Endet jetzt die Schweizer Neutralität? Diese Frage haben sich ausländische Medien gestellt, als der Bundesrat diese Woche sämtliche Sanktionen gegen Russland von der Europäischen Union (EU) übernommen hat: Konten einfrieren, Luftraum sperren und Einreiseverbote verhängen.
Aktuell strebt der Bundesrat zudem an, für Geflüchtete aus der Ukraine den Status S zu aktivieren, wodurch sie erleichtert ein Aufenthaltsrecht erhielten. Damit würde er ebenfalls den EU-Regeln nachkommen.
Auch die SRF-«Arena» rätselte am Freitagabend über die Neutralität der Schweiz und versuchte, in der zweiten Ukraine-Sendung in Folge eine Antwort zu finden. Dafür waren eingeladen:
Zu Beginn schilderte eine Ukrainerin auf der Zuschauerbank eindrücklich, wie ihre 64-jährige Mutter furchtlos ins Kriegsgebiet gereist ist. Olga Parakkal erklärte, dass es eigentlich Glück gewesen sei, ihre Mutter bei Ausbruch des Krieges bei sich in der Schweiz in Sicherheit zu wissen. «Aber sie wollte nach Kiew zurück, um dort zu helfen.» Jeden Tag fürchte sie um das Leben ihrer Mutter.
«Meine Mutter sagt nicht von sich, dass sie mutig sei. Sie handle nur verantwortungsvoll», so Parakkal. Auf die Frage von Moderator Sandro Brotz, was ihre Mutter als Letztes zu ihr gesagt habe, antwortet sie: «Ich solle mit allen Mitteln versuchen, den Leuten zu sagen, dass die Ukraine ihre Hilfe braucht.»
Die Gäste im Studio 8 zeigten sich betroffen. «Russland greift nicht nur die Ukraine an, sondern auch die westlichen Werte», sagte FDP-Präsident Thierry Burkart und unterstreicht, dass nun Solidarität gefragt sei. «Wir müssen helfen, wo wir können.»
Auch SVP-Ständerat Werner Salzmann äusserte sich hilfsbereit: «Wenn nötig, könnte bei mir eine Person übernachten, das ist überhaupt kein Problem.» Allerdings frage er sich, ob diese Menschen wirklich so weit in den Westen wollten. Es brauche in seinen Augen vor allem Mittel, damit die Leute in der Nähe von ihrem Land bleiben könnten.
Das rief SP-Nationalrätin Samira Marti auf den Plan. Wo die Flüchtlinge hinwollten, sei nicht an der SVP zu entscheiden. «Die Hilfe vor Ort ersetzt nicht den Fakt, dass Menschen aus der Ukraine ein neues Zuhause suchen», so Marti.
Nach diesem Schlagabtausch wandte sich Moderator Brotz an seinen geladenen Osteuropa- und Sicherheitsexperten Benno Zogg zu. Von ihm wollte er eine militärische Einschätzung der aktuellen Lage. Die russische Armee gewinne trotz des Heroismus der Ukraine an Überlegenheit, so Zogg. «Deshalb sehen wir diese Flüchtlingsbewegungen: Es sind wüste Szenen, die sich vor Ort abspielen. Städte werden belagert, angegriffen und es gibt blutige Häuserkämpfe.»
Dabei sei die Ukraine vorwiegend auf sich gestellt. Man könne davon ausgehen, dass die NATO-Truppen nicht eingreifen würden, erklärte Zogg weiter. Schon mit der Waffenlieferung von neutralen Ländern an die Ukraine würde man die Grenzen ausreizen, dass sich Russland nicht angegriffen fühle. «Wladimir Putin hat der NATO gedroht, nicht einzugreifen. Ich fürchte, so traurig es ist, die momentane Herausforderung besteht darin, den Konflikt auf die Ukraine zu begrenzen. Wenn diese Grenze überschritten wird, weiss ich nicht, wo der Krieg ein Ende haben könnte.»
Das Thema führte zur eigentlichen Kernfrage der Sendung: die Neutralität. Soll die Schweiz nichts tun oder Haltung zeigen? Das fragte Brotz als Erstes den SVP-Ständerat. Dieser betonte, dass man hier zwischen Neutralitätsrecht und -politik unterscheiden müsse. «Beim Recht geht es darum, dass wir uns nicht in Kriege einmischen und beispielsweise Waffen liefern. Es stört mich, wenn ich lese, dass die Schweiz ihre Neutralität aufgegeben hat. Das stimmt so nicht», so Salzmann.
SP-Frau Marti störte sich an etwas ganz anderem: «Sie haben die Frage nicht beantwortet, Herr Salzmann», sagte sie. Es gehe darum, was sie als Politikerinnen und Politiker dazu beitragen könnten, den Krieg schnellstmöglich zu beenden. Ihr Vorschlag: «Wir müssen die Finanzierungsquellen für diesen Krieg stoppen.»
Balthasar Glättli, Präsident der Grünen, pflichtete Marti bei. «Neutralität heisst nicht, kein Rückgrat zu zeigen.» In seinen Augen hätte Salzmann eine Vorstellung von Neutralität, die der Realität nicht entspreche. «Nach dem Motto: Man kann die Hände in Unschuld waschen, solange das Geschäft läuft.» Die Schweizer Aussenpolitik müsse davon wegkommen, sich nur um den Aussenhandel zu sorgen.
In der Folge diskutierte Brotz mit seinen Gästen noch über die Abhängigkeit der Schweiz von der Energieversorgung Russlands und ob die Schweizer Armee aufrüsten soll oder nicht. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, den Krieg für die eigene politische Agenda zu nutzen.
Für einen versöhnlichen Schluss sorgte die Ukrainerin Olga Parakkal. «Ich nehme aus dieser Sendung mit, dass die Schweiz mitfühlt und mithelfen will.» Diese Einigkeit brauche die Ukraine jetzt, so Parakkal. «Nur zusammen können wir dieses Monster besiegen.»
Auch ein Schiedsrichter ist Neutral, sanktioniert aber Spieler und Teams, die sich nicht an die Regeln halten.