Schweiz
Sexismus

Polizist stellt Foto der Ex auf Pornoseite und bleibt unbestraft

Wenn private Fotos im Internet landen, ist das für Betroffene demütigend und beängstigend.
Wenn private Fotos im Internet landen, ist das für Betroffene demütigend und beängstigend. bild: shutterstock

Polizist stellt Fotos von Ex-Freundin auf Pornoseite – und kommt ungestraft davon

Aus Rache veröffentlichte ein Polizist private Fotos seiner Ex-Freundin auf einer Pornowebseite. Ein Straftatbestand ist das nicht. Entsprechende Gesetzesartikel fehlen.
10.07.2022, 07:3811.07.2022, 09:18
Mehr «Schweiz»

Maras* Handy surrt. Als sie auf den Bildschirm schaut, erstarrt sie. Ein Kollege schreibt, er habe auf einer Pornoseite das Foto einer Frau entdeckt, die aussehe wie sie. Er schickt ihr einen Screenshot. Auf dem Bild ist eine weibliche Person zu sehen, die einen Mann oral befriedigt. Der Mann ist nicht erkennbar, das Foto ist entsprechend zugeschnitten. Die Frau hingegen erkennt man deutlich. Es ist tatsächlich Mara. Ein Gefühl von Kälte steigt ihr in den Nacken, der Bauch rumort.

Sie hat einen starken Verdacht, wer die Fotos auf die Pornoseite geladen haben könnte. Sie erkennt den Mann, die Wohnung. Sie kennt sogar das Bild. Sie hat es damals zusammen mit ihrem Ex-Freund geschossen. Seit vier Jahren ist sie nicht mehr mit ihm zusammen. Sie sind im Guten auseinander und immer noch befreundet. Bei der Trennung sind sie zusammengesessen und haben gemeinsam alle privaten Fotos von ihren Festplatten und Handys gelöscht.

Mara versteht es nicht. Warum sollte ihr Ex nach so langer Zeit diese Bilder ins Netz stellen? Ihre Gedanken überschlagen sich: Wenn der Kollege das Bild fand, wer sah es sonst noch? Wurde das Foto nur auf dieser Webseite gepostet, oder geistert es noch woanders herum? Ist es nur ein Bild? Oder sind es mehrere? Findet man die Bilder auch über die Google-Suche?

Rachepornografie – kein seltenes Phänomen

Private Bilder, die plötzlich im Internet auftauchen – für Betroffene eine Katastrophe. Corina Elmer ist Geschäftsleiterin der Frauenberatung sexuelle Gewalt. Sie sagt: «Das ist eine Verletzung der Integrität und der Intimsphäre. Diese Bilder wurden im Vertrauen aufgenommen und sind nicht bestimmt für ein breites Publikum. Im Internet können sich solche Fotos unkontrolliert verbreiten.» In ihren Beratungen bemerke sie eine Zunahme solcher Fälle. Betroffen seien vorwiegend jüngere Frauen. Die Täter seien oftmals ehemalige Partner.

Das Phänomen hat einen Namen: Revenge Porn, also Rachepornografie. Häufig treten solche Übergriffe auch zusammen mit erpresserischen Absichten auf. Man droht einer Person noch mehr kompromittierendes Material zu veröffentlichen, wenn sie nicht den Wünschen des Täters nachkommt.

Mara überlegt. Wollte sich ihr Ex an ihr rächen? Sie absichtlich im Internet demütigen? «Da fiel mir etwas ein», sagt sie und erzählt, wie sie ihren Ex vor einigen Wochen getroffen habe. «Wir haben uns ausgetauscht, über unsere Jobs, unsere Beziehung. Inzwischen haben wir beide neue Partner. Es war eigentlich ein ganz nettes Gespräch.» Doch dann habe er sie gefragt, was sie davon halten würde, wenn sie zusammen eine Affäre eingingen. Sie habe abgelehnt, doch er habe nicht locker gelassen und mehrmals nachgehakt. «Ich musste ihm wirklich deutlich sagen, dass ich ihn nicht mehr attraktiv finde und nicht an Sex mit ihm interessiert bin», sagt Mara.

