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Christoph Blocher wird 80 – aufhören mit der Politik will er aber nicht

ARCHIVBILD ZUR MELDUNG, DASS SICH CHRISTOPH BLOCHER VOLLSTAENDIG AUS DER POLITIK ZUR
Bild: keystone

Zum 80. zieht sich Blocher aus der Parteipolitik zurück – nicht aber aus der Politik

Christoph Blocher wird 80 Jahre alt. Seine Kräfte schwinden, sagt er. In der SVP rumort es. Aber ein Rückzug aus der Politik komme nicht in Frage.
11.10.2020, 06:4511.10.2020, 12:21
Francesco Benini
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Was für eine Aufregung! «Blocher verkündet Rückzug aus der Politik», meldet die Online-Ausgabe des «Blicks» am Freitagmorgen. Hört der Übervater der SVP auf, jetzt, da er seinen 80. Geburtstag feiert?

Natürlich nicht. Ein Journalist des Schweizer Fernsehens hatte seinen Beitrag, der am Abend in der Sendung «10 vor 10» ausgestrahlt wurde, allzu offensiv angekündigt, auf Twitter.

Blocher war darob nicht amüsiert. «Ich ziehe mich aus der Parteipolitik zurück, aber nicht aus der Politik», sagte er dieser Zeitung wenig später am Telefon. Er werde dazu beitragen, dass der Rahmenvertrag mit der EU Schiffbruch erleide.

Blocher wird am Sonntag 80. Und in der SVP ändert sich nichts. Auch der Rückzug aus der Parteipolitik, von dem Blocher nun spricht, ist ein Gaukelbild. Er sitzt zwar in keinem Parteigremium mehr. Aber die grossen Linien der SVP gibt Blocher vor wie eh und je. Und vor wichtigen Personalentscheiden wird der Parteivater konsultiert. Manchmal stösst er sie auch an.

Manchmal wirkt er wie jemand, der die Welt nicht mehr versteht

Blochers Dominanz war kein Problem, solange die SVP wuchs und wuchs. Nun fällt sie in den Wahlen zurück, schneidet schlecht ab in Volksabstimmungen – und in der Partei wächst die Zahl derer, die sich einen anderen Kurs wünschen: weniger auf die Kritik an der Zuwanderung und an der EU ausgerichtet, weniger konfrontativ gegenüber anderen Parteien, kompromissbereiter.

Blocher ficht das nicht an. «Es gibt nichts Neues unter der Sonne», sagt er. Er meint damit den Streit in der Partei, der ausbrach, nachdem er 1977 die Kantonalzürcher Sektion übernommen hatte. Blocher gab ihr eine nationalkonservative Ausrichtung – was vor allem in Bern auf Unverständnis stiess. Blocher zeigte dann, wie man strategisch ans Werk geht: Sein Verbündeter Ueli Maurer gründete als Präsident der SVP eine Kantonalsektion nach der anderen. Blocher und Maurer achteten darauf, dass in die neuen Parteiämter stets Politiker kamen, die auf ihrer Linie waren. So standen die Berner mit ihrer moderateren Ausrichtung bald alleine da. Und knickten schliesslich ein.

Blocher brachte die SVP auf fast 30 Wählerprozente, er machte aus dem Unternehmen Ems einen Milliardenkonzern, er war Oberst und Regimentskommandant – der Herrliberger spricht von der «Dreifaltigkeit des helvetischen Staates»: Unternehmer, Politiker, Militärkarriere. In allen Bereichen war sein Erfolg sehr gross. Ausserdem baute er eine bedeutende Kunstsammlung auf.

Es ist jedoch eine Generation herangewachsen, die andere Prioritäten setzt. Die sich eine Familienpolitik wünscht, die den Frauen die Teilnahme an der Arbeitswelt weniger erschwert. Die Jungen fordern Massnahmen gegen die Klimaerwärmung und Reformen in der Altersvorsorge.

Blocher kann damit nicht viel anfangen. Nach dem Abstimmungssonntag von Ende September, an dem die SVP gleich vier klare Niederlagen einstecken musste, sprach er von «Dekadenz». Er wirkte wie jemand, der nicht verstehen kann, dass die Welt nicht mehr gleich funktioniert wie früher.

