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So würde Ex-SBB-Chef Weibel das Restrisiko bei Güterzügen senken

So würde Ex-SBB-Chef Weibel das Restrisiko bei Güterzügen senken

Die Entgleisung eines Güterzugs im Gotthard-Basistunnel erinnert den langjährigen SBB-Generaldirektor an die grösste Unglücksserie der SBB. Und er bringt eine Idee ins Spiel, wie das Restrisiko von Bahnunfällen mit Güterzügen weiter reduziert werden könnte.
17.08.2023, 06:5328.03.2024, 17:20
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Im Gespräch mit CH Media vermeidet Benedikt Weibel das Wort «Restrisiko». Er redet lieber von «Restwahrscheinlichkeit»: Wiewohl die Bahn im Vergleich mit anderen Verkehrs- und Transportmitteln sehr sicher sei, liessen sich Entgleisungen und Unfälle nicht völlig ausschliessen, sagt der langjährige Generaldirektor der SBB (1993-2006).

SBB-Chef Benedikt Weibel gibt am Freitag, 24. Februar 2006, in Bern seinen Ruecktritt auf Ende Jahr bekannt. Nach 14 Jahren an der Spitze der SBB geht Weibel Ende 2006 mit 60 in Pension. (KEYSTONE/Mon ...
Benedikt Weibel war von 1993 bis 2006 Generaldirektor der SBB (Archivaufnahme).Bild: KEYSTONE

Die Entgleisung im Gotthard-Basistunnel habe in ihm Erinnerungen an den Tag hervorgerufen, «der in meinem Leben am meisten geändert hat, der 8. März 1994». Damals ist ein Zug aus Deutschland mit Erdölprodukten bei Zürich-Affoltern entgleist. «Der Lokführer hat das nicht gemerkt und ist weitergefahren. Bei einer Weiche sind die Wagen gekippt und explodiert. In einem Wohngebiet mit Hochhäusern.»

Weibel erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. Drei Menschen wurden schwer verletzt, weit über 100 Personen evakuiert. Es war das erste Unglück in einer Serie, die die SBB im Frühsommer 1994 erschütterten.

Nur 13 Tage später schlitzte ein Schienenkran bei Däniken sieben Wagen eines Schnellzuges auf Fensterhöhe seitlich auf. Neun Passagiere kamen ums Leben, 21 wurden zum Teil schwer verletzt. Und am 29. Juni 1994 entgleiste ein Güterzug, der hochgiftiges Chlorid transportierte, im Bahnhof Lausanne: 400 Liter des Gifts flossen aus. Wegen Explosions- und Vergiftungsgefahr wurden rund 100 Personen um den Bahnhof evakuiert.

«Seither ist im Bahnverkehr in der Schweiz nichts vergleichbar Schlimmes mehr passiert», sagt Weibel. Dies, weil nach der Unglücksserie zahlreiche Sicherheitsmassnahmen ergriffen wurden. Unter anderem entwickelte die Bahn einen Entgleisungsdetektor für Güterzüge.

«Anders als bei Personenzügen hat der Lokführer bei Güterzügen keine Verbindung mit den Wagen; es kann passieren, dass ein Wagen entgleist und der Lokführer das gar nicht merkt.» Dieser Mangel sollte mit dem Detektor, der auf Airbag-Sensoren basiert, behoben werden. «Im Inland haben wir ihn für gewisse Züge, insbesondere mit Gefahrengütern, eingeführt», sagt Weibel.

HANDOUT - Die gesamte Wagenladung des entgleisten Wagen liegt weit verstreut auf den Schienen und den Rampen. Aufgrund der Entgleisung eines Gueterzugwagens wurde der Gotthard-Basistunnel fuer den Per ...
Die Schäden an den Schienen ziehen sich über mehrere Kilometer.Bild: keystone

Es fehlen Informationen zum verunfallten Zug

Der nun im Gotthard verunfallte Zug war anscheinend aber nicht damit ausgerüstet. Weibel äussert sich nicht zum konkreten Fall. Dass aber auch 30 Jahre nach dem Horror-Jahr der SBB nicht alle Güterzüge mit Entgleisungsdetektoren ausgerüstet sind, erklärt Weibel damit, dass eine solche Pflicht international eingeführt werden müsste. «Das ist aus Kostengründen aber unmöglich», sagt der ehemalige SBB-Patron, «ich habe es bei meinen internationalen Kontakten versucht.»

Trotzdem: Wie liesse sich die «Restwahrscheinlichkeit» von Unfällen mit Güterzügen weiter reduzieren? «Eine Möglichkeit bestünde darin, für alle Güterwagen verpflichtend eine ISO-Zertifizierung einzuführen.» Dadurch würde der Zustand dieser Wagen regelmässig nach international einheitlichen Standards überprüft. «Doch selbst bei der Bahn, einem der sichersten Transportmittel, können Unfälle nicht komplett ausgeschlossen werden», betont Weibel zum Schluss de Gesprächs noch einmal.

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