Ist ein Riss in einer Tunneldecke eine Laune der Natur? Diesen Eindruck erwecken die Aussagen von Verkehrsminister Albert Rösti. «Wir sind in der Natur, die Risiken können nie ganz ausgeschlossen werden», sagte er am Montag im Fernsehen SRF. Am Gotthard sei «sehr, sehr lange» nichts passiert und jetzt «zufällig» zwei Dinge zusammen. Rösti spielt damit auf das zweite blockierte Nadelöhr auf der Nord-Süd-Achse an, den Bahntunnel.
Seit Sonntag ist nun auch der Gotthard-Strassentunnel zu. In der Nähe des nördlichen Portals hatten sich Betonteile von der Tunneldecke gelöst und waren auf die Fahrbahn gefallen. Bei einer Inspektion entdeckten die Fachleute in der Zwischendecke einen 25 Meter langen Riss.
Ist das wirklich Zufall? Gerade die Zwischendecke erwies sich bei früheren Kontrollen als sanierungsbedürftig. Bereits 2010 kam der Bundesrat zum Schluss, dass ihr Zustand «teilweise schadhaft» sei und sie ersetzt werden müsse.
Noch kritischer schätzte er die Situation an den beiden Tunnelportalen ein – also genau an jener Stelle, an der sich am Sonntag Betonteile lösten. Dort weise die Zwischendecke eine «fortgeschrittene Korrosion» und die Tragsicherheit «in diesen Bereichen keine Reserven» mehr auf. Als Hauptgrund für die Korrosion nannte er die Feuchtigkeit, die in den Wintermonaten in den Tunnel zog.
Die Zwischendecke ist die Achillesferse eines Tunnels, quasi das baulich schwächste Glied. Über sie wird die Frischluft zu- und Abluft abgeführt. Das ist insbesondere bei einem Brand essenziell. In diesem Fall entzieht die Zwischendecke dem Tunnel Brandabgase und ermöglicht den Fahrzeuglenkern, sich zu retten.
Die Zwischendecke ist nicht das einzige Sorgenkind des Jahrhundertbauwerks. Der Gotthardtunnel ist dringend sanierungsbedürftig. Die 1980 eröffnete Transitachse ist in die Jahre gekommen. Und auch das hohe Verkehrsaufkommen von seither über 200 Millionen Fahrzeugen fordert seinen Tribut. Der Tunnel kann aber erst ab 2029 umfassend saniert werden, wenn die zweite Röhre eröffnet wird. So hat es das Stimmvolk 2016 entschieden.
Nach dem jüngsten Zwischenfall stellt sich deshalb die Frage: Müsste der Strassentunnel nicht früher saniert werden? Dieser Meinung war der Bundesrat ursprünglich, als es um den Bau der zweiten Röhre ging. Der Tunnel müsse zwischen 2020 und 2025 umfassend saniert werden, schrieb er 2013 in seiner Botschaft an das Parlament. Zu diesem Zeitpunkt habe der Tunnel 40 bis 45 Betriebsjahre auf dem Buckel.
Der Bundesrat machte dabei deutlich, dass eine gewisse Eile geboten sei. Der Abschluss der Sanierungsarbeiten müsse bis «spätestens 2025» erfolgen. «Ohne diese Massnahmen können die Funktionstüchtigkeit und somit die Sicherheit im Gotthard-Strassentunnel ab 2025 nicht mehr vollumfänglich gewährleistet werden.» Wie umfassend die Sanierung ausfallen würde, zeigt der Umstand, dass dazu eine Vollsperrung des Tunnels von 2.5 Jahren notwendig wäre.
Einen Landesteil für so lange Zeit faktisch abzutrennen, kamen für Parlament und Bundesrat nicht infrage. Damit die wichtige Nord-Süd-Verbindung auch während der Sanierung offenbleibt, sprach sich die Politik für den Bau einer zweiten Röhre aus. Anschliessend sollte der alte Tunnel saniert werden. Allerdings machte der Bundesrat in seiner Botschaft klar: Bei der Zwischendecke könne nicht länger zugewartet werden.
Weil der Bau einer zweiten Röhre bis 2025 unrealistisch war, schlug er zur Überbrückung weitreichende Massnahmen vor, um den Tunnel weiterhin sicher betreiben zu können. Dafür sollte dieser während 140 Tagen geschlossen werden.
Im November 2015 kam die unerwartete Wende. Drei Monate vor der Abstimmung über die zweite Gotthardröhre legte das Astra einen neuen Bericht vor. Weitere Untersuchungen hätten gezeigt, dass sich der Zerfall der Zwischendecke durch eine neue Schutzschicht verlangsamen lasse. Auf diese Weise seien keine «umfassenden Sanierungs- oder Ersatzarbeiten bis 2035» notwendig. Im Abstimmungsbüchlein hiess es dann, die «dringenden Reparaturen» könnten während der Nacht ausgeführt werden.
Was sagt das Astra zu den früheren Berichten? Auf Anfrage erklärt Sprecher Thomas Rohrbach, dessen Erkenntnisse hätten auch heute noch Gültigkeit. Trotzdem seien die am Sonntag aufgetretenen Schäden «nicht auf den baulichen Zustand des Tunnels» zurückzuführen. Dieser falle wie 80 Prozent aller Nationalstrassentunnels in die Kategorie «gut – mittel – ausreichend» und sei sicher befahrbar.
Laut bisherigen Erkenntnissen sieht der Bund die Ursache mit grosser Wahrscheinlichkeit bei einer Spannungsumlagerung im Gebirge. «Diese hat zu lokalen Druckveränderungen geführt und den Tunnel im betroffenen Abschnitt belastet», sagt Rohrbach weiter. Grund dafür könnten die umfangreichen Ausbruchsarbeiten für den Bau der zweiten Röhre sein. Dem Berg werde mit den baulichen Massnahmen «einiges zugemutet», betont das Astra. (aargauerzeitung.ch)
Öööhhhmmm….und in welche Kategorie fallen die anderen 20%? 😳