.
SP-Vizepräsidentin Badran sagt zuerst einmal gar nichts zu den Voten von Stampfli und denkt nach. Sie sieht durchaus ein «Quäntchen Wahrheit» in den Aussagen des Provokateurs. In der Tourismusbranche gebe es Überkapazitäten. Sie warnt aber vor Tatenlosigkeit: «Unternehmen haben derzeit keinen Handlungsspielraum. Ein Strukturwandel darf nicht von heute auf morgen passieren.» Diesen Prozess müsse man begleiten. Viele Firmen würden mit Ach und Krach die Pleite herausschieben. «Es gehen gerade viele Lebensträume kaputt. Wir werden eine Konkurswelle erleben», warnt Badran.
Muss der Staat jeden Betrieb auf Teufel komm raus retten? «Natürlich nicht», meint auch der Grüne Audrey. Die Reserven seien bei vielen Unternehmen nach der 1. Welle aufgebraucht. «Das Kartenhaus ist zusammengebrochen.» Die Nervosität bei den betroffenen Firmen werde immer grösser, so der Freiburger IT-Unternehmer, der in seinem ersten Arena-Auftritt wie ein TV-Routinier spricht. Es brauche nun ein unbürokratisches Härtefallprogramm. «Betroffene sollen nicht tagelang Formulare ausfüllen müssen, um ein paar Brotkrümel zu erhalten.»
Vom «süssen Gift des Etatismus» spricht Peter Grünenfelder, Direktor Avenir Suisse. Er wehrt sich gegen zusätzliche Gelder. Es brauche für das Gewerbe keine Härtefall-Regelung, sondern mehr Parkplätze in den Innenstädten. «Nach der Corona-Krise kommt bestimmt die nächste Krise.» Darum müsse man weiterhin auf bewährte Mittel wie die Kurzarbeit setzen.
Was sagt aber einer, der es wirklich wissen muss? KOF-Leiter Egbert Sturm betont, dass die Schweiz während dem ersten Lockdown mit dem Covid-Kreditprogramm wirtschaftlich vieles richtig gemacht habe. Nun stehe man in der zweiten Welle vor einer ähnlichen Situation wie im Frühling. Viele Firmen liefen in Gefahr, in Solvenzprobleme zu schlittern. «Wir brauchen allgemeine Massnahmen, damit die Unternehmen tatsächlich schnelle Unterstützung erhalten.» Ob dies neue Covid-Kredite oder ein Härtefallprogramm sein sollen, lässt der ETH-Forscher offen .
Die entscheidende Frage bei all diesen Diskussionen ist sowieso: Wie lange dauert die ganze Corona-Krise noch an? Trotz der sinkenden Fallzahlen will Epidemiologe Salathé noch nicht von einer Trendwende sprechen. Dazu müssten die Fallzahlen langfristig runtergehen, nicht nur eine Woche lang. «Wir müssen alles dafür tun, dass wir nicht in eine Jojo-Phase geraten, wo die Fallzahlen wieder steigen», so Salathé weiter. Doch der Virologe sieht nicht zuletzt wegen den jüngsten Erfolgsmeldungen bei den Impfstoffen ein Licht am Ende des Corona-Tunnels. «Wir stehen am Anfang vom Ende», gibt sich Salathé hoffnungsvoll.
Wie alle hofft auch SVP-Nationalrat Thomas Matter, dass in wenigen Monaten die Rückkehr zur Normalität beginnen kann. «Eine Bevölkerung, die nicht mehr arbeiten kann, wird krank und verarmt», warnt er.
Selbst wenn bald Härtefall-Gelder fliessen sollten, ist das längst nicht für alle Betroffene die Rettung. Denn diese sollen bloss zehn Prozent des Jahresumsatzes ausmachen. «Macht euch nicht allzuviel Hoffnung. Es ist bloss ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber mehr konnten wir nicht mehrheitsfähig machen», resümmiert SP-Badran etwas frustriert.