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Der FC Affoltern a. A. hat kein Frauenteam mehr – eine Vereinsgeschichte

Als sie noch zusammen spielten: Fussballerinnen des FC Affoltern am Albis.
Als sie noch zusammen spielten: Fussballerinnen des FC Affoltern am Albis. bild: facebook

Die traurige Geschichte, warum der FC Affoltern a. A. kein Frauenteam mehr hat

17 Spielerinnen der ersten Liga des FC Affoltern a. A. haben den Verein verlassen – per sofort. Der Trainer soll sie sexuell belästigt haben. Doch dahinter steckt mehr.
18.02.2022, 19:5513.12.2022, 10:13
Helene Obrist
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Noch im Juni 2021 kickte sich das Frauenteam des FC Affoltern am Albis in die erste Liga. Acht Monate später gibt es das Team nicht mehr. Alle 17 Spielerinnen traten am 15. Februar aus dem Fussballverein aus. Grund dafür: Vorwürfe von sexueller Belästigung und patriarchale Vereinsstrukturen.

Teil 1
Trainer Graf und die Sonnenbrille

Die Geschichte beginnt am 25. Juni 2020. Das Frauenteam des FC Affoltern am Albis erhält einen neuen Trainer. Peter Graf*, geboren in den 50ern, freut sich auf die Herausforderung. Einen Titel will er gewinnen, sagt er dem Vereinsblatt. Und: Ein Frauenteam zu trainieren sei anders, als Männer zu coachen. «Frauen sind viel sensibler (…). Man muss herausfinden, wie welche Frau tickt, was man zu welcher Frau sagen kann und was nicht.»

Trainer Graf coacht die Spielerinnen zu Bestleistungen. Knapp ein Jahr nach Grafs Antritt schafft das Team den Aufstieg. Mitte Juni besiegt der FC Affoltern am Albis den SC Veltheim auswärts 4:2. Die Fussballerinnen sind Tabellensiegerinnen. Werden nominiert für die Sport-Awards im Säuliamt, feiern. Trainer Graf druckt T-Shirts. «Freude, Spass, Aufstieg», blaue Schrift auf weissem Hintergrund.

Graf gibt viel für den Club. Es gelinge ihm gut, die Spielerinnen zu motivieren, sagt die Kapitänin gegenüber dem Lokalblatt. Für seine Fussballerinnen fährt der Trainer zwei Stunden Auto. Von seinem Wohnort, in der Nähe von Schaffhausen, hin zu den Affoltemerinnen und zurück. Das sei es ihm wert für dieses Team.

Doch da ist auch der andere Graf. Der, der einer Spielerin auf WhatsApp anbietet, ihr den Bluterguss wegzumassieren. Einer anderen schreibt er: «Auch Denke und Träume ich sehr oft von Dir und frage mich, ob man mit Deinem Job Männer noch mögen kann?» Eine dritte fragt er nach dem Training, ob sie mit ihm nach Las Vegas kommen wolle. Die Flüge seien gerade günstig. Er würde sie einladen.

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bild: zvg

Kurz nach seinem Amtsantritt schreibt er einer Spielerin: «Übrigens wieso trägst du mit sooo schönen Augen eine Sonnenbrille?» Die Spielerin bespricht die Nachricht im Team. Gemeinsam konfrontieren sie Graf. Solche Aussagen seien unangebracht. Er solle damit aufhören, bittet ihn das Team. Graf entschuldigt sich, verspricht, es sein zu lassen.

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bild: zvg

Sie trainieren weiter. Doch bald trudeln wieder Nachrichten ein. «Es waren kleine Dinge, Bemerkungen, Sprüche. Manchmal taten wir sie als Lappalien ab. Aber wir ekelten uns. Es fühlte sich falsch an», erinnert sich Sabrina Härter*. Kurz vor ihrem Aufstieg im Sommer 2021 sprachen sie erneut mit ihrem Trainer. «Wir dachten, dass er es nun endlich gecheckt hat», sagt Härter.

Anfang Februar fragt Trainer Graf Härters Teamkollegin, ob sie mit ihm nach Las Vegas wolle. Man könne sich dann ja ein Zimmer teilen. «Das war für uns der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte», sagt Härter. Sie und ihre Teamkolleginnen teilen Graf mit, dass sie ihn nicht mehr als Trainer wollen. Es sei zu viel vorgefallen. Graf zeigt sich einsichtig und kündigt.

Eine Nachricht von Trainer Peter Graf an eine seiner Spielerinnen.
Eine Nachricht von Trainer Peter Graf an eine seiner Spielerinnen.bild: zvg
Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Belästigung
Sexuelle Belästigung und Übergriffe können in den unterschiedlichsten Kontexten stattfinden. Welche Handlungen als belästigend empfunden werden, ist subjektiv und wird von Menschen unterschiedlich wahrgenommen.

