432. Die Nummer auf dem Zettel verspricht nichts Gutes. Über 60 Personen kommen an diesem Freitagnachmittag im SBB-Reisezentrum im Berner Bahnhof vorher zum Zug – oder wenigstens zum Schalter. Angegebene Wartezeit: mehr als 20 Minuten. Und es dürften deutlich mehr werden. Die mit Tablet und Handy ausgerüsteten «Gelbwesten» jedenfalls können nicht weiterhelfen, ebenso wenig wie allen anderen, die sich noch ins Reisezentrum der SBB reinzwängen.
Andere Ortschaften, gleiches Bild: Am Montagmittag stehen die Kundinnen und Kunden in Zürich bis in die Bahnhofshalle Schlange. Gross auch der Andrang am selben Nachmittag in der Aargauer Stadt Baden, wo der Kunde sich dann erst gar nicht einreihen mag.
Der Dichtestress in den Schalterhallen ist primär die Folge einer für die SBB positiven Entwicklung: Die SBB stellen «aktuell eine erfreuliche Nachfrage im Freizeit- und internationalen Personenverkehr fest», wie Unternehmenssprecherin Sabrina Schellenberg festhält. Je nach Wochentag und Tageszeit komme es deshalb in verschiedenen Bahnhöfen zu Wartezeiten in den Reisezentren.
Bei den Interrail-Pässen und Nachtzügen verzeichnen die SBB gar neue Rekordzahlen: Die Verkaufszahlen würden über jenen des Vor-Pandemie-Jahres 2019 liegen, sagt Schellenberg. Konkret: Im laufenden Jahr wurden hierzulande von Januar bis Juni rund 30 Prozent mehr Interrail-Pässe verkauft als im gleichen Zeitraum des Rekordjahres 2019. Ähnlich hoch ist das Wachstum bei den Nachtzügen – und das ohne die neue Verbindung nach Amsterdam. Wird der Nachtzug nach Amsterdam hinzugerechnet, fällt das Wachstum noch höher aus.
Derzeit gebe es viele Reisende, die «komplexe Reisen» in ganz Europa buchen wollten, ergänzt Schellenberg. Was die Sprecherin nicht sagt: Im internationalen Personenverkehr ist der Schalter Trumpf, da sich bei den SBB auch einfache Auslandsreisen mit der Bahn kaum online buchen lassen. Ausnahmen sind Reisen nach Frankreich und Deutschland: Dort sollte der Einkauf auch per Klick möglich sein.
Der Andrang ist also das Resultat einer höheren Nachfrage, ausbaufähigen Onlinelösungen – und zuletzt von den «Problemen im Flugverkehr», welche besonders an den Bahnhöfen in den Flughäfen zu einer erhöhten Nachfrage führten.
Aber das ist nur die halbe Geschichte. Das Gedränge ist auch auf zu wenig Schalterpersonal zurückzuführen. Die SBB wollen nichts wissen von einer Fehlplanung, betonen, dass sie ihre Reisezentren in der Hochsaison personell verstärken würden. Doch: «Wie in anderen Branchen verzeichnen die SBB leider aktuell erhöhte Krankheitstage, was zu kurzfristigen Ausfällen führen kann.»
Der Verdacht liegt nahe, dass es sich hierbei um coronabedingte Ausfälle handelt, die SBB können aber aufgrund der Bestimmungen des Datenschutzes keine Angaben zu den Gründen angeben.
Einen grundsätzlichen Personalmangel können die SBB nicht ausmachen. Sie würden in den Reisezentren mit Lernenden für eigenen Nachwuchs sorgen und offerierten auch Lehrgänge für Quereinsteiger, um Pensionierungswellen auszugleichen, erklärt Schellenberg. Die ausgeschriebenen Klassen für diese Zweitausbildung in der Kundenberatung «konnten gut besetzt werden».
Und dann sind da noch die besagten «Gelbwesten», saisonal eingesetzte Mitarbeitende aus anderen SBB-Bereichen, ehemalige oder auch temporär Angestellte. Sie sollen in den grösseren Reisezentren beim Eingang die Leute «empfangen» und «alternative Lösungen» zum Schaltergang vorschlagen, was wiederum die Wartezeiten reduzieren sollte. Das klappt freilich nicht immer - oder kaum, wie das anfangs zitierte Beispiel aus Bern zeigt.
Die SBB sind sich des Problems offensichtlich bewusst, jedenfalls haben sie ein paar Tipps für ihre Kundschaft auf Lager, wie lange Schlangen umgangen werden könnten:
1. Günstiger und 2, man kann stornieren auch kurzfristig, was bei den SBB nur geht wenn dies die zu teuren Normalpreise sind.