Es ist ein Paradigmenwechsel: Seit Anfang Juli reicht ein Nein des Opfers, damit der Täter wegen Vergewaltigung verurteilt werden kann. Davor musste ein Mann eine Frau zum Beischlaf zwingen und sie dabei bedrohen, Gewalt oder psychischen Druck ausüben. Auch das «Freezing» – also wenn Opfer in eine Schockstarre verfallen – wird neu als Anzeichen der Ablehnung gedeutet.
Mit der neuen «Nein heisst Nein»-Regel ist zu erwarten, dass mehr Fälle zur Anzeige gebracht werden. Heute ist die Dunkelziffer hoch. Gemäss einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2019 im Auftrag von Amnesty Schweiz hat nur jede zwölfte Frau, die sexuelle Handlungen gegen ihren Willen erlebte, bei der Polizei Anzeige erstattet. Dass sich dies ändern dürfte, lässt sich auch aus den Erfahrungen in Deutschland schliessen. Dort ist die Zahl der Strafanzeigen wegen Vergewaltigung nach Einführung eines vergleichbaren Gesetzes sprunghaft angestiegen.
Mehr Anzeigen bedeuten aber nicht auch mehr Verurteilungen. Bei sexueller Gewalt gibt es selten Zeugen. «Der Staat muss nach wie vor beweisen, dass der Beschuldigte aufgrund des Verhaltens des Opfers mindestens in Kauf nahm, dass es mit dem Sex nicht einverstanden war», sagt Strafrechtsprofessorin Anna Coninx.
Vor grossen Herausforderungen stehen deshalb die Kantone. Sie sind für die Umsetzung des neuen Gesetzes zuständig. Doch wie gut sind die Kantone auf ihre Aufgabe vorbereitet? Die Antwort fällt – der Föderalismus lässt grüssen – nicht überraschend aus: Es kommt auf den Kanton an. Eine Umfrage legt jedoch nahe, dass vor allem kleinere, ländliche Kantone im Hintertreffen sind.
Dafür hat eine Forschungsgruppe in Zusammenarbeit mit dem Thinktank Reatch alle zuständigen kantonalen Verwaltungen und Fachvereine angeschrieben. Aus den Antworten lasse sich «erfreulicherweise festhalten, dass sich in der kantonalen Politik etwas zu tun scheint – nur nicht überall im gleichen Ausmass und Tempo», heisst es im Bericht.
Insgesamt schienen die Kantone in der Romandie «besser aufgestellt» zu sein als diejenigen in der Deutschschweiz. Positiv erwähnt werden Bern und Uri. Dagegen kann der Bericht in Appenzell Ausserrhoden, Glarus oder Obwalden «keine fortgeschrittenen Initiativen» ausmachen. Auch weitere Kantone wie Appenzell Innerrhoden oder Nidwalden können keine Massnahmen nennen oder verweisen nur auf runde Tische zum Thema.
Laut dem Bericht hapert es vor allem bei der Spurensicherung und der Betreuung der Opfer. Doch gerade weil vor Gericht in der Regel Aussage gegen Aussage steht, sind Beweise zentral, um einen Täter zu überführen. Entscheidend ist dabei der Faktor Zeit. So ist etwa GHB i eine typische Vergewaltigungsdroge – im Blut, Urin oder in Erbrochenem nur einige Stunden nachweisbar ist.
Allerdings obliegt die Spurensicherung oft dem bereits überlasteten und meist ungeschulten Spitalpersonal. Nur wenn das Opfer eine Strafanzeige erstattet, wird in jedem Fall eine forensische Untersuchung durchgeführt. Weil das Opfer unter Schock steht, sieht es aber oft davon ab, gleich Anzeige zu erstatten.
Dann kann es schon zu spät sein, wie sich Valeria Kägi erinnert, die früher in der Unfallchirurgie arbeitete und heute als «Forensic Nurse» Spuren der Gewalttat sichert. «Natürlich haben wir die Wunden sofort grossflächig gereinigt und behandelt, damit es nicht zu einer Infektion kam. Blöd nur, wenn zwei Stunden später die Polizei vorbeikommt und Spuren sichern will», sagte Kägi der «Südostschweiz» letztes Jahr.
Aus diesem Grund hat der Kanton Zürich am Institut für Rechtsmedizin ein spezialisiertes Team aus «Forensic Nurses» aufgebaut. Dieses steht Spitälern rund um die Uhr auf Abruf bereit. Für die Sicherung von Spuren hat Zürich ein sogenanntes «Rape-Kit» entwickelt. In der Box finden sich unzählige Abstrichstäbchen, Röhrchen, Mikroskopplättchen und Flüssigkeiten. Im Anschluss an die Untersuchung wird die Box versiegelt und aufbewahrt.
Die Idee dahinter: Die Gewalt wird dokumentiert und Betroffene können danach in Ruhe selbst entscheiden, ob sie Anzeige erstatten möchten oder nicht. Denn in der Regel sind die Personen nach dem Vorfall schwer traumatisiert. Bei der Beratung und Betreuung der Opfer tragen nicht alle Kantone diesem Umstand gleichermassen Rechnung.
Als Vorreiter gilt der Kanton Bern. Er hat schon vor mehr als 35 Jahren ein professionelles Hilfsangebot für Frauen und Kinder geschaffen, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind – zu einer Zeit, als eine Vergewaltigung in der Ehe noch nicht als Straftat galt. Das sogenannte Berner Modell bringt Ärzte, Pflege, Polizei, Opferhilfe und Staatsanwaltschaft an einen Tisch und hat schon von Beginn an auf den Grundsatz «von Frauen für Frauen» gesetzt. Denn von sexueller Gewalt sind praktisch nur Frauen betroffen.
Während die Betreuung durch weibliche Fachpersonen inzwischen in vielen Kantonen zum Standard gehört, harzt es bei der Zusammenarbeit zwischen den Behörden. Oft müssen sich Personen selbst um den Kontakt mit Fachpersonen und Anlaufstellen kümmern. Dies sollte jedoch «nicht Aufgabe des Opfers» sein, heisst es im Bericht.
Dass es auch kleinere Kantone hinkriegen, zeigt das Beispiel Uri. Der Regierungsrat prüft aktuell, wie der Kanton das Berner Modell umsetzen könne. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden funktioniere sehr gut aufgrund der überschaubaren Grösse und dem proaktiven Austausch, heisst es in seiner Stellungnahme an den Thinktank Reatch. Es ist ein Argument, das für viele kleine Kantone Gültigkeit hat. (aargauerzeitung.ch)
Dann macht gefälligst vorwärts! Schlimm genug, dass so wenige Täter überhaupt überführt werden können, weil die Opfer verständlicherweise traumatisiert sind und nicht die Kraft haben, Anzeige zu erstatten. Aber wenn sie sich dann schon ‚überwinden‘ konnten, sollte alles Mögliche getan werden um diese Täter zu überführen.
Zudem sollten die Strafen massiv erhöht werden, denn 90% dieser Täter kommen nicht mal in den Knast und das finde ich skandalös!!