Er hat einige Weltgegenden besucht. In der Zentrale der Europäischen Union in Brüssel aber hat sich Aussenminister Ignazio Cassis seit seinem Amtsantritt vor bald vier Jahren nie blicken lassen. Nun holt er das Versäumte nach: Am Dienstag trifft der FDP-Bundesrat den EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell und Haushaltskommissar Johannes Hahn.
Dabei will Cassis den Anstoss zum angestrebten «politischen Dialog» mit der EU geben. Seine Antrittsvisite in Brüssel soll aus protokollarischen Gründen nicht früher erfolgt sein. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker machte die Schweiz zur Chefsache, und auf seiner Stufe befindet sich der Bundespräsident oder die -präsidentin.
Wertvoller Austausch am Rande der #LibyenKonferenz mit meinem 🇮🇹 Amtskollegen @luigidimaio und dem 🇪🇺 Vertreter für Aussen- & Sicherheitspolitik @JosepBorrellF. Schön, dass wir uns wieder physisch treffen 👍 Offener und direkter Dialog ist das Beste 🙏 pic.twitter.com/vj335Wi48g
— Ignazio Cassis (@ignaziocassis) June 23, 2021
Als Ansprechpartner für den Aussenminister wurde der österreichische Kommissar Johannes Hahn bestimmt, der damals für die Erweiterung der EU zuständig war. Mit ihm soll sich Cassis inoffiziell getroffen haben, etwa auf dem Brüsseler Flughafen. Wegen den offenen Verhandlungen zum institutionellen Abkommen kam es nie zu einer formellen Begegnung.
Das Protokoll wurde auch als Grund angeführt, warum Bundespräsident Guy Parmelin allein zum «Gipfeltreffen» mit der neuen Kommissionschefin Ursula von der Leyen gereist war und Cassis zu Hause bleiben musste. Der erhoffte Durchbruch blieb bekanntlich nicht nur aus: Der Bundesrat beendete am 26. Mai die Verhandlungen über das Rahmenabkommen.
Dieser einseitige Schritt der Schweiz sorgte in Brüssel für nachhaltige Verstimmung. Sie blieb nicht ohne Folgen: In zwei für unser Land wichtigen Bereichen hat die EU der Schweiz Nadelstiche verpasst, die weh tun und noch heftige Schmerzen verursachen könnten. An Gesprächsstoff mangelt es Ignazio Cassis in Brüssel jedenfalls nicht.
Der Zufall wollte es, dass am gleichen Tag, an dem der Bundesrat den Rahmenvertrag beerdigte, in der EU die neue Medizinprodukte-Verordnung in Kraft trat. Im Normalfall wären die neuen Regelungen im Rahmen des bilateralen Abkommens zum Abbau der technischen Handelshemmnisse auch auf die Schweiz angewendet worden.
Bundesrat Cassis musste in der Sommersession im Parlament jedoch einräumen, dass die EU nicht verpflichtet ist, die bilateralen Verträge zu aktualisieren. Dies blieb im konkreten Fall nicht nur aus, die EU will auch bestehende Zertifikate für Schweizer Produkte nicht mehr anerkennen. Einige Firmen sollen deshalb bereits Kunden im EU-Raum verloren haben.
«Die Schweizer Medtech-Branche ist zum Spielball beider Verhandlungspartner geworden», sagte Daniel Delfosse vom Verband Swiss Medtech der «Sonntagszeitung». Damit nicht genug: Die Schweiz hat auch keinen Zugang mehr zu Datenbanken wie Eudamed. Darin werden Probleme mit Medizinprodukten erfasst, was zentral ist für die Patientensicherheit.
Für die Schweiz, die rund 80 Prozent der Medizinprodukte importiert – häufig aus der EU –, wären die Datenbanken sehr wichtig. Zu befürchten ist laut den Tamedia-Zeitungen auch, dass europäische Firmen wegen der erschwerten Bedingungen ihre Produkte nicht mehr in die Schweiz exportieren – obwohl sie die neuen EU-Zertifikate einseitig anerkennt.
Letzte Woche folgte eine weitere Hiobsbotschaft. Die Schweiz darf am Forschungsprogramm «Horizon Europe» vorerst nur als «nicht-assoziierter Drittstaat» teilnehmen. Sie ist damit von wichtigen Projekten ausgeschlossen. Kritiker meinen, die EU schneide sich wegen der Weltklasse der Schweizer Hochschulen ins eigene Fleisch.
Das Parlament hat sechs Milliarden Franken für die Schweizer Horizon-Vollmitgliedschaft bewilligt. In der akademischen Welt ist man dennoch beunruhigt. «Die Innovationskraft des gesamten Schweizer Forschungsplatzes hängt wesentlich vom Zugang zum Horizon-Programm ab», sagte ETH-Ratspräsident Michael Hengartner im Tamedia-Interview.
Für Unruhe sorgt besonders der Ausschluss von den ERC Grants. Lino Guzzella, der ehemalige Präsident der ETH Zürich, bezeichnete sie im watson-Interview als «Mini-Nobelpreise – hoch angesehen und hoch dotiert». Nur die Besten der Besten erhielten einen solchen Grant. Nun versucht die EU offenbar, mit diesen «Super-Stipendien» Forschende aus der Schweiz wegzulocken.
Als Bedingung für die künftige Teilnahme der Schweiz an Horizon Europe nennt die EU die Freigabe der blockierten Kohäsionsmilliarde. Sie soll nach dem Willen des Bundesrats durch das Parlament in der Herbstsession erfolgen. Es ist ohnehin schwer vorstellbar, dass die EU langfristig auf die Zusammenarbeit mit dem Forschungsstandort Schweiz verzichten will.
Die Europäische Union geht bei ihren Entscheiden in der Regel gnadenlos pragmatisch vor. So war die Schweiz der erste Drittstaat, dessen Covid-Zertifikat die EU anerkannt hat. Aus nachvollziehbaren Gründen: Die Schweiz ist ein wichtiges Transitland in den Süden, und für die zahlungskräftigen Schweizer Touristen baut man ungern Zugangshürden auf.
Wenn es sich aber anbietet, ist die EU ebenso schnell bereit, den Hammer auszupacken, wie die beiden erwähnten Fälle zeigen. Auch mit dem politischen Dialog eilt es ihr nicht. Die EU-Kommission will offenbar im Herbst entscheiden, wie es in den Beziehungen mit der Schweiz weitergehen soll. Und wer sich künftig als Ansprechpartner anbieten wird.
Viel erwarten darf man von Ignazio Cassis’ Brüssel-Reise deshalb nicht. Es handle sich um informelle Gespräche, schrieb das Aussendepartement EDA auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Vielleicht liegt zumindest eine Entkrampfung drin.
Die Ch Hochschulen sind WEGEN der ganzen intern. Programme und ausländischer Studenten so gut. Die werden jetzt halt vermehrt andernorts forschen..
Ist dies so schwer zu verstehen...