Die Opferhilfeschweiz hilft weiter. Sie führt alle Opferhilfestellen der Kantone auf. Auch belaestigt.ch hat viele Informationen und Tipps.

Im Kanton Zürich hilft die Fachstelle für Gleichstellung weiter.
📱 043 259 25 72

Teil 2
Der Vorstand und die Frauen

Nach Grafs Kündigung spricht das Frauenteam beim Vereinsvorstand vor. Erzählen von den Belästigungen. Und sagen, dass sie einen neuen Trainer brauchen. «Anstatt auf uns einzugehen, hat uns der Vorstand Vorwürfe gemacht», sagt Härter. «Sie sagten, bei uns in der Mannschaft sei alles immer so emotional. Wir hätten die Vorfälle schon früher melden sollen.»

«Das war ein Schlag ins Gesicht», schildert Härter. Weder habe der Vereinsvorstand die gespeicherten WhatsApp-Nachrichten angeschaut, noch sei er auf die Schilderungen eingegangen. «Seit Jahren kämpfen wir für Gleichberechtigung in diesem Verein. Wir werden als Spielerinnen nicht ernst genommen.»

Lange hätten nur die Fussballerinnen Mitgliederbeiträge zahlen müssen. Die Herren spielten kostenlos. Nur dank des Engagements des Frauenteams sei das jetzt anders. «Wir erhielten die unattraktiven Spielzeiten und Plätze. Das Frauenteam hatte kaum Priorität», sagt Härter. Bemerkenswert, denn das Frauenteam war im ganzen FC Affoltern am Albis das am besten klassierte. Das beste Männerteam spielt in der dritten Liga.

Vereinspräsident Ferrucio Gusmini will sich gegenüber watson zu den Vorwürfen nicht äussern. Er verweist auf das schriftliche Communiqué des Vereins. «Auf den jüngsten Vorfall hat der Vorstand umgehend reagiert. Allfällige frühere Vorfälle wurden dem Vorstand nicht gemeldet, weshalb der Vorstand auch nicht darauf reagieren konnte», heisst es da, und: «Abschliessend möchte die Vereinsleitung betonen, dass es mit den Frauen 1 in den letzten Jahren einige vereinspolitische Meinungsverschiedenheiten gab, welche aber leider in einem Vereinsalltag vorkommen.»

Es sei letztlich Reaktion des Vereinsvorstands gewesen, der die Frauen zum Rücktritt bewegte – nicht das Handeln von Trainer Graf. «Wir waren machtlos und spürten keinerlei Unterstützung durch den Vorstand. Das Einzige, was uns übrigblieb, war der Austritt», sagt Härter.

Aufhören wollte eigentlich niemand. Härter spricht für viele im Verein: «Ich spiele seit acht Jahren beim FC Affoltern am Albis. Jedes Wochenende stehe ich auf dem Fussballplatz. Habe immer vollen Einsatz gegeben. Es ist unglaublich schade, dass es so weit kommen musste.» Der Kampf neben dem Platz sei am Ende zu anstrengend geworden. «Das Ringen um Gleichberechtigung und Anerkennung. Das hat uns alle zermürbt.»

Teil 3
Trainer Graf und das «völlig Belanglose»

Trainer Graf reagiert auf die Anfrage von watson. Ist bereit für ein Gespräch. Ja, er habe diese Nachrichten geschrieben. Und er habe darauf den Rücktritt als Trainer gegeben. «Ich konnte meine Versprechen an das Team nicht halten, deshalb bin ich zurückgetreten», sagt Graf.

Er habe trotzdem Mühe, die Sache zu verstehen. «Ich bin ein offener und ehrlicher Typ, der sagt, was er denkt. Ich hatte nie das Gefühl, eine Grenze zu überschreiten. Ich habe nie eine Spielerin auch nur angefasst. Was ich geschrieben habe, war alles völlig belanglos. Ich wollte mit niemandem wirklich in die Ferien!», sagt Graf.

Er fühle sich schuldig, weil seine Offenheit offenbar einen «solchen Wirbel» ausgelöst habe und dieses «tolle Team nun die Rückrunden nicht mehr bestreiten könne». Von sexueller Belästigung will er aber nichts hören. «Wenn Offenheit und Ehrlichkeit als sexuelle Belästigung gelten, dann wird es im Frauenfussball in Zukunft schwer sein, Trainer zu finden.»

Teil 4
Die Sache mit der sexuellen Belästigung

Fassen wir zusammen: Da sind die Fussballerinnen, die von Grafs Nachrichten angewidert sind. Die nicht wissen, wie sie reagieren sollen. Sie sagen: Das war sexuelle Belästigung.

Da ist Trainer Graf, der zwar irgendwie versteht, dass es zu viel war. Von sexueller Belästigung will er aber nichts hören.

