Verschleissjob Parteipräsidentin: Weshalb auch eine Co-Leitung nur bedingt hilft
«Ja.»
Knapper hätte die Antwort von SP-Co-Präsident Cédric Wermuth nicht ausfallen können, als die «NZZ am Sonntag» diesen Herbst die Frage stellte: «Hat Sie das Co-Präsidium schon vor einem Burnout bewahrt?»
Seine Co-Präsidentin Mattea Meyer formulierte es ausführlicher: Eine geteilte Leitung entlaste nicht nur zeitlich, sondern auch emotional.
Von Burnout spricht sie nicht. Doch Meyer gab am Sonntag bekannt, dass sie die Wintersession aussetzen werde. «Ich fühle eine grosse Erschöpfung und habe realisiert, dass ich rechtzeitig die Notbremse ziehen muss», schrieb sie auf Instagram. Wie lange sie sich zurückzieht, ist offen.
Für ihren Schritt wird Mattea Meyer Respekt gezollt. Mitte-Präsident Philipp Matthias Bregy sagt: Es braucht Mut zu sagen: Ich brauche eine Pause.»
Smartphones und soziale Medien haben das Tempo erhöht
Unbestritten ist, der Job eines Parteipräsidenten ist anspruchsvoll. Für ein Verdienst von 2500 (GLP) bis zu 80'000 Franken (Mitte) muss man rund um die Uhr erreichbar und reaktionsfähig sein sowie Kritik von allen Seiten in Kauf nehmen können. Dafür winken Bekanntheit, etwas mehr Einfluss auf die Schweizer Politik und eine höhere Chance auf einen Bundesratssitz.
Auszeiten scheinen fast zum Berufsalltag zu gehören. Der ehemalige Mitte-Präsident Gerhard Pfister zog sich nach den Wahlen 2023 für eine Woche ins Kloster zurück. FDP-Präsident Thierry Burkart nahm sich ebenfalls bewusst Zeit, um «innezuhalten».
Auch ausserhalb von Wahlkämpfen sei das Amt anspruchsvoll, sagen ehemalige Parteichefs. Smartphones und Social Media hätten das Tempo massiv erhöht. «Von der Verantwortung her ist es ein 300-Prozent-Pensum», sagte der frühere Grüne-Präsident Balthasar Glättli vor Jahresfrist der «Schweiz am Wochenende».
Gemeinsam in 131 Chats aktiv
Cédric Wermuth und Mattea Meyer führen die SP seit 2020 zusammen. Das Co-Präsidium haben die beiden damals auch der Vereinbarkeit wegen gewählt: um Verantwortung in der Politik und in der Familie zu übernehmen.
Beide haben zwei schulpflichtige Kinder. Beide haben je einen freien Tag, an dem sie keine Medienanfragen beantworten. Von Meyer ist bekannt, dass sie einst die E-Mail-App von ihrem Smartphone löschte. Doch im eingangs erwähnten Interview erzählte das SP-Führungsduo auch, dass sie auf Whatsapp und Signal in 131 gemeinsamen Chats sind.
Erschöpfung sei ein gesellschaftliches Phänomen, von dem auch Pflegerinnen oder Polizisten betroffen seien, sagt Wermuth. «40 Prozent der Arbeitnehmenden fühlen sich alleine aufgrund der Arbeitssituation erschöpft.»
Von Corona zu Trump oder von Krise zu Krise
Doch Politiker hätten ein besonderes Berufsrisiko, sagt Wermuth, er spricht von der schnellen und harten Abfolge von Krisen seit 2020. Er sei schon selbst nahe an einem Burnout gewesen: «Es gab Momente, in denen ich mich zurückgenommen habe, weil die Belastung zu gross geworden war.» Eine Co-Leitung helfe in solchen Situationen. Es falle leichter, sich zurückzunehmen.
Gleichzeitig zeigt Meyers Entscheid: Einen völligen Schutz bietet auch eine Co-Leitung nicht. Muss man als Parteipräsident einfach hinnehmen, dass es ein Verschleissjob ist?
Der Aargauer sagt, er kenne zwei Hände voll Parlamentarier oder Parlamentarierinnen, die von einer Erschöpfung betroffen waren. «Wegen der Ellenbogenlogik im Bundeshaus kann man schnell eine gewisse Einsamkeit verspüren.»
«Die Hauptverantwortung liegt bei uns»
Helfen gegen den Verschleiss würde ein familienfreundlicher Parlamentsbetrieb, findet Wermuth. Die langen Abwesenheiten viermal jährlich seien für Familien belastend. Er sagt aber auch: «Die Hauptverantwortung liegt bei uns. Wir sprechen uns regelmässig ab und werden das weiterhin tun, um die Belastung auszubalancieren.»
Wermuth und Meyer sind in den sozialen Medien präsent. Nehmen wöchentlich einen Podcast auf. Und gehen dabei auch auf Tournee. In den letzten Wochen traten sie in Schaffhausen, Zug und Zürich auf. Am Mittwoch war ein Auftritt in Bern geplant. Anstelle von Meyer kommt nun die Berner SP-Nationalrätin Tamara Funiciello.
Kann es sein, dass ein Co-Präsidium sogar dazu verleitet, zu viel zu machen? Eine interessante Frage, sagt Wermuth. Die Linke sei eben unter Druck. «Als Co-Präsidium sind wir gerne bei den Sektionen präsent, helfen beim Flyern und fühlen uns verantwortlich, jede Medienanfrage schnell zu beantworten. Es kann sein, dass wir dies auf Kosten von unseren eigenen Ressourcen machen.» (aargauerzeitung.ch)
