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Abstimmung zur EFAS: Bundesrätin kämpft in der Arena gegen eigene Partei

SRF-Abstimmungsarena zur einheitlichen Finanzierung der Stationären und Ambulanten Gesundheitsbehandlungen
In der Abstimmungs-«Arena» zur einheitlichen Finanzierung der Gesundheitskosten duellierten sich SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider und SP-Nationalrat David Roth.Bild: srf arena
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In der EFAS-«Arena» glaubt SP-Roth dem «Zahlensalat» seiner eigenen Bundesrätin nicht

Nach dem peinlichen AHV-Rechenfehler ihres Bundesamts sind Zahlen für Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ein wunder Punkt. Darauf ritt ausgerechnet Parteikollege David Roth in der Abstimmungs-«Arena» zur einheitlichen Finanzierung im Gesundheitswesen herum.
26.10.2024, 05:4926.10.2024, 13:47
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Es war ein ziemliches Hin und Her, bis die Parteien wussten, welche Position sie bei der Abstimmung zur einheitlichen Finanzierung der Leistungen (EFAS) vertreten wollen. Inzwischen ist klar: SVP, FDP, Mitte und GLP sprechen sich für ein Ja aus. Die Grünen enthalten sich. Auf alleinigem Posten steht die SP mit ihrer Nein-Parole.

In der SRF-«Arena» kam es deshalb zu einem ungewohnten Duell: SP gegen SP. Genauer gesagt:

  • SP-Bundesrätin und Vorsteherin des Departements des Innern (EDI) Elisabeth Baume-Schneider

gegen

  • SP-Vizepräsident und Luzerner Nationalrat David Roth

Daneben waren im Studio:

  • Patrick Hässig, GLP-Nationalrat (ZH) und Pflegefachmann
  • Lukas Engelberger, Mitte-Regierungsrat (BS) und SGK-Präsident (Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz)
  • Natascha Wey, Generalsekretärin Gewerkschaft VPOD (Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste)
  • Marta Lehmann, SP-Grossstadträtin (LU) und ehemalige Pflegefachfrau
Die EFAS in Kürze, anhand eines Beispiels
Frau Muster muss für einen kleineren operativen Eingriff ins Spital. Nach der OP muss sie sich zwei Tage erholen, ist auf Pflege angewiesen und benötigt eine ärztliche Nachkontrolle. Diese zwei Tage könnte Frau Muster entweder stationär, also im Spital, verbringen oder aber ambulant, also bei sich zu Hause, wo sie von der Spitex betreut und für die Nachkontrolle einen Termin im Spital wahrnehmen würde.
Ob stationär oder ambulant macht für Frau Muster heute finanziell einen Unterschied. Denn: Für stationäre Behandlungen muss der Kanton zu mindestens 55 Prozent aufkommen, den Rest übernimmt die Krankenkasse. Bei ambulanten Behandlungen übernimmt heute die Krankenkasse den grösseren Anteil der Kosten, der Kanton muss hier nur etwas weniger als die Hälfte übernehmen. Aufgrund dieser Ausgangslage entscheidet sich Frau Muster für den Spitalaufenthalt. Dieser verursacht für das Gesundheitswesen zwar mehr Kosten. Da Frau Muster aber sowohl eine hohe Franchise als auch einen hohen Selbstbehalt bei ihrer Krankenversicherung hat, kommt für sie die stationäre Behandlung günstiger.
Das Parlament will deshalb das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) so anpassen, dass die Finanzierung bei allen Behandlungsarten, ob ambulant oder stationär, gleich ist. Und zwar nach diesem Schlüssel: mindestens 26,9 Prozent der Kosten sollen fortan die Kantone übernehmen, den Rest (max. 73,1 %) die Krankenkassen.

Von Anfang an liegt eine Spannung in der Luft. Als Erstes muss sich Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider im Eins-zu-eins den Fragen von Moderator Mario Grossniklaus stellen. Es wird der angenehmste Teil der Sendung für sie gewesen sein. Und Baume-Schneider scheint sich dessen bewusst.