Der Ex ist Polizist

Sie konfrontiert ihren Ex per Whatsapp. Er streitet alles ab, sagt, er sei Opfer eines Hacker-Angriffs geworden. Jemand sei in seine Cloud eingedrungen und habe diese Fotos gestohlen und auf die Pornoseite geladen. Er habe nicht einmal gewusst, dass er diese Fotos noch abgespeichert hatte.

Seine Argumentation ist widersprüchlich. Mara traut den Ausflüchten nicht. Sie kontaktiert den Betreiber der Pornoseite und verlangt, das Foto von ihr und allfällige weitere Bilder sofort vom Netz zu nehmen. Dieser reagiert schnell. Er antwortet, er habe fünf Bilder gefunden und gelöscht. Ausserdem habe man den User, der die Bilder hochgeladen hat, gesperrt. Er empfiehlt Mara, Anzeige bei der Polizei zu erstatten und bietet seine Kooperation für allfällige Ermittlungen an.

Zuerst hat Mara Bedenken. Denn pikanterweise ist ihr Ex-Freund heute selbst Polizist. Er wohnt wie sie im Kanton Bern. «Ich befürchtete, er könnte intern geschützt werden. Dass sie es so drehen, dass es schlecht auf mich zurückfällt.» Sie nimmt ihren Mut zusammen und geht mit einer Freundin auf einen Polizeiposten in einer anderen Stadt.

Die zwei Beamten protokollieren, was Mara ihnen erzählt und stocken dann, als sie ganz am Schluss sagt, ihr Ex arbeite heute bei der Polizei. «Sie sagten mir, das sei ein heikler Fall. Ich müsse mir bewusst sein, was eine Anzeige für ihn bedeuten werde und dass ich mir doch alles nochmals gut überlegen solle.»

Die Rechtsgrundlage fehlt bei Rachepornografie

Ein absolutes No-Go, findet Jolanda Spiess-Hegglin. Mit ihrem Verein Netzcourage engagiert sie sich gegen Hassrede und Diskriminierung im Internet. «Wir haben öfter die Erfahrung gemacht, dass Polizisten bei solchen Delikten unsensibel reagieren. Beispielsweise wenn Frauen mit einem Dickpic auf dem Posten vorbeigehen, werden sie auch heute noch häufig belächelt.» Doch wie das Versenden von Penisbildern stelle auch das unerlaubte Veröffentlichen von privaten Fotos ein Gesetzesbruch dar, so Spiess-Hegglin.

Das Problem dabei: Rachepornografie ist kein erfasster Straftatbestand. Eine klare Gesetzesgrundlage fehlt. Im Fall von Mara entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft, das Verfahren einzustellen. Zwar konnte zweifellos bestätigt werden, dass es tatsächlich der Ex-Freund war, der die Bilder auf die Pornoseite geladen hat. Der Mann hatte ausserdem mit demselben Profil auch Fotos von sich in der Polizeiuniform auf die Plattform geladen. Doch die Straftatbestände der Verleumdung und der Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte sah die Staatsanwaltschaft nicht erfüllt.

Corina Elmer von Frauenberatung sexuelle Gewalt sagt, es sei generell so, dass es beim Thema Gewalt im Netz noch an griffigen Gesetzesartikeln fehle. «Rachepornografie ist nur ein Teil davon, da braucht es einen umfassenderen Straftatbestand zu allen Formen von Gewalt im Netz.»

Derzeit können Betroffene nur über das Zivilrecht Anzeige machen

Die politische Debatte ist bereits angelaufen. Im Zuge der Revision des Sexualstrafrechts beschloss eine Mehrheit im Ständerat vor wenigen Wochen, einen eigenen Tatbestand für Rachepornografie zu schaffen. Ursprünglich einvernehmlich aufgenommene Fotos, die später ohne Einwilligung der abgebildeten Person weitergeleitet oder veröffentlicht werden, soll künftig mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden. Der Bundesrat hingegen will, dass Rachepornografie unter Cybermobbing subsumiert wird. Im Sommer soll dazu ein Bericht vorgelegt werden.