Und da ist der Vereinsvorstand, der den Frauen nicht das Gefühl gibt, ernst genommen zu werden. Der ihnen Vorwürfe macht, anstatt zuzuhören.

«Seit 26 Jahren verpflichtet das Gleichstellungsgesetz zu respektvollem und diskriminierungsfreiem Handeln und sagt klar, dass Worte und Taten, die als unerwünscht und unangenehm empfunden werden, als Belästigung gelten. In diesem Fall als sexuelle Belästigung», sagt Helena Trachsel. Sie leitet die Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich und berät in vielen ähnlichen Situationen.

Schuld seien häufig strukturelle und kulturelle Probleme. «In diesem Fall gibt es offensichtlich kein Bewusstsein dafür, dass gesetzliche Vorgaben überschritten wurden», sagt Trachsel. Solche Fälle, gerade wenn es verschiedene Hierarchiestufen betreffe, seien Machtdemonstrationen. «Ein Trainer nimmt sich raus, was er will und definiert selbst, was richtig und falsch ist.» Fair gespielt sei das nicht. «Gerade ein Coach möchte auf dem Platz von seinem Team respektiert werden. Diesen Respekt muss er aber auch den Spielerinnen gegenüber haben.»

Teil 5
Und jetzt?

Das 1. Frauenteam des FC Affoltern am Albis ist Geschichte. Ein Nachspiel wird das ganze trotzdem haben. «Wir werden die Vorfälle der Swiss-Sport-Integrity-Stiftung melden», sagt Härter. Auch der Vereinsvorstand schreibt in seiner Mitteilung, dass man umgehend mit der Stiftung Kontakt aufgenommen habe.

Bestätigen kann das die Stiftung aus ermittlungstechnischen Gründen nicht, sagt Markus Pfisterer, Mitglied der Geschäftsleitung der Stiftung Swiss Sport Integrity.

Was er aber sagen kann: «Die Verletzung der sexuellen Integrität ist ein Ethikverstoss gemäss dem Ethik-Statut von Swiss Olympic. Diesem Statut sind seit dem 1. Januar 2022 alle Swiss Olympic angeschlossenen Verbände unterworfen.»

Gewonnen hat am Ende niemand.
Gewonnen hat am Ende niemand.bild: shutterstock

Erhalte die Stiftung eine entsprechende Meldung, gehe man dem nach und eröffne nötigenfalls eine Untersuchung. «Kommen wir zum Schluss, dass es zu einer Verletzung der sexuellen Integrität gekommen ist, können wir Sanktionen beantragen. Das kann dazu führen, dass ein Trainer gesperrt wird.»

Fussballerin Härter sagt: «Wir haben als Team das richtige getan und ein Zeichen gesetzt.» Spielen werde sie fürs Erste nicht weiter. «Ich habe meine Freude am Fussball verloren. Wegen des Kampfes neben und nicht auf dem Platz.» Einige ihrer Teamkolleginnen versuchen, bei anderen Vereinen unterzukommen.

Auch Trainer Graf mag nicht mehr. «Ich habe mein ganzes Leben dem Fussball gewidmet. Aber dieser Trubel, das war zu viel», sagt er. Vielleicht trainiere er spasseshalber mal wieder ein Herrenteam. Mehr aber nicht.

Ferrucio Gusmini führt den Verein weiter.

Gewonnen hat am Ende niemand. Der FC Affoltern am Albis verliert eines seiner stärksten Teams. Trainer Graf kann die Erfolgsgeschichte, die er mit seinem Frauenteam begann, nicht zu Ende schreiben. Viele Spielerinnen kehren dem Fussball den Rücken.

Zurück bleibt nur ein bitterer Nachgeschmack.

*Namen von der Redaktion geändert

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45 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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BoomBap
18.02.2022 20:25registriert Januar 2016
Ich glaube ihm sogar, dass er überzeugt war nichts schlimmes zu tun. Manche Menschen haben leider ein schlechtes Gespür dafür, was ok ist und was nicht.

Wenn aber die Mannschaft in steht und dem Coach sagt, dass Sie das nicht möchten,dann gibt es keine Entschuldigung mehr. Dann ist es eine Belästigung.
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Fisherman
19.02.2022 02:31registriert Januar 2019
Also Graf ist ja schon schlimm. Aber was sich der Vorstand geleistet hat, ist ja unter aller Sau.
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Barlsi
18.02.2022 22:21registriert Oktober 2021
«Abschliessend möchte die Vereinsleitung betonen, dass es mit den Frauen 1 in den letzten Jahren einige vereinspolitische Meinungsverschiedenheiten gab, welche aber leider in einem Vereinsalltag vorkommen.»

Wenn es zum Alltag gehört, warum ist es dann erwähnenswert?

Kurz gesagt: Andere Meinungen sind nicht willkommen. So unbequem auch.
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