Sie lässt sich nicht zu Versprechen verleiten. Auf die Frage, ob die EFAS die Krankenkassenprämien senken würde, sagt Baume-Schneider wie aus der Pistole geschossen: «Nein.» Aber die Prämien würden «weniger steigen». Ein Satz, der angesichts der jährlichen Hiobsbotschaften bereits optimistisch stimmen kann.

Bundesrätin Baume-Schneider: «EFAS ist kein Wunderprodukt»

Video: srf/arena

Baume-Schneider hält fest: «Die Reform bringt Antworten. Aber sie ist kein Wunderprodukt.» Sie könne nicht alle Probleme im Gesundheitswesen beheben. Es brauche noch ganz viele andere Reformen. Aber:

«Die Vorlage ist ein erster Schritt, der zeigt, dass wir unser Gesundheitswesen reformieren können.»
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider

Dieser erste Schritt hat 14 Jahre gedauert. Die Kinder, die in jenem Jahr zur Welt kamen, in dem die damalige CVP-Nationalrätin Ruth Humbel den Vorstoss zur EFAS einreichte, werden nächsten Sommer ihre Lehre beginnen. Dass Baume-Schneider einen optimistischen Ton anschlagen will, ist da verständlich. Aber leider ist es mit dem Optimismus umgehend vorbei, kaum hat sie ihren Platz im Podium auf der Pro-Seite eingenommen.

Die Angst vor steigenden Prämien

Der VPOD vertritt als Gewerkschaft die Angestellten im öffentlichen Dienst und hat das Referendum gegen die EFAS ergriffen. Warum, hat VPOD-Generalsekretärin Natascha Wey in der Sendung schnell zusammengefasst:

«Weil sie für uns zu grosse Risiken birgt. Weil sie aus unserer Sicht ein Machwerk der Gesundheitslobby ist. Weil die Krankenversicherer ihre Interessen durchgesetzt haben. Weil die Kantone die Gelegenheit beim Schopf gepackt haben und sich von den steigenden Kosten in der Langzeitpflege befreit haben.»
Natascha Wey, VPOD-Generalsekretärin

Natascha Wey: «Der Druck steigt»

Video: srf/arena

Darum befürchte sie, dass mit der EFAS die Krankenkassenprämien langfristig steigen würden. Sie würde aber auch den Druck auf das Gesundheitspersonal und die Versicherten erhöhen. Bei ersteren befürchtet Wey verschlechterungen in den Arbeitbedingungen, bei letzteren, dass sie sich gezwungen sähen, ihren Selbstbehalt und ihre Franchise hochzusetzen. Die Parole des VPOD in diesem Abstimmungskampf lautet deshalb: Die EFAS ist eine Mogelpackung der Lobbyisten.

SP-Vizepräsident David Roth stimmt in diese Parole ein. Ohne Rücksicht auf seine Bundesrätin:

«Am Schluss löst man zwar einen Teil der Probleme, aber nicht das Hauptproblem: die steigenden Prämien.»
SP-Vizepräsident David Roth

Während sich alle anderen Akteure im Gesundheitswesen nun zufrieden verabschiedeten, lasse man die Prämienzahlenden allein zurück.

Wer zahle, bestimme, ist Roth überzeugt. Mit der EFAS finde «eine derartige Machtverschiebung» zu privaten, profitorientierten Unternehmen statt, das sei «unglaublich».

David Roth: «Das ist eine Machtverschiebung»

Video: srf/arena

Baume-Schneider rutscht heraus:

«Immer diese Machtsache!»
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider

Damit ist das SP-Battle eröffnet

Es geht weiter mit den Zahlen. Auch hier werden sich Baume-Schneider und Roth nicht einig. Baume-Schneiders Departement hat berechnet, dass die EFAS die Prämien um bis zu zwei Milliarden Franken pro Jahr entlasten wird. David Roth glaubt diesen Prognosen nicht.

