Die Tabakindustrie und ihre politischen Verbündeten wehren sich mit aller Kraft gegen die Volksinitiative «Kinder ohne Tabakwerbung», die am 13. Februar an die Urne kommt. Die Nein-Kampagne spricht von einem «extremen Werbeverbot» und erweckt den Eindruck, dass nach dem Tabak bald auch nicht mehr für Cervelats oder Rüeblitorten geworben werden dürfe. Diese Strategie scheint nicht aufzugehen: Laut einer Tamedia-Umfrage von letzter Woche sind 62 Prozent für die Initiative, 36 Prozent sind dagegen.
Die Cervelat-Nebelpetarden der Abstimmungskampagne trüben den Blick auf eine sich im Bereich Tabakwerbung schon länger abzeichnende Veränderung: Werbung für normale Zigaretten befindet sich schon seit mehreren Jahren auf dem Rückzug. Die Industrie setzt stärker darauf, Produkte wie elektronische Zigaretten, Tabakerhitzer («Heated Tobacco Products», kurz HTP) oder Snus (ein Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch) zu promoten. Diese sind im Vergleich zu normalen Zigaretten gemäss dem heutigen Wissensstand deutlich weniger gesundheitsschädigend.
So war nur gerade eine Zigarettenmarke unter den zehn in der Schweiz meistbeworbenen Tabakprodukten des Jahres 2019 zu finden, wie eine Erhebung von Media Focus ergab. E-Zigaretten und Tabakerhitzer belegten sechs, Snus-Produkte drei Plätze innerhalb der Top Ten.
Die genauen Werbeausgaben sind Firmengeheimnis. Branchenprimus Philip Morris verrät auf Anfrage immerhin, dass 76 Prozent der weltweiten kommerziellen Ausgaben im Jahr 2020 auf «rauchfreie Produkte» entfielen. Während Philip Morris in der Schweiz an Verkaufsstellen wie etwa Kiosken weiterhin herkömmliche Zigaretten bewirbt, hat der Konzern 2018 solche Werbung auf Plakaten, in Kinos sowie in Zeitungen und Magazinen gestoppt.
Der Schritt war grösstenteils der Anpassung an die vielerorts geltenden kantonalen Tabakwerbeverbote geschuldet, etwa in Kinos oder auf Plakaten. Für das von Philip Morris stark beworbene HTP-System Iqos sowie für E-Zigaretten gibt es aktuell noch deutlich weniger Einschränkungen. Erst mit dem vom Parlament im Oktober 2021 verabschiedeten revidierten Tabakproduktegesetz, das voraussichtlich 2023 in Kraft tritt, werden E-Zigaretten und Tabakerhitzer bezüglich Werbe- einschränkungen herkömmlichen Zigaretten gleichgestellt.
Doch hinter der neuen Werbestrategie stehen auch kommerzielle Überlegungen: Einerseits ist die Anzahl der verkauften Zigaretten in den letzten Jahren deutlich gesunken. Lag sie Anfang der Nullerjahre noch bei jährlich über 14 Milliarden, so sank der Wert bis 2019 kontinuierlich auf unter 9 Milliarden. 2020 gab es erstmals seit langem wieder einen Anstieg.
Neben dem sinkenden Absatz bei den Zigaretten spricht auch ein zweiter Grund für die Werbeoffensive der Tabakindustrie für alternative Produkte: Sie verdient an E-Zigaretten und Tabakerhitzern mehr als an Zigaretten. Der Grund dafür ist in erster Linie, dass die für E-Zigaretten benötigte dampfbaren Flüssigkeiten («liquids») nicht der Tabaksteuer unterliegen. Auf die für Tabakerhitzer benötigten Sticks entfällt der reduzierte Tabaksteuersatz von 12 Prozent, während normale Zigaretten mit 51.8 Prozent besteuert werden.
