Es ist nun auf den Tag genau zwei Wochen her, seit dem der Bund die Führung in der Bewältigung der Coronavirus-Krise übernommen hat. Viel ist seither passiert: Der Druck auf die Politik stieg von Tag zu Tag an, nicht zuletzt auch weil sich die Krise im Nachbarland Italien zuspitzte und Herr und Frau Schweizer zusehen konnten, wie andere Länder eine Massnahme nach der anderen ergriffen.
Das änderte sich 4,5 Stunden vor der Aufzeichnung der Parteipräsidenten-«Arena» am Freitag. Der Bundesrat griff durch und verschärfte seine Massnahmen: Die Schweiz wird heruntergefahren, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Genügt das?
Um diese Frage drehte sich die dritte «Arena» zum Coronavirus. Sie wurde erstmals ohne Publikum durchgeführt. Neben den sechs Parteipräsidentinnen und Parteipräsidenten der grossen Parteien durften einzig drei weitere Expertinnen und Experten, drei Gäste sowie Moderator Sandro Brotz mit ins Studio 8 im Zürcher Leutschenbach.
Unter dieser Voraussetzung war die Vermutung berechtigt, dass sich die Diskussion für den Zuschauer zuhause ungewöhnlich anfühlen wird: Es fehlte das Publikum, das applaudiert, wenn gute Statements abgegeben werden.
Brotz wollte etwa am Anfang wissen, ob der Bundesrat in der Coronavirus-Krise alles richtig gemacht habe. FDP-Präsidentin Petra Gössi, SVP-Präsident Albert Rösti und CVP-Präsident Gerhard Pfister präsentierten Einigkeit und lobten die Coronavirus-Massnahmen des Bundesrats – und das obwohl mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und Gesundheitsminister Alain Berset gleich zwei Regierungsmitglieder ein SP-Parteibuch haben.
Nicht mal dem abtretende SVP-Chef Albert Rösti bereitete es Mühe, die Rolle der Oppositionspartei abzulegen: «Das fällt mir nicht schwer.» Der Schutz der Bevölkerung und der betroffenen Gruppen sei in seinem Interesse. Er wolle aber auch betonen, dass das Tessin andere Massnahmen wie die Schliessung der Grenzen fordere.
Je länger die Diskussion lief, desto glaubhafter wurde die kollektiv präsentierte Einigkeit. Grünen-Chefin Regula Rytz lieferte einen Erklärungsansatz dafür, als sie gefragt wurde, ob die Schweiz zu langsam handle: «Es ist sicher nicht an der Politik zu beurteilen, was die Fachleute in der Direktion von Herrn Berset abschätzen.» Auch für sie gehe es nun um den Schutz der Bevölkerung – die Suche nach irgendwelchen Fehlern, Sündenböcken oder dem Haar in der Suppe bringe «überhaupt nichts».
Diese Marschrichtung anerkannte auch der 13-jährige Schüler Raphael Fink, der als Gast in die «Arena» eingeladen wurde. Er erzählte von seiner Verunsicherung und von der Überraschung, wie schnell der Unterricht abgesagt wurde. «Ich finde aber, dass diese Massnahme begreiflich ist. So kann man die Fallzahlen eindämmen. Wir sind eine Schule mit über 1700 Schülern, und wenn es dort jemanden hat, dann wird schnell jemand krank.»
Das beeindruckte auch den «Arena»-Moderator Sandro Brotz. Es wäre ein Moment gewesen, in dem das Publikum applaudiert hätte. Der Beifall konnte aber von den leeren Sitzplätzen nicht erwartet werden. Und so eilte die Diskussion weiter und lieferte Grund für kritische Voten.
Das dicke Massnahmenpaket des Bundesrates lieferte aus Sicht der Parteichefs nämlich viele offene Fragen. Beim eingestellten Schulbetrieb etwa herrsche Unsicherheit, was mit Schülern passiere, die nun zuhause wegen arbeitenden Eltern nicht betreut werden könnten.
In diesem Punkt kam Regierungsrätin und oberste Schweizer Erziehungsdirektorin Silvia Steiner (CVP/ZH) zu Wort. Sie führte aus, dass in ihrem Kanton die Schulen nicht geschlossen seien und sie weiterhin offen stehen für jene Eltern, die ihre Kinder wegen des Berufs nicht selbst betreuen können. «Ich möchte kein einziges Kind unbetreut und kein einziges Kind auf der Strasse herumlungern sehen, nur weil es nicht weiss, wo es sich aufhalten soll.» Für jedes Kind müsse man nun individuell eine Lösung finden.
Unsicherheit herrschte nicht nur wegen den Kindern – auch die Wirtschaft war ein Thema. Zu Wort meldete sich der Gewerbler Peter Hug, der sein Geld mit einer mobilen Gelaterie verdient. «Seit zehn Tagen steht alles still.» Die Situation sei für ihn enorm schwierig, weil ihm Einkommensausfall für die nächsten zwei, drei Monate drohe.
Die neusten Massnahmen des Bundes könne er schon verstehen. Jedoch kritisiert er: «Wenn der Bundesrat sowas entscheidet, dann muss er auch für das Kleingewerbe schauen.»
Grund für seine Verunsicherung ist die Tatsache, dass selbstständige Gewerbler in Notsituationen nicht auf die Kurzarbeit zurückgreifen können. In der «Arena» waren sich alle einig, dass diese Gruppe von Unternehmerinnen und Unternehmern nun auch eine Lösung brauche, nachdem der Bundesrat zehn Milliarden Franken Soforthilfe für die Wirtschaft versprochen hat.
Ein Vorschlag lag auch schon zum Beginn der Sendung auf dem Tisch: Politikerinnen und Politiker von CVP, SVP und SP fordern im Bundeshaus die Schaffung eines Fonds, mit dem 500 Millionen Franken für solche Gewerblerinnen und Gewerbler gesprochen werden soll. Nicht dabei ist die FDP. Ihre Parteichefin Petra Gössi kritisierte, dass es zu lange dauere, einen solchen Fonds zu schaffen. Ihrem Argument, dass andere Lösungen schneller umgesetzt werden könnten, stimmte SP-Präsident Levrat zu.
Einsichtig zeigte sich der abtretende SP-Chef auch, als Brotz ihn im Direktgespräch in die Mangel nahm. Der Moderator fragte ihn provokativ, was denn die dümmste Idee sei, die die SP im Zusammenhang mit dem Coronavirus geliefert habe.
Auf Levrats Bitte, ihm das zu sagen, erwähnte Brotz die umstrittene SP-Kampagne, bei der die Partei das offizielle Coronavirus-Plakat des Bundes manipulierte, um politische Forderungen zu bewerben. «Blöde Idee gewesen, oder?», fragte Brotz. Der Sozialdemokrat zeigte sich widerstandslos demütig und stimmte ihm zu. Die Kampagne sei gestoppt worden.
Man glaubt es kaum, alle Parteien vereint zu sehen in Einmütigkeit und – so scheint es – auch in Demut.
Die Reihen werden hinter den Experten und der Wissenschaft geschlossen gegenüber der gemeinsamen Bedrohung.
Es zeigt auch, was möglich ist und welche Kräfte in einer solchen Situation mobilisiert werden können.
Dies weckt die Hoffnung, dass nach dieser Krise vielleicht etwas übrig bleibt von diesem Geist, um mindestens so grosse, langfristige Herausforderungen anzugehen, bevor uns das Wasser bis zum Hals steht.