Er zückt demonstrativ ein Blatt Papier, das er vor der Sendung mit einem roten Balkendiagramm bedruckt hat. Dann liest er ab, in welchen Kantonen die Krankenkassenprämien mit der EFAS unmittelbar steigen würden: Zürich, Bern, Luzern. Insgesamt 17 Kantone seien es, wie das Nein-Komitee mit Zahlen des Bundes berechnet habe.

Roth sagt: «Diese Prognosen, die der Bund jetzt mit der Verschiebung zur ambulanten Behandlung macht, sind sehr hypothetisch.» Es sei völlig unklar, ob sie eintreten werden.

David Roth traut Baume-Schneiders Prognosen nicht

Video: srf/arena

Baume-Schneider hat ihre Stimme wieder gefunden: «Man kann schon von den Zahlen sprechen. Aber man muss den ganzen Kontext sehen.» Und mit erhobenem Zeigefinger fügt sie in Roths Richtung an:

«Das wissen Sie genau!»
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider

Die Berechnungen, mit denen Roth auf 17 Kantone komme, basierten auf Zahlen von 2016 bis 2019. Sie seien veraltet. «Das sind Ihre Zahlen», wirft Roth ein. Baume-Schneider – jetzt sichtlich erregt – entgegnet: «Ja, das sind unsere Zahlen. Aber Ihre Prognosen sagen darum nur aus, wie die Situation gewesen wäre, wäre die EFAS 2019 in Kraft getreten.»

Seither hätten ambulante Behandlungen zugenommen. Mit diesen neuen Zahlen als Basis komme der Bund zu einem anderen Schluss:

«Die Prämien sinken ab 2032 in den meisten Kantonen.»
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider

Baume-Schneider: «Lassen Sie mich diese Zahlen erklären!»

Video: srf/arena

Zahlen sind Baume-Schneiders wunder Punkt. Besonders in dieser Woche, in welcher der Chef ihres Bundesamts für Sozialversicherung (BSV) seinen Rücktritt angekündigt hat. Im August hatte er vor den Medien zugeben müssen, dass dem BSV im Vorfeld zur Abstimmung über die 13. AHV ein gravierender Rechenfehler unterlaufen war. Der Bund hatte ein um 14 Milliarden Franken grosses Defizit in der AHV bis 2033 prognostiziert. Korrekt wäre gewesen: 4 Milliarden.

Baume-Schneider hatte umgehend eine Administrativuntersuchung angeordnet. Die Ergebnisse davon liegen noch nicht öffentlich vor. Tatsache ist aber: Das Vertrauen in die Berechnungen des Bundes – insbesondere jene des EDI unter Baume-Schneider – hat gelitten. Und das anscheinend auch innerhalb der SP.

So entgegnet Roth der Bundesrätin:

«Wenn Ihre Zahlen, je näher wir den Abstimmungen kommen, immer besser werden, sollten die Menschen skeptisch werden!»
SP-Vizepräsident David Roth

Es wäre nicht das erste Mal, dass das EDI seine Zahlen im Nachhinein anpassen müsse.

Diesen Angriff kann Baume-Schneider nicht auf sich sitzen lassen. Wieder schiesst ihr Zeigefinger in die Luft. «Herr Roth, ich schätze Sie sehr», beginnt sie. Aber:

«Ich finde es eine Schande, wenn Sie sagen: ‹Es hat schon viele Schwierigkeiten mit Zahlen gegeben.›»
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider

Roth wirft ein: «Aber hat es!» – «Ja, es hat!», entgegnet Baume-Schneider. «Aber es hat nichts, absolut nichts mit dieser Abstimmung zu tun. Ich finde das unkorrekt!»

Baume-Schneider: «Das finde ich unkorrekt!»