Die «liquids», mit denen man E-Zigaretten befüllt, unterliegen bisher nicht der Tabaksteuer. Das soll sich bald ändern: Im Auftrag des Parlaments hat der Bundesrat Ende 2021 eine Änderung des Tabaksteuergesetzes in die Vernehmlassung geschickt. Neu sollen auch E-Zigaretten besteuert werden. Mit Blick auf ihr «geringeres Schädlichkeitspotenzial» soll die Steuer aber weniger hoch ausfallen als für herkömmlichen Zigaretten - gemäss Vorschlag des Bundesrats um 77 Prozent tiefer. Dies würde das Dampfen von E-Zigaretten gegenüber Tabakerhitzern verteuern. Bis Ende März läuft die Vernehmlassung.
Die Tabakindustrie bewirbt Tabakerhitzer unter dem Stichwort «harm reduction» als weniger gesundheitsschädigende Alternative für Raucher. Philip Morris etwa lässt im Rahmen der aufwendig gestalteten Kampagnenwebsite «Unsmoke The World» Ex-Raucher zu Wort kommen. Dort heisst es:
Zwar wird betont, dass ein kompletter Konsumstopp die gesündeste Entscheidung sei. Doch wer das nicht kann oder will, den verweist der Tabakgigant auf die Vorzüge von «rauchfreien Alternativen» wie Tabakerhitzern. Auch werden die Besucher der Website dazu aufgefordert, eine Petition zu unterzeichnen. Diese verlangt einen «rechtmässigen Zugang für erwachsene Raucher zu korrekten Informationen über rauchfreie Produkte.» Mit dieser Formulierung richtet sich die Petition gegen ein umfassendes Werbeverbot für alternative Tabakprodukte, wie es bei einem Ja zur Volksinitiative am 13. Februar in der Schweiz bald Realität würde.
Was ist also von den Beteuerungen der Tabakindustrie zu halten, sie wolle die gesundheitlichen Schäden mindern? Professor Reto Auer von der Universität Bern ist Hausarzt und einer der führenden Schweizer Experten für E-Zigaretten. Er ist Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Suchtfragen und erforscht im Rahmen eines Nationalfonds-Projekts die Tauglichkeit von nikotinhaltigen E-Zigaretten zur Tabakentwöhnung. Auer findet klare Worte:
Doch kommerziell blieben diese ihr wichtigstes Standbein.
In der Gesundheitsprävention betonen manche Organisationen wie Sucht Schweiz oder das Blaue Kreuz die Gefahren von E-Zigaretten und anderen Alternativprodukten stärker als deren Möglichkeiten zur Schadensminderung. Mit E-Zigaretten würden Jugendliche gezielt nikotinabhängig und so zu lebenslangen Kunden gemacht, so der Vorwurf. Tatsächlich konsumierten 2018 gemäss einer umfassenden Studie von Sucht Schweiz mehr Jugendliche in den letzten 30 Tagen vor dem Befragungszeitpunkt E-Zigaretten als herkömmliche Zigaretten (siehe Grafik).
Reto Auer teilt die Vorwürfe der beiden Organisationen, sieht die Sache aber differenzierter. Es gebe Studien, welche E-Zigaretten als «Einfallstor» für den späteren Tabakkonsum identifizierten. Doch es gebe auch Studien, die das Gegenteil aussagten: Dass sie eine weniger schädliche Alternative für bereits Rauchende sein können und Leute ansprechen, die sonst zur Zigarette greifen würden.
Doch Auer hält wenig von den Beteuerungen der Tabakkonzerne, sie wollten in erster Linie Raucher von gesünderen Alternativen überzeugen. Ihre Werbung erreiche nachweislich viele Jugendliche: «Die Industrie hat immer versucht und wird immer versuchen, neue Kunden zu erreichen.» Spreche sie von «harm reduction», meine sie damit eigentlich, allen Leuten weniger schädliche Produkte anpreisen zu dürfen. Für Gesundheitsfachpersonen hingegen fokussiert «harm reduction» auf Personen mit einer bestehenden Suchterkrankung.
Man müsse akzeptieren, dass es immer Nikotinsüchtige gebe und auch in Zukunft einzelne Jugendliche dampfen werden. «Aber mit Werbung eine neue Generation von Nikotinsüchtigen heranziehen, das geht nicht», findet Auer, der die Initiative deshalb unterstützt. (saw/aargauerzeitung.ch)