In internationalen Krisen rühmt sich die Schweiz gerne mit ihrer humanitären Tradition. Doch wie human ist unsere Asylpolitik tatsächlich?
Derzeit gibt es eine grosse Solidarität gegenüber der ukrainischen Bevölkerung. Viele engagieren sich privat, haben Geflüchtete bei sich zu Hause aufgenommen. Das ist sehr positiv. Jedoch erfahren Geflüchtete aus anderen Ländern diese humanitäre Tradition nicht gleich stark. Solche aus Syrien zum Beispiel, oder aus Afghanistan. In den letzten Jahren hat die Schweiz das Asylrecht stetig verschärft. Sie setzt auf Abschreckung.
Was ist der Grund für diese stetige Verschärfung?
Seit Jahren befindet sich das Migrationsrecht auf nationaler, wie auch auf internationaler Ebene in einem Spannungsfeld gesellschaftlicher und politischer Diskussionen. Europa wird immer mehr zu einer Festung, die Flüchtlinge von ausserhalb abwehrt und niemanden hereinlassen will.
Europa als Festung – bedienen Sie sich da nicht an einem Kampfbegriff der Linken?
Das ist kein Kampfbegriff. Für Menschen, die Schutz benötigen, wird es immer schwerer, diesen auch zu bekommen. Diese Entwicklung ist eindeutig. Zum Beispiel mit der Abschaffung des Botschaftsasyls.
Wie wirken sich diese Verschärfungen auf die Situation der Geflüchteten in der Schweiz aus?
Am meisten bekommen das vorläufig aufgenommene Asylsuchende zu spüren. Die Verschärfungen erschweren ihre Integration in die Gesellschaft. Ihr Status wird in der Regel für zwölf Monate bewilligt und muss dann jährlich verlängert werden. Das erschwert die Job- und Wohnungssuche. Ihre Familie können sie erst nach drei Jahren unter strengen Auflagen nachziehen, und so weiter. Im Kanton Zürich wurde ausserdem per Abstimmung entschieden, dass vorläufig Aufgenommene keine Sozialhilfe mehr erhalten. Ihnen wird auch andernorts nur eine tiefer angesetzte Asylfürsorge entrichtet.
In Ihrem Buch haben Sie untersucht, wie gut die Grund- und Menschenrechte in der Schweizer Asylpolitik eingehalten werden. Was sind Ihre Erkenntnisse?
Die Grund- und Menschenrechte sind auch in der Schweiz nichts Selbstverständliches. Man muss tagtäglich für sie kämpfen.
Wo gibt es Ihrer Meinung nach Probleme?
Zum Beispiel, wenn Bund, Kantone oder Gemeinden die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden durch Rayonverbote begrenzen. Oder ihnen verbietet, öffentliche Einrichtungen, wie Schwimmbäder, zu besuchen. Das sind ganz klar Grundrechtsverletzungen. Heikel ist auch eine längerdauernde Unterbringungen in Kollektivunterkünften. Wenn Menschen auf so engem Raum zusammenleben, kann das Recht auf Privatsphäre nicht gewährleistet werden.
Kollektivunterkünfte sind fixer Bestandteil in der Schweizer Asylpolitik. Nun sagen Sie, dass es dort per se zu Grund- und Menschenrechtsverletzungen kommt?
In Kollektivunterkünften sind die Strukturen so angelegt, dass die Grundrechte nur schwer eingehalten werden können. Und leider fehlt dafür das Bewusstsein. Die Meinung ist, dass die Grundrechte in der Schweiz für alle gewährleistet werden. Doch dem ist nicht so. Auch Notunterkünfte sind problematisch.
Inwiefern?
Es gibt Kantone, in denen abgewiesene Asylsuchende zweimal am Tag einen Zettel unterschreiben müssen, damit sie die Nothilfe erhalten. Da geht es nur darum, den Leuten das Leben schwer zu machen. Auch können sie sich mit dem Geld ihre Existenz kaum sichern. Dass abgewiesene Asylsuchende zum Teil jahrelang von der Nothilfe leben, ist höchst problematisch. Vor allem, wenn Kinder involviert sind.