Video: srf/arena

Baume-Schneider wiederholt, dass Roths Zahlen veraltet sind. Aber hier stellt ihr die deutsche Sprache ein Bein. Statt «veraltet» bringt sie nur «Zahlen aus der Vergangenheit» heraus. Roth kann es nicht lassen, einzuwerfen: «Ihre Zahlen sind auch aus der Vergangenheit.»

Das bringt Baume-Schneider nur noch mehr in Rage. «Es ist unkorrekt zu sagen: ‹Elisabeth Baume-Schneider würde immer so einen Zahlensalat machen.›» Das stimme einfach «absolut nicht».

Baume-Schneider und ihr «Zahlensalat»

Video: srf/arena

Roth schüttelt den Kopf, ist nicht überzeugt. Moderator Grossniklaus versucht Baume-Schneider die Hand zu reichen: «Würden Sie sagen, es sind nach diesen neuen Berechnungen von Ihnen noch immer Kantone von steigenden Prämien betroffen?» Baume-Schneider sagt nicht «Ja». Sie sagt auch nicht «Nein». Sie sagt auch keine Zahl. Sie entgegnet nur: «Sehr wenige. Fast keine.»

Was heisst das? Das würde auch Grossniklaus gerne wissen und hakt nach. Es folgt eine ohrenbetäubende Stille im Studio. Roth beugt sich gespannt vor. Das Publikum horcht auf. Aber Baume-Schneider weiss die Antwort nicht. Sie sagt nur nochmals: «Sehr wenige. Sicher. Sehr wenige Kantone.»

Aha. Roth schüttelt enttäuscht den Kopf. Es hätte so ein gewichtiges Argument gegen das Nein-Lager werden können. Doch von Baume-Schneider kommt einfach nichts.

Dieses Nichts lässt die Gegner der Reform deutlich besser dastehen als zu Beginn der Sendung. Es ist kein gutes Omen für eine Reform, die seit 2010 in Diskussion ist. Am Ende dieser «Arena» kann man sich zu Recht fragen, ob über die einheitliche Finanzierung auch noch diskutiert wird, wenn die Kinder mit EFAS-Jahrgang bereits selbst hohe Krankenkassenprämien bezahlen.

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N. Y. P.
26.10.2024 06:21registriert August 2018
«Weil sie für uns zu grosse Risiken birgt. Weil sie aus unserer Sicht ein Machwerk der Gesundheitslobby ist. Weil die Krankenversicherer ihre Interessen durchgesetzt haben. Weil die Kantone sich von den steigenden Kosten in der Langzeitpflege befreit haben.»
Natascha Wey, VPOD-Generalsekretärin

Danke, genau das dachte ich auch, die Kantone entledigen sich der Kosten.
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Medical Device
26.10.2024 07:41registriert Januar 2021
mal ohne SVP Dampfplauderis war es angenehm der Diskussion zu folgen. Nur weiss ich immer noch nicht was ich stimmen soll. Nach 14 Jahren ein Revision zu versenken ist schon nicht so gut und die Gleichstellung zwischen ambulant und stationär im Kostenschlüssel macht Sinn. Nur die Langzeitpflege ist so ne Wundertüte.... Warum muss man immer alles zusammenpacken statt laufend kleinere Teile reformieren...
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Aldous Huxley
26.10.2024 08:32registriert Oktober 2022
Seit Beginn des KVG Obligatoriums weis jeweils keiner wie sich das Kind entwickelt, versprochen wurden Spareffekte bekommen haben wir keine. Eigentlich weiss jedoch jeder Vollpfosten in diesem Land was geschieht wenn der Kunde vor dem Selbstbedienungsbuffet steht und so richtig zulangen darf, es artet aus. Mit dem Kunden meine ich jetzt nicht nur den Patienten sondern jeden Teilnehmer am Gesundheitsspiel, die Kassen, die Ärzte, die Pharma, die Politik und auch die Hilfsmittellieferanten. Alle sind sie nur da den Prämien- und Steuerzahler zu schröpfen.
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