Die Masseneinwanderungsinitiative und ihre knappe Annahme im Februar 2014 waren für viele ein Schock. Sechseinhalb Jahre später ist dieser Entscheid korrigiert worden – dank Selbstsabotage der SVP. Ihre Begrenzungs- oder Kündigungsinitiative – eigentlich eine Durchsetzungsinitiative zur MEI – wurde mit mehr als 60 Prozent Nein abserviert.
Zum zweiten Mal ist die Volkspartei mit dem Versuch, einem Abstimmungserfolg mit einer Folgeinitiative «nachzuhelfen», auf die Nase gefallen. Anfang 2016 hatte sie dies bei der Ausschaffungsinitiative versucht. Von der damaligen epochalen Niederlage hat sich die SVP nie erholt. Doch durch Schaden wird man nicht immer klug, wie der neueste Flop zeigt.
Natürlich gibt es «externe» Gründe für das Scheitern der Begrenzungsinitiative, etwa die rückläufige Zuwanderung aus der EU. Durch die Corona-Pandemie hat sich zudem die Lust auf Experimente in Grenzen gehalten. Wer will in einer Zeit grosser wirtschaftlicher Unsicherheit das Verhältnis zum wichtigsten Handelspartner strapazieren?
Im Endeffekt aber ist die SVP bei ihrem Angriff auf die bilateralen Verträge an sich selbst gescheitert. Die Volkspartei hat in mehrfacher Hinsicht den Bezug zum «Volk» verloren.
Ausserhalb ihrer Kernthemen ist sie programmatisch ausgeblutet. Das ist fatal, wenn die Kernthemen nicht mehr ziehen. Prekär ist die personelle Lage. Christoph Blocher, Ueli Maurer, Toni Bortoluzzi, Toni Brunner oder Adrian Amstutz hatten einen Draht zu Basis. Heute dominieren studierte Anzugträger wie Thomas Aeschi oder Thomas Matter.
Ihre Kraftmeiereien wirken bemüht und erreichen die Basis immer weniger. Und die Schweiz als Ganzes ist in den letzten Jahren multikultureller, urbaner und offener geworden. Das zeigt sich etwa am Abstimmungsverhalten in den Agglomerationen, das zunehmend nach links tendiert. Mit Edelweisshemden und Jodlerfesten kommt die SVP nicht mehr an.
SVP-Nationalrat Thomas Aeschi zum BGI-Schiffbruch: "4 von 10 Schweizern haben der Vorlage zugestimmt. Das ist ein guter Wert." @watson_news pic.twitter.com/Au2k5BunRh
— Dennis Andrew Frasch (@FraschDennis) September 27, 2020
Es erstaunt wenig, dass einer wie Andreas Glarner mit dieser Entwicklung Mühe hat. Seine Pöbeleien werden der Partei nicht helfen. Sie zeigen im Gegenteil, dass die SVP die Schweiz nicht mehr versteht. Und nicht verstehen will. An der Delegiertenversammlung in Brugg im August war die Angst vor dem Identitätsverlust mit Händen zu greifen.
Es gibt jüngere Parteigänger, die die Herausforderung annehmen und die SVP breiter aufstellen wollen. Der von der Partei bekämpfte und vom Volk klar angenommene Vaterschaftsurlaub kam in Brugg auf 32 Ja-Stimmen. Das ist in der auf Einstimmigkeit bedachten SVP ein kleinerer Aufstand. Ein echtes Umdenken wird er kaum auslösen.
Es ist nicht glaubwürdig, wenn die SVP gegen Manager und Grosskonzerne polemisiert und gleichzeitig eine Wirtschafts- und Steuerpolitik propagiert, die ihnen entgegen kommt und die Zuwanderung anheizt. In den Kantonen und Gemeinden mag die SVP immer noch Erfolge erzielen. National aber sind ihre Perspektiven zunehmend düster.
Warum nennt sich die SVP nicht VoV?