Mara bleibt nun noch der zivilrechtliche Weg. Sie kann ihren Ex wegen Persönlichkeitsverletzung anzeigen und Genugtuung und Schadenersatz verlangen. Doch darum gehe es ihr in erster Linie gar nicht. «Er schuldet mir eine Entschuldigung. Und ich hoffe, dass ihm das eine Lehre ist und er so etwas nie wieder macht», sagt sie.

Die Berner Polizei bestätigt auf Anfrage, der zuständigen Staatsanwaltschaft einen Vorfall mit einem involvierten Mitarbeiter gemeldet zu haben. Da der Fall inzwischen eingestellt wurde, stehe kein strafrechtlich relevantes Verhalten des Mitarbeiters im Raum. «Nichtsdestotrotz seien intern Abklärungen im Gang, ob personalrechtliche Massnahmen zu ergreifen seien.»

*Name der Redaktion bekannt.

Anlaufstellen für Opfer von sexueller Gewalt
Sexuelle Übergriffe können in den unterschiedlichsten Kontexten stattfinden. Hilfe im Verdachtsfall oder bei erlebter sexueller Gewalt bieten etwa die kantonalen Opferhilfestellen oder die Frauenberatung Sexuelle Gewalt. Für Jugendliche oder in der Kindheit sexuell ausgebeutete Erwachsene gibt es in Zürich die Stelle Castagna. Betroffene Männer können sich an das Männerbüro Zürich wenden. Wenn du dich sexuell zu Kindern hingezogen fühlst oder jemanden kennst, der diese Neigung hat, kann dir diese Stelle weiterhelfen.
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
40 Tattoos, die in der Badi bestimmt für Aufsehen sorgen!
1 / 42
40 Tattoos, die in der Badi bestimmt für Aufsehen sorgen!
bild: reddit
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Lieber nichts als diesen Frass – Pinguine in japanischem Aquarium treten in Hungerstreik
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
183 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Bero
10.07.2022 08:14registriert April 2019
Ist irgendwie sinnbildlich für unser patriarchalisches System.

«Sie sagten mir, das sei ein heikler Fall. Ich müsse mir bewusst sein, was eine Anzeige für ihn bedeuten werde und dass ich mir doch alles nochmals gut überlegen solle.»

Gedanklich passiert hier ja folgendes. Der Täter wird zum potentiellen Opfer, da die Konsequenzen seiner Tat ja durchaus Verlust seines Ansehens, ja seines Jobs sein könnten.

Die nächste Argumentationsrunde ist dann “Wieso hat SIE überhaupt solche Bilder gemacht?”.
34028
Melden
Zum Kommentar
avatar
Lisaleh
10.07.2022 08:26registriert November 2016
Was ein Eckel….
Er ist in einer neuen Beziehung und möchte diese Frau betrügen! Sie sagt nein und er ist eingeschnappt. Dann die anderen Polizisten:“Sie wissen schon was dies für Ihren Ex bedeutet?“. Ja, wäre schön gewesen hätte dies tatsächlich berufliche Konsequenzen gehabt hätte.
Hier muss ganz dringlich ein gescheites Gesetz her!
27510
Melden
Zum Kommentar
avatar
winglet55
10.07.2022 07:59registriert März 2016
Dein Freund und Helfer
Ironie off !!
18826
Melden
Zum Kommentar
183
    SBB führen Symbol für Reisende mit unsichtbaren Behinderungen ein

    Die SBB bieten ab Dienstag Umhängebänder für Passagierinnen und Passagiere mit unsichtbaren Behinderungen an. Ab 2026 könnte das System schweizweit eingeführt werden.

    Zur Story