Sexualisierte Gewalt muss aufhören, schon lange vor einer Vergewaltigung
Heute tritt das neue Sexualstrafrecht in Kraft. «Nein heisst nein». Ein wichtiger Tag.
Neu gilt als Vergewaltigung, sexueller Übergriff oder sexuelle Nötigung, wenn eine betroffene Person zeigt, dass sie mit der Handlung nicht einverstanden ist – verbal, mit Gesten oder weil sie erstarrt. Sie muss nicht mehr gewalttätig angegangen werden, sich nicht tatkräftig körperlich wehren.
Das revidierte Sexualstrafrecht, wenn auch nicht die «Nur ja heisst ja»-Lösung, ist eine Ansage gegen Straflosigkeit und gegen eine Kultur der sexualisierten Gewalt, die Teil unserer Gesellschaft ist.
Sexualisierte Gewalt beginnt lange vor der Vergewaltigung
Ein aktueller Fall aus dem Wallis zeigt auf, wie stark der Boden an Misogynie mancherorts ist und wie scheinbar einzelne Handlungen eigentlich Teil eines problematischen Systems sind, das sexualisierte Gewalt verharmlost und begünstigt.
Vor rund einer Woche hat der Walliser Tourismusverband einen neuen Präsidenten gewählt: Yannick Buttet, Ex-Mitte-Nationalrat, verurteilt wegen Nötigung und sexueller Belästigung. Man sei auf ihn zugekommen und habe ihn für eine Kandidatur angefragt, sagt Buttet dem «Walliser Boten». Er wurde einstimmig gewählt und ist so auch zum indirekten Vorgesetzten jener Frau geworden, die er sexuell belästigt hatte.
Oberwalliser Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Parteien reagierten. «Sprachlos», «fassungslos», «wenig Sensibilität», zitiert sie die Zeitung.
Doch es gibt auch andere Meinungen.
Nach seiner Wahl wurde Yannick Buttet vom Lokalsender Canal 9 interviewt. Die Arbeit sei eine Sache, das Privatleben eine andere. «Wir sind erwachsen. Für mich spielt es absolut keine Rolle.» Der Reporter fragt nach. Würde er denn den Vize-Präsidenten schicken, damit er und die von ihm Belästigte sich nicht begegnen? «Nein, im Moment ist das absolut kein Thema.»
Buttet hätte nach dieser zweiten Chance, die er erhält und die man auch nicht per se nie nochmals erhalten sollte, tausend andere Sachen sagen können. Etwa, dass er alles dafür tun werde, dass sich die Frau so sicher wie möglich fühle. Dass er sich bewusst sei, dass Belästigungen, wie er sie vorgenommen hat, für Betroffene lebenslange, schlimme Konsequenzen haben können. Dass er sich deshalb eingehend über das Thema sexuelle Belästigung informiert habe.
Rechtfertigungen und Schweigen
Der Walliser Tourismusverband hätte Buttet bereits vorher nicht wählen können. Stattdessen sagt der vorherige Präsident, Beat Rieder, dem Walliser Boten, dass auch Verurteilte öffentliche Ämter übernehmen dürfen. Angefragte Vorstandsmitglieder schweigen auf Anfrage der Zeitung. Der Walliser Staatsrat und Tourismusminister Christophe Darbellay von Die Mitte sagt, Buttet würde seine Aufgabe mit Kompetenz und Engagement erfüllen. Er glaube nicht, dass diese Wahl dem Ruf des Walliser Tourismus schaden könne.
Diese Reaktionen sind bezeichnend. Sie zeigen ein aus vielen anderen Fällen schmerzlich bekanntes Muster.
Hinter dieser Wahl stehen Menschen, die sich in irgendeiner Weise für ihr Handeln entschieden haben. Sie fühlen sich sicher genug, nach dieser Wahl öffentlich zu zeigen, dass ihnen das Verständnis für problematische Konstellationen und für Betroffene fehlt. Sie verteidigen und schützen sich gegenseitig. Das Geschehene wird damit verharmlost, gar vom Verurteilten selbst.
Ganz im Gegensatz dazu können sich Betroffene auch nach einer Verurteilung des Täters nicht sicher fühlen. Auch das gehört zum bekannten Muster.
Männer machen weiter, Frauen müssen hoffen
Sie hoffe, dass Buttet aus der Vergangenheit gelernt habe, teilt eine der betroffenen Frauen über ihren Anwalt mit. Sie hoffe, dass sich das abgeschlossene Strafverfahren nicht auf ihre Person oder Tätigkeit auswirke. «Ich gehe davon aus, dass meine persönliche Integrität in jeder Hinsicht gewährt ist.»
Das Collectif Féministe Valais drückt in einem offenen Brief seine Unterstützung aus «für diejenigen, die jeden Tag mit der Vorstellung zur Arbeit gehen, dass heute vielleicht ‹ihr› Tag sein wird, (...) und sie Risiken eingehen, nur, weil sie dort sind.»
Frauen gehen in der Schweiz und weltweit täglich an unzähligen Orten Risiken ein, nur, weil sie dort sind. Zuhause, im Park, auf einer Reise, beim Date, im Wald, an einer Bushaltestelle.
Das muss aufhören. Und dazu braucht es einen Kulturwandel, der bereits sehr früh anfängt, in scheinbar kleinen Dingen. Oder eben darin, zu überlegen, ob es nötig ist, einer wegen sexueller Belästigung verurteilten Person einen Posten zu geben, bei der sie der Vorgesetzte der Belästigten wird, und diese Entscheidung danach zu verteidigen.
Denn ultimativ tragen diese Überlegungen dazu bei, dass das «Nein heisst Nein»-Gesetz möglichst wenig zur Anwendung kommen muss. Weil es irgendwann im Idealfall keine sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen mehr gibt. Weil es keinen Nährboden mehr dafür gibt, der eine solche Tat ermöglichen würde.
Davon sind wir weit entfernt. Und deshalb ist dieser Tag heute sehr wichtig.
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