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Der vermeintliche Graben zwischen Volk und «Classe politique» wird von rechter Seite gerne heraufbeschworen. Meistens ist dies Unsinn, doch derzeit findet sich dafür ein eindrückliches Beispiel. Gemeint ist die Volksinitiative «Pro Service Public», über die am 5. Juni abgestimmt wird. Im Parlament kam sie auf exakt 0 (in Worten Null) Stimmen, was absoluten Seltenheitswert hat. Niemand von ganz Links bis Rechtsaussen wollte sie unterstützen.
Alle wichtigen Verbände lehnen sie ab. Selbst die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) empfiehlt ein Nein. Dem Volk ist dieser geballte Widerstand jedoch egal. In der neusten Tamedia-Umfrage wollen 59 Prozent der rund 10'000 Teilnehmer die Initiative sicher oder eher annehmen. Das ist ein Prozent mehr als in der ersten Erhebung zwei Wochen zuvor, was für derartige Initiativen ungewöhnlich ist. Auch in der ersten SRG-Trendumfrage kam sie auf 58 Prozent Ja.
Auf den ersten Blick ist der Ja-Trend verständlich. Wer ist schon nicht für den Service Public? Dabei ist die Initiative ein Murks. Nicht umsonst müssen sich die Initianten gegen den Vorwurf wehren, sie wollten Post, SBB und Swisscom Gewinne und Quersubventionierungen verbieten. Die Initiative könnte in dieser Hinsicht kontraproduktiv wirken und den Leistungsabbau beschleunigen. Aus diesem Grund lehnt die Service-Public-freundliche Linke die Initiative klar ab.
Eher gut gemeint als gut ist zudem die Forderung, wonach die Löhne und Honorare nicht über denjenigen der Bundesverwaltung liegen sollen. Viele würden wohl spontan zustimmen, dass SBB-Chef Andreas Meyer (letzter Jahreslohn 1,07 Millionen Franken) nicht mehr verdienen soll als seine «Vorgesetzte», Bundesrätin Doris Leuthard (475'000 Franken). Letztlich aber ist die Vorstellung realitätsfremd.
Die Stimmberechtigen aber sind für solche Einwände bislang kaum empfänglich. Die Gegner der Initiative sind ratlos und entsetzt, zumal sie kein Geld für eine schlagkräftige Nein-Kampagne haben. Dabei gibt es eine nachvollziehbare Erklärung für die hohe Zustimmung. Sie hat wenig mit rationalem Denken, dafür umso mehr mit Psychologie zu tun.
Beispiele gefällig?
Die Post erzielt Jahr für Jahr satte Gewinne von mehreren hundert Millionen Franken. Eine beachtliche Performance, bedenkt man, dass immer weniger Briefe verschickt werden und die Post ihr Monopol bei der Paketzustellung verloren hat. Aus Sicht vieler Konsumenten sind diese Gewinne jedoch das Resultat eines permanenten Leistungsabbaus, in erster Linie bei den Poststellen. Seit 2000 wurden rund 1800 geschlossen, mehr als die Hälfte aller Filialen.
Dabei lehnte das Stimmvolk 2004 eine Volksinitiative für ein flächendeckendes Poststellennetz mit 50,2 Prozent Nein nur hauchdünn ab. Der Warnschuss verpuffte, der Abbau ging ungebremst weiter, obwohl praktisch jede Schliessung einer Postfiliale auf Widerstand vor allen von Kunden stösst, die wenig mobil und mit der digitalen Welt überfordert sind. Die Post kontert, sie garantiere den Service Public mit Angeboten wie Paketautomaten, Hausservice und Postagenturen.
Diese Agenturen in Lebensmittelläden oder Drogerien bieten häufig sogar längere Öffnungszeiten. Wer jedoch mit dem gelben Büchlein (ja, das gibt es noch) Einzahlungen tätigen will, kann dies nur bargeldlos erledigen. Für Bareinzahlungen müssten Kunden eine 30-minütige Anreise in Kauf nehmen, sagte Postchefin Susanne Ruoff in einem Interview, und das nicht zu Fuss, sondern mit dem öffentlichen Verkehr.
Und wenn der ehemalige Postpräsident Peter Hasler um Verständnis bittet, «wenn wir soziale Treffpunkte in abgelegenen Gemeinden nicht aufrechterhalten», erkennen viele Menschen darin nur die eiskalte Sprache der neoliberalen Gewinnmaximierer.
Viele Leute ärgern sich über die hohen Mobilfunk-Tarife und Roaminggebühren. Die Swisscom betont, diese Bereiche seien nicht Teil des Service Public, doch das spielt für die Kunden keine Rolle. Sie haben den Eindruck, der Telecom-Konzern spiele seine Marktmacht als Ex-Monopolist knallhart aus und verhindere so das Entstehen eines echten, preissenkenden Wettbewerbs.
