Alles begann mit Tiktok: In unserer Video-Story erzählte eine Tiktokerin, dass nach ihrer Covid-Infektion zuvor angenehme Gerüche plötzlich eklig waren. Es soll sich um ein neues Long-Covid-Symptom namens «Parosmie» handeln. Daraufhin meldeten sich Userinnen und User der watson-Community und sagten, dass es ihnen ähnlich ginge.
So etwa Pascale Beljean. Im Mai 2021 infizierte sich die 30-Jährige mit dem Coronavirus. Sie verlor den Geruchssinn und als dieser im August langsam zurückkam, stellte sie eine Veränderung fest. «Ich war mit einem Freund unterwegs, der immer stark parfümiert ist und er roch für mich plötzlich nach verbrannter Schokolade.» Auch andere Menschen hätten diesen süsslich verbrannten Geruch verströmt.
Im Oktober, nach einer Erkältung, wurde es für Beljean noch schlimmer. «Ich habe seither einen eitrigen Geruch in der Nase. Alles, was ich esse, schmeckt eklig.» Daraufhin ging sie zum Arzt, der allerdings nichts feststellen konnte. «Er hat mir einen Nasenspray gegeben zur Abschwellung, aber das hat nicht wirklich genützt. Der eklige Geruch blieb unverändert.» Dass diese Geruchsveränderung etwas mit Covid zu tun haben könnte, hätte sie sich auch überlegt. «Als ich letzte Woche den Artikel gelesen habe, war ich echt erleichtert, dass ich nicht die Einzige bin. Es machte mich schier wahnsinnig!»
Dass Geruchsverlust ein klassisches Symptom einer Covid-Infektion ist, ist bekannt. Auch Lena Kern wusste das, als sie nach ihrer Covid-Infektion im Januar 2021 ein halbes Jahr lang nichts riechen konnte. Nur was danach kam, überraschte die 24-Jährige: «Vor knapp drei Monaten kamen einige Gerüche wieder zurück, aber anders.»
Sie rieche kaum etwas durch die Nase, aber die wenigen Sachen, die sie rieche, würden stinken. «Peperoni sind bis jetzt das Schlimmste, sie riechen für mich nach Benzin.» Durch die Nase sei es heftiger, aber auch im Mund hätte das Gemüse eine giftige Note. «Sobald es auf der Pizza Peperoni hat, schmeckt für mich das ganze Stück eklig.» Bei Pfefferminze sei es ähnlich.
Kern versuche momentan ein «Riechtraining», bei dem sie täglich für je 30 Sekunden an vier unterschiedlichen ätherischen Ölen riecht. Bis jetzt habe es nicht viel gebracht. «Zitrone, Rose, Eukalyptus und Teebaumöl riechen für mich alle gleich, also nach nichts.»
Auch Anne Siegenthalers Geruchssinn war nach Corona komplett weg. Knapp vier Monate nach der Infektion im Oktober kam er zurück, aber auch andere Gerüche tauchten auf: «Manchmal bin ich mitten in der Nacht aufgewacht, weil es furchtbar nach Rauch stank. Ich hätte schwören können, dass mindestens drei Personen neben meinem Bett stehen und Zigaretten paffen.»
Siegenthaler hatte auch schon das Gefühl, dass es brennt, und durchsuchte mitten in der Nacht die ganze Wohnung. «Mein Mann musste mir dann immer versichern, dass er absolut nichts rieche.»
Die Bernerin spricht immer von «Phantomgerüchen». Den Begriff Parosmie habe sie vorher nie gehört.
Mittlerweile hätten sich diese eingebildeten Gerüche etwas gelegt, erzählt sie. Aber ihr Geruchssinn, wie er früher war, sei bis jetzt nicht ganz zurückgekommen. «Duschgel, Shampoos oder unterschiedliche Duftöle, die ich gerne benutze, riechen für mich alle gleich. Ich kann keine Unterschiede feststellen.» Auch bei sonst unangenehmen Gerüchen sei es so. «Wenn ein Familienmitglied auf der Toilette war, stinkt es für mich nicht mehr.» Ein positiver Nebeneffekt, könnte man meinen. Nur in ihrem Beruf als Hebamme sei das hinderlich. «In meinem Beruf benutze ich alle meine Sinne und auch der Geruchssinn ist sehr zentral.»
Forscherinnen und Forscher sagen, dass es bei der Regeneration der Geruchsneuronen nach einer Covid-Infektion zu Fehlverdrahtungen und gestörten Signalen kommen kann, was zu Parosmie führt. Eine internationale Umfrage zeigte, dass zehn Prozent der Personen mit covidbedingtem Geruchsverlust direkt nach der Erkrankung an Parosmie litten. Diese Zahl stieg auf 47 Prozent, als die Probanden ein halbes Jahr später erneut gefragt wurden.
Covid-19 ist allerdings nicht die einzige Ursache für Parosmie. Dass man Gerüche plötzlich anders empfindet als die meisten Menschen, kann nach Infektionskrankheiten oder Unfällen auftreten, beispielsweise einer Gehirnerschütterung. Ausserdem gibt es neben Parosmie andere Ausprägungen wie Anosmie oder Phantosmie. Die Universität Zürich gibt auf ihrer Website eine Übersicht.
Gregory Fretz, der am Kantonsspital Graubünden Patientinnen und Patienten mit Long Covid behandelt, kennt Fälle von Parosmie. «Ich erinnere mich an eine Person, für die das Essen stark nach Gülle und Fäkalien gerochen hat. Sie konnte praktisch nichts mehr essen und hat massiv an Gewicht verloren.»
Bei starken und lang anhaltenden Geschmacksveränderungen würde Fretz die Betroffenen allerdings an Hals-Nasen-Ohren-Ärzte (HNO-Ärzte) verweisen. Das Geruchsproblem stehe bei seinen Patientinnen und Patienten häufig nicht an erster Stelle: «Wir behandeln Leute, die wegen Long Covid unter enormer Müdigkeit oder Atembeschwerden leiden. Für sie ist die Behandlung dieser Symptome zentraler.»
Fretz rät Betroffenen, zu Beginn selbständig ein Riechtraining mit ätherischen Ölen zu versuchen. Wenn sich der Geruchssinn nicht verbessert oder gar verschlimmert, soll man einen HNO-Arzt oder eine HNO-Ärztin aufsuchen.
TIP: Die für den Geruch verantwortlichen Zellen wurden durch das Virus zerstört. Die Nase muss trainiert werden, damit die neuen Zellen wieder richtig funktionieren. Also, rieche an alles, und zwar ständig. Nicht aufgeben.