Es war ein ziemliches Hin und Her, bis die Parteien wussten, welche Position sie bei der Abstimmung zur einheitlichen Finanzierung der Leistungen (EFAS) vertreten wollen. Inzwischen ist klar: SVP, FDP, Mitte und GLP sprechen sich für ein Ja aus. Die Grünen enthalten sich. Auf alleinigem Posten steht die SP mit ihrer Nein-Parole.
In der SRF-«Arena» kam es deshalb zu einem ungewohnten Duell: SP gegen SP. Genauer gesagt:
gegen
Daneben waren im Studio:
Von Anfang an liegt eine Spannung in der Luft. Als Erstes muss sich Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider im Eins-zu-eins den Fragen von Moderator Mario Grossniklaus stellen. Es wird der angenehmste Teil der Sendung für sie gewesen sein. Und Baume-Schneider scheint sich dessen bewusst.
Sie lässt sich nicht zu Versprechen verleiten. Auf die Frage, ob die EFAS die Krankenkassenprämien senken würde, sagt Baume-Schneider wie aus der Pistole geschossen: «Nein.» Aber die Prämien würden «weniger steigen». Ein Satz, der angesichts der jährlichen Hiobsbotschaften bereits optimistisch stimmen kann.
Baume-Schneider hält fest: «Die Reform bringt Antworten. Aber sie ist kein Wunderprodukt.» Sie könne nicht alle Probleme im Gesundheitswesen beheben. Es brauche noch ganz viele andere Reformen. Aber:
Dieser erste Schritt hat 14 Jahre gedauert. Die Kinder, die in jenem Jahr zur Welt kamen, in dem die damalige CVP-Nationalrätin Ruth Humbel den Vorstoss zur EFAS einreichte, werden nächsten Sommer ihre Lehre beginnen. Dass Baume-Schneider einen optimistischen Ton anschlagen will, ist da verständlich. Aber leider ist es mit dem Optimismus umgehend vorbei, kaum hat sie ihren Platz im Podium auf der Pro-Seite eingenommen.
Der VPOD vertritt als Gewerkschaft die Angestellten im öffentlichen Dienst und hat das Referendum gegen die EFAS ergriffen. Warum, hat VPOD-Generalsekretärin Natascha Wey in der Sendung schnell zusammengefasst:
Darum befürchte sie, dass mit der EFAS die Krankenkassenprämien langfristig steigen würden. Sie würde aber auch den Druck auf das Gesundheitspersonal und die Versicherten erhöhen. Bei ersteren befürchtet Wey verschlechterungen in den Arbeitbedingungen, bei letzteren, dass sie sich gezwungen sähen, ihren Selbstbehalt und ihre Franchise hochzusetzen. Die Parole des VPOD in diesem Abstimmungskampf lautet deshalb: Die EFAS ist eine Mogelpackung der Lobbyisten.
SP-Vizepräsident David Roth stimmt in diese Parole ein. Ohne Rücksicht auf seine Bundesrätin:
Während sich alle anderen Akteure im Gesundheitswesen nun zufrieden verabschiedeten, lasse man die Prämienzahlenden allein zurück.
Wer zahle, bestimme, ist Roth überzeugt. Mit der EFAS finde «eine derartige Machtverschiebung» zu privaten, profitorientierten Unternehmen statt, das sei «unglaublich».
Baume-Schneider rutscht heraus:
Es geht weiter mit den Zahlen. Auch hier werden sich Baume-Schneider und Roth nicht einig. Baume-Schneiders Departement hat berechnet, dass die EFAS die Prämien um bis zu zwei Milliarden Franken pro Jahr entlasten wird. David Roth glaubt diesen Prognosen nicht.
Er zückt demonstrativ ein Blatt Papier, das er vor der Sendung mit einem roten Balkendiagramm bedruckt hat. Dann liest er ab, in welchen Kantonen die Krankenkassenprämien mit der EFAS unmittelbar steigen würden: Zürich, Bern, Luzern. Insgesamt 17 Kantone seien es, wie das Nein-Komitee mit Zahlen des Bundes berechnet habe.
Roth sagt: «Diese Prognosen, die der Bund jetzt mit der Verschiebung zur ambulanten Behandlung macht, sind sehr hypothetisch.» Es sei völlig unklar, ob sie eintreten werden.