Seit März kommt zum ersten Mal seit seiner Schaffung der Schutzstatus S zum Zuge. Wie beurteilen Sie den Status?
Mich überraschte, wie schnell und unbürokratisch der Bund und die Kantone handelten. Auch wie unkompliziert die Leute aufgenommen und untergebracht, die Kinder sofort eingeschult werden, finde ich bemerkenswert. Wer ein S hat, darf sich im Schengenraum frei bewegen, erhält Integrationshilfen, kann an Beschäftigungsprogrammen teilnehmen, wird in Sprachkurse geschickt und kann sich sofort einen Job suchen. Das trägt zur schnellen Integration der Menschen bei.
Im Unterschied zum Status F der vorläufig Aufgenommenen haben Personen, die den Schutzstatus erhalten, mehr Freiheiten.
Richtig. Es gab in der Vergangenheit viele Diskussionen darüber, dass der Status der vorläufig Aufgenommenen reformiert werden muss. Weil der Begriff ‹vorläufig› suggeriert, dass die Menschen nur für kurze Zeit hier sind. Bei der Jobsuche haben sie Mühe, weil kaum ein Arbeitgeber bereit ist, sie zu beschäftigen. Auch die eingeschränkte Mobilität ist ein Problem. Die Einführung des Schutzstatus S sollte man zum Anlass und zum Massstab nehmen, um die rechtliche Situation der vorläufig Aufgenommenen zu überdenken. Es ist nicht richtig, dass diese Menschen so ungleich behandelt werden. Egal ob jemand aus Syrien, Afghanistan oder der Ukraine kommt: Alle Menschen sollten denselben Schutz bekommen. Diese Ungleichbehandlung führt auch in der Praxis zu Irritationen.
Wie meinen Sie?
Bei den geflüchteten Personen selbst, aber auch bei den Flüchtlingsorganisationen oder Fachpersonen, die mit Geflüchteten arbeiten. Ich höre immer wieder, dass sie sich fragen, wie sie diese Ungleichbehandlung gegenüber Asylsuchenden thematisieren sollen. Das löst selbstverständlich auch Diskussionen aus.
Welche Änderung schlagen Sie konkret vor?
Dass man in Richtung Integration geht und nicht in Richtung Ausgrenzung. Dass man diesen Leuten die Möglichkeit gibt, sich rasch in das Erwerbsleben zu integrieren. Dass sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Dass ihre Mobilität gefördert wird. Das wären wichtige Aspekte.
Damit dürften Sie auf wenig Gegenliebe stossen. Gegner würden argumentieren, dass das zu teuer ist und man nicht möchte, dass diese Leute sich längerfristig in der Schweiz niederlassen.
Schauen Sie: Es ist ein Fakt, dass vorläufig Aufgenommene jahrelang in der Schweiz bleiben. Für die Gesellschaft und die Wirtschaft ist es eine Win-win-Situation, wenn man diese Menschen schnell ins Arbeitsleben integriert. Und warum sollte für andere nicht gelten, was für Ukrainerinnen und Ukrainer problemlos möglich ist?
Andererseits ist sie aber auch gegen Kollektivunterkünfte? 😏
Wie passt das zusammen? Es ist doch offensichtlich, dass die Zahl der Unterkunftsmöglichkeiten auch mal irgendwo begrenzt ist...
Je mehr Geflüchtete wir in Kollektivunterkünften unterbringen, desto mehr können wir halt aufnehmen...
Wenn hingegen jeder Geflüchtete gleich eine eigene 5 1/2 Zi-Wohnung erwartet, müssen wir die Grenzen eben zwangsläufig stärker dicht machen... 🤷♂️
Ohne Verständnis für unsere Kultur werden Asylsuchende keinen Erfolg im Arbeitsmarkt haben.