Ertan Y. (Name geändert) ist in Basel aufgewachsen. Bereits als Jugendlicher wurde er straffällig. Er folgte zeitweise seinem Vater in die Türkei, wohin dieser ausgeschafft wurde und wo dieser verstarb. Ertan beschleunigte dort seine kriminelle Karriere. Er schloss sich der Hells-Angels-Gruppe Turkey Nomads an, die von einem deutsch-türkischen Schwerkriminellen angeführt wurde. So kam er mit der türkischen Grosskriminalität in Kontakt, die ihn später nutzte, als er wieder in die Schweiz zurückkehrte und dem hiesigen Charter der Hells-Angels-Bande beitrat.
Vor allem einer hat sein Potenzial gesehen: der Iraner Ahmad Nazari. Als Ahmad Nazari Shirehjini 1986 geboren, tauchte er 2009 erstmals in Deutschland auf, wo er die NBG Nazari Business Group gründete. Gemäss Medienberichten stand er bereits auf Fahndungslisten, als er sich einige Jahre später in die Türkei absetzte. Finanzbetrug ist seine Spezialität.
Nazari gründete in Istanbul Callcenter, in denen er Deutsch sprechende Türken beschäftigte, die vornehmlich deutschen Seniorinnen und Senioren von Anlagemöglichkeiten vorschwärmten. Die Investments wurden vorgetäuscht mittels Websites imaginärer Gesellschaften oder das einbezahlte Geld versickerte über Treuhandkonti, bevor es den Zielort erreichte.
Ertan Y. hatte in Basel die Kontakte zu notorischen Betrügern, die über Mantelfirmen verfügten, die wiederum für die Nazari-Betrügereien zum Einsatz gekommen sein sollen. Ertan Y. soll als Koordinator für den Geldabfluss in die Türkei gesorgt haben. Gemäss Anklageschrift wurden so mindestens 79 Anlegerinnen und Anleger um 3,6 Millionen Euro geprellt.
Für Nazari blieb Ertan Y. damit allerdings ein kleiner Fisch. Seine Callcenter waren mindestens an zwei anderen Fällen mit direktem Schweizer Bezug beteiligt: So verkauften seine Telefonverkäufer auch Aktien der dubiosen Terraoil Swiss AG, wo die Hälfte der eingeworbenen Gelder sogleich in der Türkei landete. Dies berichtete der «Kassensturz».
In einem anderen Fall verkaufte Nazari Aktien einer fiktiven Nanofixit Holding, wobei die Schwyzer Advokatur Söhner & Partner gemäss deutschen Anwaltskanzleien dafür ein Treuhandkonto einrichtete. Die österreichische Finanzmarktaufsicht warnte vor einer Anlage.
Rechercheberichte von türkischen Investigativjournalisten gehen davon aus, dass Nazari aus den Betrugsgeschäften zeitweise einen jährlichen Gewinn von 250 Millionen Dollar erzielte. Und dies weitgehend unter dem Schutzschild der türkischen Behörden. 2020 erwarb der Iraner die türkische Staatsbürgerschaft und legte dabei seinen Familiennamen Shirehjini ab – unter betrügerischen Vorzeichen, wie ausgerechnet der Mafia-Boss Sedat Peker öffentlich machte.
Peker, der selbst in Ungnade gefallen war, erzählte in YouTube-Filmen, wie Nazari über den ehemaligen türkischen Minister Mehmet Agar nicht nur die Staatsbürgerschaft erhielt, sondern auch gleich einen Waffenschein sowie einen Passierschein, um Polizeikontrollen zu umgehen. Während Nazari europaweit gesucht wurde, residierte er in Luxusimmobilien und präsentierte einen Fuhrpark voller Luxuskarossen.
Schmiergeld floss nach Recherchen türkischer Investigativ- und Exilmedien reichlich. Allein für den Waffenschein seien 100'000 Dollar geflossen. Dass Peker nicht bloss einen Kontrahenten angeschwärzt hatte, bestätigte sich in diesem Februar. Der Journalist Cevheri Güven erfuhr über einen in den Niederlanden inhaftierten Finanzchef einer Casino-Bande, wie Nazari zusammen mit der türkisch-zypriotischen Mafiafamilie Falyah 20 Millionen Dollar dem Innenminister Süleyman Soylu habe zukommen lassen. Damit habe er sich sowie die Falyahs vor polizeilichen Ermittlungen geschützt.
Mit den Falyahs stehe Nazari seit seiner Rückkehr aus Deutschland in Kontakt. Mit ihnen soll er auch Ölgeschäfte mit Iran abgewickelt haben, um das UNO-Embargo zu umgehen. Oder er baute ein Finanzsystem auf, um iranische Gelder an den Sanktionen vorbei aus dem Land zu schleusen. Dabei wurde Bargeld in ein von der Falyah-Familie betriebenen Online-Wettsystem geleitet und damit gewaschen. Nazari profitierte vom Devisenhandel, die Falyahs von der Wettplattform. Auch sein Schweizer Partner Ertan Y. nutzte gemäss Anklage illegales Online-Glücksspiel, um sich unrechtmässig zu bereichern.
Die Enthüllungen von Sedat Peker sind nicht folgenlos geblieben. Bekannt sind Schiessereien unter Beteiligung von Hells Angels, bei denen es um die Verteilung von Betrugsgeld aus dem System Nazari geht. Nazari selbst verlagerte seine Aktivität nach Dubai. Von dort aus organisierte er auch den bereits geschilderten Anlagebetrug mit der fiktiven Nanofixit. Als Ertan Y. im Privatjet nach Dubai reiste, wie er auf Instagram prahlte, dürfte er dort einen alten Bekannten getroffen haben.
Türkische Medien meinen allerdings zu wissen, Mehmet Agar habe Nazari nach Dubai entsandt, um dort einen Mordanschlag auf den im Emirat lebenden Sedat Peker zu organisieren. Dabei sei er Ende 2022 von den Sicherheitskräften Dubais ertappt und inhaftiert worden. Seither fehlt jede weitere Spur von Nazari.
Für die Gerichtsverhandlung vor dem Basler Strafgericht haben strikte Sicherheitsvorkehrungen gegolten. Die schwerbewaffnete Spezialtruppe der Polizei wurde aufgeboten, um den Prozess zu sichern. Was während des Verfahrens als übertriebene Massnahme angesehen wurde, wird angesichts seiner Freunde verständlich: Ertan Y. weiss zu viel.
Ich bin beileibe nicht dumm, aber diese ganzen Tricks und Winkelzüge, wie das Geld erwirtschaftet wird, erschliesst sich mir aufgrund meines Verständnis von Recht und Gesetz nicht wirklich.