
Sag das doch deinen Freunden!
Rund zwei Monate vor der Abstimmung zur Durchsetzungs-Initiative macht der Zürcher SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt in einem Interview mit der «Schweiz am Sonntag» einen spektakulären Rückzieher. Und zwar mit folgender Aussage:
Die Durchsetzungs-Initiative (DSI), deren Initiativtext den Begriff Rechts- und Sozialgemeinschaft nirgends enthält, lässt indes keinen Spielraum. Ausländerinnen und Ausländer, die wegen eines beliebigen mit Geld- oder Freiheitsstrafe sanktionierten Deliktes verurteilt werden und dann innert zehn Jahren eines aus dem Deliktskatalog der DSI begehen, sind auszuschaffen.
Demgegenüber erweckt Vogt nun den Eindruck, die Schweizer Gerichte könnten in der Auslegung des Gesetzesartikels für in der Schweiz geborene Secondos eine Ausnahmeregelung definieren.
Weiter sagt Vogt, die Annahme und Umsetzung der Durchsetzungs-Initiative hätten nicht automatisch eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zur Folge. Es gebe immer wieder Länder, die einzelne Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht umsetzten.
Auch das ist eine spektakuläre Kehrtwende. Im SRF-«Dok»-Film «Die Macht des Volkes», ausgestrahlt am 17. Dezember, erklärt Vogt, dass man, sollte die Durchsetzungs-Initiative wegen übergeordneten Rechts nicht umgesetzt werden können, eine «EMRK-Kündigung in Kauf nehmen muss, im Extremfall, wenn der Europarat das nicht duldet».
Für die Schweizer Seconda-Politikerin Yvonne Braendle-Amolo (SP) ändert sich an der Beurteilung der Durchsetzungs-Initiative nichts. «Man könnte sagen, Vogt macht einen Schritt in die richtige Richtung, aber der Ansatz, Sanktionen für gewisse Delikte von der Nationalität abhängig zu machen, ist natürlich immer noch falsch.»
Dass Vogt als einflussreicher SVP-Jurist tatsächlich Konzessionen bei der DSI machen will, glaubt Braendle-Amolo nicht. «Der Initiativ-Text lässt den Gerichten eigentlich keinen Interpretationsspielraum, das ist ja genau der Sinn der Initiative. Wenn Vogt nun solche Modifikationen vorschlägt, die es nicht geben kann, dann ist das gefährlich und dient dazu, das Stimmvolk einzulullen», sagt Braendle-Amolo. Wenn er das nur lange genug mache, entstehe der Eindruck, im Initiativtext sei ein Secondoschutz verankert. «Aber das ist einfach nicht so», sagt Yvonne Braendle-Amolo.
Sibel Arslan, Juristin und frischgewählte Nationalrätin der BastA/Grünen (BS), spricht Vogt lautere Motive ebenfalls ab. «Wenn Vogt nun behauptet, dass die EMRK wegen der Durchsetzungs-Initiative nicht gekündigt werden müsste, dann sagt er dies wohl aus politischem Kalkül, aber nicht mit juristischen Argumenten.» Der Initiativtext nehme den Richtern den Ermessensspielraum, die Verhältnismässigkeit im Einzelfall sei ausser Kraft gesetzt. «Heisst: Die ersten Ausschaffungsurteile nach DSI müssen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kassiert werden. Was konsequenterweise die Kündigung der EMRK zur Folge haben müsste. Und das ist letztlich das Ziel der ganzen Übung», ist Arslan überzeugt.
Die SVP bezeichnete Vogts Aussagen als dessen Privatmeinung und distanzierte sich von dieser. Vogt selbst wollte seinen Aussagen in der «Schweiz am Sonntag» auf Anfrage nichts hinzufügen. Vogt ist nicht der einzige SVP-Exponent, der öffentlich Abstriche an der Umsetzung der DSI in Erwägung zieht. Auch der Schaffhauser Nationalrat Hannes German und die beiden SVP-Ständeräte Alex Kuprecht (SZ) und Roland Eberle (TG) sind der Auffassung, dass man Secondos, deren Eltern in der Schweiz leben und die keinen Bezug zum Heimatland hätten, kaum ausschaffen könne. Auch die SVP-Regierungsräte Christoph Neuhaus (Bern) und Ernst Landolt (Schaffhausen) lehnen die DSI öffentlich ab. Neuhaus bezeichnete sie in einem Interview gar als «holzschnittartig». (thi)