Baume-Schneider hat ihre Stimme wieder gefunden: «Man kann schon von den Zahlen sprechen. Aber man muss den ganzen Kontext sehen.» Und mit erhobenem Zeigefinger fügt sie in Roths Richtung an:
Die Berechnungen, mit denen Roth auf 17 Kantone komme, basierten auf Zahlen von 2016 bis 2019. Sie seien veraltet. «Das sind Ihre Zahlen», wirft Roth ein. Baume-Schneider – jetzt sichtlich erregt – entgegnet: «Ja, das sind unsere Zahlen. Aber Ihre Prognosen sagen darum nur aus, wie die Situation gewesen wäre, wäre die EFAS 2019 in Kraft getreten.»
Seither hätten ambulante Behandlungen zugenommen. Mit diesen neuen Zahlen als Basis komme der Bund zu einem anderen Schluss:
Zahlen sind Baume-Schneiders wunder Punkt. Besonders in dieser Woche, in welcher der Chef ihres Bundesamts für Sozialversicherung (BSV) seinen Rücktritt angekündigt hat. Im August hatte er vor den Medien zugeben müssen, dass dem BSV im Vorfeld zur Abstimmung über die 13. AHV ein gravierender Rechenfehler unterlaufen war. Der Bund hatte ein um 14 Milliarden Franken grosses Defizit in der AHV bis 2033 prognostiziert. Korrekt wäre gewesen: 4 Milliarden.
Baume-Schneider hatte umgehend eine Administrativuntersuchung angeordnet. Die Ergebnisse davon liegen noch nicht öffentlich vor. Tatsache ist aber: Das Vertrauen in die Berechnungen des Bundes – insbesondere jene des EDI unter Baume-Schneider – hat gelitten. Und das anscheinend auch innerhalb der SP.
So entgegnet Roth der Bundesrätin:
Es wäre nicht das erste Mal, dass das EDI seine Zahlen im Nachhinein anpassen müsse.
Diesen Angriff kann Baume-Schneider nicht auf sich sitzen lassen. Wieder schiesst ihr Zeigefinger in die Luft. «Herr Roth, ich schätze Sie sehr», beginnt sie. Aber:
Roth wirft ein: «Aber hat es!» – «Ja, es hat!», entgegnet Baume-Schneider. «Aber es hat nichts, absolut nichts mit dieser Abstimmung zu tun. Ich finde das unkorrekt!»
Baume-Schneider wiederholt, dass Roths Zahlen veraltet sind. Aber hier stellt ihr die deutsche Sprache ein Bein. Statt «veraltet» bringt sie nur «Zahlen aus der Vergangenheit» heraus. Roth kann es nicht lassen, einzuwerfen: «Ihre Zahlen sind auch aus der Vergangenheit.»
Das bringt Baume-Schneider nur noch mehr in Rage. «Es ist unkorrekt zu sagen: ‹Elisabeth Baume-Schneider würde immer so einen Zahlensalat machen.›» Das stimme einfach «absolut nicht».
Roth schüttelt den Kopf, ist nicht überzeugt. Moderator Grossniklaus versucht Baume-Schneider die Hand zu reichen: «Würden Sie sagen, es sind nach diesen neuen Berechnungen von Ihnen noch immer Kantone von steigenden Prämien betroffen?» Baume-Schneider sagt nicht «Ja». Sie sagt auch nicht «Nein». Sie sagt auch keine Zahl. Sie entgegnet nur: «Sehr wenige. Fast keine.»
Was heisst das? Das würde auch Grossniklaus gerne wissen und hakt nach. Es folgt eine ohrenbetäubende Stille im Studio. Roth beugt sich gespannt vor. Das Publikum horcht auf. Aber Baume-Schneider weiss die Antwort nicht. Sie sagt nur nochmals: «Sehr wenige. Sicher. Sehr wenige Kantone.»
Aha. Roth schüttelt enttäuscht den Kopf. Es hätte so ein gewichtiges Argument gegen das Nein-Lager werden können. Doch von Baume-Schneider kommt einfach nichts.
Dieses Nichts lässt die Gegner der Reform deutlich besser dastehen als zu Beginn der Sendung. Es ist kein gutes Omen für eine Reform, die seit 2010 in Diskussion ist. Am Ende dieser «Arena» kann man sich zu Recht fragen, ob über die einheitliche Finanzierung auch noch diskutiert wird, wenn die Kinder mit EFAS-Jahrgang bereits selbst hohe Krankenkassenprämien bezahlen.
Natascha Wey, VPOD-Generalsekretärin
Danke, genau das dachte ich auch, die Kantone entledigen sich der Kosten.