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Einen Nachfolger aufzubauen, das interessiert Blocher nicht

Im Zentrum steht für ihn nach wie vor die Unabhängigkeit des Landes und damit der Kampf gegen den vermaledeiten Rahmenvertrag. Darauf konzentriert Blocher seine Kräfte. Es zeichnet sich ab, dass er in der Ablehnung des Vertrages nicht mehr so alleine dastehen wird wie 1992, als er seinen grössten politischen Erfolg errang: Die Schweizer Stimmberechtigten lehnten den Beitritt des Landes in den Europäischen Wirtschaftsraum ab. Blocher sagt nun, er habe den Beitritt der Schweiz zur EU verhindert. So weit war man damals aber noch nicht. Zum Aufstieg der SVP trug die Abstimmungsschlacht von 1992 jedenfalls massgebend bei.

Die grösste Niederlage erlitt er 2007, als er aus dem Bundesrat abgewählt wurde. Ein Weggefährte meint, der «Mangel an Konzilianz», der den Blochers eigen sei, habe dazu geführt. Der Vater verlor die Stelle als Pfarrer, Bruder Gerhard ebenso. Und Christoph Blocher habe in Bundesbern, wo er gründlich aufräumen wollte, allzu viele Menschen seine Geringschätzung spüren lassen. Im Bundesrat war man nicht unglücklich über seine Abwahl. Blocher hatte die Regierungskollegen Woche für Woche mit einer Flut von Mitberichten auf Trab gehalten.

Blocher traf die Abwahl tief. Es erfüllte ihn mit Missmut, dass er die Strategie seiner Gegner nicht antizipiert hatte. Die SVP verabschiedete sich in die Opposition, aber nur kurz. Nach zwei Jahren der Bedrückung richtete sich Blocher wieder auf. Parteipräsident Toni Brunner erwies sich als Glücksfall für die SVP. Und im Hintergrund zog Blocher die Fäden.

Ein Parteiexponent sagt, er wolle sich nicht vorstellen, was geschehe, wenn der Parteivater nicht mehr da sei. Personell sei die Partei zu wenig gut aufgestellt. Es drohten Konflikte auszubrechen, die jetzt unter dem Deckel gehalten werden könnten – zum Beispiel zwischen Magdalena Martullo-Blocher und Roger Köppel. «Die beiden sind völlig verschieden, aber in einem sind sie sich gleich: Der Eine hält den Anderen für überschätzt. Wechselseitig.»

Einen Nachfolger aufzubauen, das ist nicht Blochers Sache. Er tat das auch nicht bei der Ems. Als er in den Bundesrat gewählt wurde, standen seine Kinder bereit. Sie leiten die Unternehmen mit grossem Geschick. Wobei bei Magdalena Martullo-Blocher die Familientradition der fehlenden Konzilianz eine besondere Ausprägung erfahren hat.

«Das Leben ist ein unglaublicher Zufall, Glück, Fügung, Gnade», sagt Blocher in einem Interview. Manchmal dauert es einen Moment, bis ihm das richtige Wort einfällt. «Die Kräfte schwinden, das Gedächtnis lässt nach.» Aber ein Abschied aus der Politik – das kommt nicht in Frage.

Blocher wird am Sonntag mit der Frau feiern, den vier Kindern, ihren Partnern und mit den zwölf Enkeln. Der Jubilar hat eine Maskenpflicht verhängt. In der SVP gibt Blocher die Macht nicht ab. Aber seit Corona zählt er zur Risikogruppe.

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54 Kommentare
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Jonaman
11.10.2020 11:25registriert Oktober 2017
"Er werde dazu beitragen, dass der Rahmenvertrag mit der EU Schiffbruch erleide."
So eine Aussage zeigt deutlich, dass er gar nicht an einem guten Vertrag interessiert ist, sondern dass er lieber gar keinen Vertrag mit der EU hat.
Dass eine solche Abschottung massive negative Folgen hat ist ihm egal, Hauptsache gefühlt unabhängig. In Wahrheit sind wir nämlich abhängig von der EU, egal was wir tun.
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FrancoL
11.10.2020 11:53registriert November 2015
Es ist jedoch eine Generation herangewachsen, die andere Prioritäten setzt.

Falsch, die gab es schon immer, darum wuchs die SVP auch nicht über 30% und hatte häufig 70% gegen sich.
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Unicron
11.10.2020 16:21registriert November 2016
Ich hasse es wenn Rentner versuchen das Land/die Welt für die Jungen an die Wand zu fahren.

Nicht ein 80 jähriger Milliardär soll entscheiden wie es mit dem Land weiter gehen soll, er muss die Konsequenzen ja sowieso nicht mehr tragen.
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