Dabei kann man der Swisscom kaum die Schuld daran geben, dass die Wettbewerbskommission die Fusion von Sunrise und Orange und damit das Entstehen eines starken Konkurrenten verhindert hat. Sie kann auch nichts dafür, dass der neue Besitzer von Orange (heute Salt), der in anderen Ländern mit Kampfpreisen um Kunden buhlte, hierzulande die hohe Kaufkraft abschöpfen will und offenbar wenig Wert auf zusätzliche Marktanteile legt.
Über das Verständnis der Bundesbahnen von Service Public lassen sich ganze Bücher schreiben. Dabei ist unbestritten, dass die SBB ihr Angebot an Zugsverbindungen stark ausgebaut haben. Allerdings sind gleichzeitig auch die Billettpreise stark gestiegen. Gleichzeitig klagen Bahnreisende über Störungen, verdreckte Abteile oder defekte Toiletten. Über den miesen Handyempfang in den Zügen hat sich zuletzt sogar Doris Leuthard aufgeregt und damit ungewollt Werbung für die Service-Public-Initiative gemacht.
Vor allem aber haben sich die SBB den Ausbau auf der Schiene mit einem Abbau beim direkten Kundenkontakt erkauft. Analog zu den Poststellen wurden zahlreiche Bahnhöfe geschlossen. Die Kunden sind gezwungen, komplizierte Billettautomaten zu benutzen, mit denen vorab ältere Menschen kaum zurecht kommen. Das gilt insbesondere für die Tarifverbünde des Nahverkehrs.
Franz Kagerbauer, Direktor des Zürcher Verkehrsverbunds (ZVV), musste letztes Jahr im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» zugeben, dass er «selber erschrocken» sei, als er am Automaten zu Testzwecken ein Billett vom Central in Zürich nach Baden-Dättwil lösen wollte. Er erhielt nicht weniger als sieben (!) Reisemöglichkeiten offeriert. «Der ungeübte Bahnfahrer ist da überfordert», räumte Kagerbauer ein. Er kündigte an, das System vereinfachen zu wollen.
Doch reine Streckenbillette gibt es im Agglomerationsverkehr kaum noch, nur Zonentickets. Und auch keine Retourbillette mehr, nur noch einfache, zeitlich sehr limitierte Fahrten und Tageskarten. Häufig ist diese Umstellung mit einer verkappten und teilweise happigen Preiserhöhung verbunden.
Seit 2012 etwa gibt es zwischen dem ZVV und der Aargauer A-Welle ebenfalls nur noch Zonenbillette, auch wenn man nur von Bahnhof zu Bahnhof fahren und das übrige ÖV-Angebot nicht nutzen will. Gleichzeitig wurde die Fahrt über die Zonengrenze massiv teurer. Finanziell schwächer gestellte Menschen empfinden dies als Zumutung.
Den Vogel abgeschossen aber haben die SBB, als sie 2011 den Billettverkauf in den Zügen strichen. Wer ohne gültigen Fahrschein unterwegs ist, gilt seither faktisch als Schwarzfahrer, auch wenn er oder sie schlicht keine Zeit hatte, um ein Billett zu lösen. Die Massnahme wurde bald abgeschwächt, heute können Billette auf dem Perron beim Kondukteur gekauft werden. Aber auch das hilft wenig bei Zeitdruck oder wenn man kein Ticket via App kaufen kann.
Man könnte weitere Beispiele anfügen. Der Swisspass, der Zugspersonal und Fahrgäste gleichermassen nervt, ist ein Kapitel für sich. Nicht selten entsteht daraus eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit, in der die drei Unternehmen nicht (pseudo-)privatisierte Aktiengesellschaften, sondern reine Bundesbetriebe waren. Etwa die PTT. Sie war unflexibel und bürokratisch, dennoch verbinden viele Leute mit dem «gelben Riesen» nostalgische Gefühle.
Es ist alles eine Frage der Psychologie. Ein Leistungsabbau wird vielfach stärker empfunden als ein Ausbau, besonders wenn es um Dienstleistungen von Post und Eisenbahn geht. Deshalb hat die Service-Public-Initiative intakte Chancen. Wünschenswert ist ein Ja nicht. Aber es wäre verständlich.
- die Züge stanken nach Rauch
- die Taktfrequenz von Bus & Bahn war viel schlechter
- nach 01.00 kam ich nicht mehr Nachhause, jetzt fast durchgehend
- mit den ersten Handys hatte man nur in der Stadt und Agglo Empfang
- ewigs in der Schalterhalle anstehen um ein Billet zu kaufen
Ich bin auch gegen überrissene Managerlöhne und so krass steigende Preise. Aber der Service hat sich schon verbessert finde ich.
Die SBB hatten diesen alten Zopf schon vor Jahrzehnten abgeschafft und jetzt wurde dieser Anachronismus via Zonentarife wieder eingeführt. Alles andere als kundenfreundlich.