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Durchsetzungs-Initiative: Secondos glauben Vogt nicht

Hans-Ueli Vogt vor einem seiner Wahlplakate während des letztlich erfolglosen Ständeratswahlkampfs 2015.
Hans-Ueli Vogt vor einem seiner Wahlplakate während des letztlich erfolglosen Ständeratswahlkampfs 2015.
Bild: KEYSTONE

Hans-Ueli Vogt will Secondos nicht ausschaffen lassen – «gefährlich», sagen diese

In einem Interview zur Durchsetzungs-Initiative sagt der SVP-Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt, dass in der Schweiz geborene Secondos nicht wegen Bagatelldelikten ausgeschafft werden sollen. Eine reine Nebelpetarde, sagen Secondo-Politikerinnen. Aber Vogt ist in der SVP nicht allein mit seiner Haltung.
05.01.2016, 12:02
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Rund zwei Monate vor der Abstimmung zur Durchsetzungs-Initiative macht der Zürcher SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt in einem Interview mit der «Schweiz am Sonntag» einen spektakulären Rückzieher. Und zwar mit folgender Aussage:

«Secondos gehören zwar nicht zur Gemeinschaft der Schweizer Bürger, aber sie gehören zu unserer Rechts- und Sozialgemeinschaft. Aus dieser Gemeinschaft können und sollen wir Menschen nicht ausschliessen. Wer hier geboren ist, soll auch nach einer Annahme der Durchsetzungs-Initiative in der Schweiz bleiben dürfen.»

Die Durchsetzungs-Initiative (DSI), deren Initiativtext den Begriff Rechts- und Sozialgemeinschaft nirgends enthält, lässt indes keinen Spielraum. Ausländerinnen und Ausländer, die wegen eines beliebigen mit Geld- oder Freiheitsstrafe sanktionierten Deliktes verurteilt werden und dann innert zehn Jahren eines aus dem Deliktskatalog der DSI begehen, sind auszuschaffen. 

Demgegenüber erweckt Vogt nun den Eindruck, die Schweizer Gerichte könnten in der Auslegung des Gesetzesartikels für in der Schweiz geborene Secondos eine Ausnahmeregelung definieren.  

Weiter sagt Vogt, die Annahme und Umsetzung der Durchsetzungs-Initiative hätten nicht automatisch eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zur Folge. Es gebe immer wieder Länder, die einzelne Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht umsetzten. 

Auch das ist eine spektakuläre Kehrtwende. Im SRF-«Dok»-Film «Die Macht des Volkes», ausgestrahlt am 17. Dezember, erklärt Vogt, dass man, sollte die Durchsetzungs-Initiative wegen übergeordneten Rechts nicht umgesetzt werden können, eine «EMRK-Kündigung in Kauf nehmen muss, im Extremfall, wenn der Europarat das nicht duldet». 

Für die Schweizer Seconda-Politikerin Yvonne Braendle-Amolo (SP) ändert sich an der Beurteilung der Durchsetzungs-Initiative nichts. «Man könnte sagen, Vogt macht einen Schritt in die richtige Richtung, aber der Ansatz, Sanktionen für gewisse Delikte von der Nationalität abhängig zu machen, ist natürlich immer noch falsch.» 

Dass Vogt als einflussreicher SVP-Jurist tatsächlich Konzessionen bei der DSI machen will, glaubt Braendle-Amolo nicht. «Der Initiativ-Text lässt den Gerichten eigentlich keinen Interpretationsspielraum, das ist ja genau der Sinn der Initiative. Wenn Vogt nun solche Modifikationen vorschlägt, die es nicht geben kann, dann ist das gefährlich und dient dazu, das Stimmvolk einzulullen», sagt Braendle-Amolo. Wenn er das nur lange genug mache, entstehe der Eindruck, im Initiativtext sei ein Secondoschutz verankert. «Aber das ist einfach nicht so», sagt Yvonne Braendle-Amolo. 

Yvonne Braendle-Amolo.  
Yvonne Braendle-Amolo.  
Bild:

Sibel Arslan, Juristin und frischgewählte Nationalrätin der BastA/Grünen (BS), spricht Vogt lautere Motive ebenfalls ab. «Wenn Vogt nun behauptet, dass die EMRK wegen der Durchsetzungs-Initiative nicht gekündigt werden müsste, dann sagt er dies wohl aus politischem Kalkül, aber nicht mit juristischen Argumenten.» Der Initiativtext nehme den Richtern den Ermessensspielraum, die Verhältnismässigkeit im Einzelfall sei ausser Kraft gesetzt. «Heisst: Die ersten Ausschaffungsurteile nach DSI müssen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kassiert werden. Was konsequenterweise die Kündigung der EMRK zur Folge haben müsste. Und das ist letztlich das Ziel der ganzen Übung», ist Arslan überzeugt. 

Die SVP bezeichnete Vogts Aussagen als dessen Privatmeinung und distanzierte sich von dieser. Vogt selbst wollte seinen Aussagen in der «Schweiz am Sonntag» auf Anfrage nichts hinzufügen. Vogt ist nicht der einzige SVP-Exponent, der öffentlich Abstriche an der Umsetzung der DSI in Erwägung zieht. Auch der Schaffhauser Nationalrat Hannes German und die beiden SVP-Ständeräte Alex Kuprecht (SZ) und Roland Eberle (TG) sind der Auffassung, dass man Secondos, deren Eltern in der Schweiz leben und die keinen Bezug zum Heimatland hätten, kaum ausschaffen könne. Auch die SVP-Regierungsräte Christoph Neuhaus (Bern) und Ernst Landolt (Schaffhausen) lehnen die DSI öffentlich ab. Neuhaus bezeichnete sie in einem Interview gar als «holzschnittartig».     (thi)

Polit-Plakate mit herabsetzender Tier-Metaphorik

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Polit-Plakate mit herabsetzender Tiermetaphorik
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quelle: keystone / karl mathis
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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Jonasn
05.01.2016 12:27registriert Februar 2014
Das ist wählerfang und klare Taktik. Es geht der SVP nicht um lästige Details, lediglich Wählerstimmen sind wichtig. Daher werden jetzt immer mal wieder solche Aussagen eingestreut, um unsichere Wähler zu fangen, die nicht sicher sind, ob die Initiative nicht doch zu hart ist. Gleichzeitig distanziert sich die SVP leise, um den braunen Rand an Bord zu halten. Das ist Wahlkampftaktik für die Initiative, mehr nicht. Jegliche detaildiskussion erübrigt sich.
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SomeoneElse
05.01.2016 12:16registriert Februar 2014
Klar, die Richter entscheiden dann "gegen die SVP-Initiative" und diese können dann gegen die "Kuschelrichter" hetzen. Bald haben wir dann eine Initiative "Volkswahl von Richtern" und der Rechtsstaat funktioniert so wie die Junta es gerne hat. Der Totalangriff auf unsere Freiheit von den selbsternannten Freiheitskämpfern...
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klugundweise
05.01.2016 12:14registriert Februar 2014
Nicht Vogt sagt in der SVP was Sache ist, sondern nur einer. Und der hat klare Direktiven erteilt, seine Jünger werden ihm folgen. Vogt wird zusammen mit den anderen Abtrünnigen aufs Abstellgleis geschoben. So funktioniert bekanntlich Demoktatie bei den Rettern der Schweiz.
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