Viel Zeit zum Anstossen blieb den neu gewählten Nationalrätinnen und Nationalräten nach der Vereidigung nicht: Gleich zwei Sachgeschäfte standen am Montagabend nach den Festlichkeiten auf der Traktandenliste der grossen Kammer. Besonders das eine hat es in sich – wohl auch, weil es ein grundsätzliches Spannungsfeld offenbart. Seit Jahren setzen sich Umweltschutzorganisationen für mehr Biodiversität in landwirtschaftlich geprägten Gebieten ein, ebenso lange wehrt sich der Bauernverband dagegen.
Kern der neuesten Auseinandersetzung ist eine Bestimmung aus dem landwirtschaftlichen Verordnungspaket 2023. Diese sieht vor, dass Landwirtinnen und Landwirte auf ihren Äckern künftig mehr Flächen zugunsten der Biodiversität ausscheiden sollen. Wer einen Hof mit mehr als 3 Hektaren offener Ackerfläche besitzt, muss künftig mindestens 3,5 Prozent dieser Fläche für die Biodiversität reservieren und dort etwa Blühstreifen ansäen oder Hochstamm-Obstbäume pflanzen.
Zwar scheiterten zuletzt im Parlament mehrere Versuche, welche die Anforderung gänzlich streichen wollten. Doch um den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmung wird noch immer gestritten. Dazu muss man wissen: Eigentlich hätte die 3,5-Prozent-Regel bereits ab Anfang 2023 gelten sollen. Doch der Bundesrat hat die Einführung «aufgrund der unsicheren Versorgungslage wegen des Ukrainekriegs» um ein Jahr verschoben – auf den 1. Januar 2024.
Nun fordern bauernnahe Vertreter im Parlament, das Inkrafttreten um ein weiteres Jahr zu verschieben. Schliesslich seien noch viele Fragen in Bezug auf die Umsetzung in der Praxis offen – etwa, was alles den Biodiversitätsförderflächen angerechnet werden kann. Einer entsprechenden Motion von Ständerätin Esther Friedli (SVP/SG) hat die kleine Kammer bereits zugestimmt – entgegen dem Antrag des Bundesrats. Dieser sieht in einer erneuten Verschiebung einen Verstoss gegen Treu und Glauben: «Betriebe, die bereits gehandelt haben, würden bestraft.» Ohnehin, so der Bundesrat, werde er «die Praxistauglichkeit der Massnahme im nächsten Jahr evaluieren, den Handlungsbedarf abklären und falls notwendig Anpassungen prüfen».
Wirtschaftsminister Guy Parmelin vermochte den neu zusammengesetzten Nationalrat allerdings nicht zu überzeugen. Gleich am ersten Tag der neuen Legislatur demonstrierte die schlagkräftige Gruppe der bauernnahen Politiker ihre Macht. Der Nationalrat hat dem erneuten Aufschub mit 119 zu 68 Stimmen zugestimmt. Nationalrat und Landwirt Marcel Dettling (SVP/SZ) argumentierte damit, dass die Landwirte schon heute «drei Mal mehr für die Biodiversität tun als vom Staat gefordert». Er erklärte zudem, dass die Angst unbegründet sei, wonach Bauern abgestraft würden, welche die Massnahmen bereits umgesetzt haben. Der Bund entrichte die dafür vorgesehenen Beiträge ohnehin.
Eine Minderheit um Nationalrätin Kathrin Bertschy (GLP/BE) hat sich vergeblich gegen die Motion gestellt. Sie verwies darauf, dass die 3,5-Prozent-Regel wichtig sei, um «die Biodiversität zu schützen und die Wirtschaftsgrundlage der Bauern zu erhalten». Zudem sei es «demokratisch fragwürdig», ein gegenüber der Stimmbevölkerung gemachtes Versprechen erneut zu verzögern oder gar zurückziehen zu wollen.
Denn unter der Linken wird befürchtet, dass die Bauern rund um Verbandspräsident Markus Ritter die Massnahme nur aufschieben wollen, um sie im nächsten Jahr dann gänzlich zu streichen. Dem widersprach Olivier Feller (FDP/VD) als Berichterstatter der vorberatenden Kommission: «Die Wirtschaftskommission stellt die Umsetzung der Vorgabe nicht infrage.» Unklar ist, ob das Ritter und der Bauernverband gleich sehen. (aargauerzeitung.ch)
Irgendetwas stimmt da nicht!