Schweiz
Verbrechen

Der Femizid in Dietikon war nicht der einzige

Der Femizid in Dietikon war nicht der erste in diesem Jahr – was wir darüber wissen

Am Wochenende tötete ein Mann in Dietikon seine Partnerin – ein Femizid. Es war nicht der erste Fall in diesem Jahr und die Statistik vom letzten Jahr zeigt: Männer töten ihre Partnerinnen um ein Vielfaches häufiger als Frauen ihre Partner.
28.03.2023, 15:3528.03.2023, 16:19
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Der Fall Dietikon

Einsatzkraefte der Kantonspolizei Zuerich bei der Spurensuche mit Boot und Taucher, am Sonntag, 26. Maerz 2023 in Dietikon. In Dietikon ZH ist in der Nacht auf Sonntag eine Frau tot auf der Strasse au ...
Spurensuche nach der Tat in Dietikon.Bild: keystone

Es ist 3 Uhr nachts, als Gloria Rodrigues die leblose Frau auf der Limmatbrücke entdeckt. Sie fährt am vergangenen Sonntag an ihr vorbei und denkt zunächst, dass da eine betrunkene Person läge, berichtet sie gegenüber Blick. Sie macht kehrt, um der Person zu helfen, stellt aber nach dem Aussteigen fest, dass die Frau bereits tot ist.

Der Körper der 46-jährigen Schweizerin sei mit Verletzungen übersät gewesen, erzählt Rodrigues dem «Blick» weiter. Die Kantonspolizei geht davon aus, dass es sich um ein Gewaltdelikt handelt. Am Sonntagmittag wurde ein Tatverdächtiger festgenommen. Der 56-jährige Schweizer steht laut Kantonspolizei Zürich unter Verdacht, im Zusammenhang mit der leblos gefundenen Frau zu stehen.

Wie Anwohner gegenüber 20 Minuten und Blick sagen, sollen der 56-Jährige und die 46-Jährige ein Paar gewesen sein.

Sollte es sich bei dem Mann tatsächlich um den Täter handeln, so fiele dieses Gewaltdelikt in die Kategorie des Femizids.

Was ist ein Femizid?

Werden Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet, so spricht man von einem Femizid. Darunter fallen laut dem europäischen Institut für Gleichstellungsfragen diverse Tatbestände: So gibt es sowohl Fälle, in denen sich Opfer und Täter kannten, als auch solche, in denen sie in keiner Beziehung zueinander standen. Letzteres kommt beispielsweise bei bewaffneten Konflikten oder Bandenkriminalität vor, in deren Rahmen gezielt Frauen oder Mädchen getötet werden. Standen der Mann und die Frau hingegen in einem vertrauten Verhältnis zueinander, so spricht man von einem Intim-Femizid.

Das Rechercheprojekt Stop Femizid protokolliert Femizide in der Schweiz und will die Öffentlichkeit für die Thematik sensibilisieren. Sie betonen die Wichtigkeit einer korrekten Berichterstattung zu Femiziden und fordern eine bessere politische Einordnung. Sie schreiben:

«Femizide sind keine Einzelfälle, sondern Resultat von struktureller Gewalt, deren Ausgangspunkt in den patriarchalen Machtverhältnissen unserer Gesellschaft liegt.»

Auf ihrer Website listen sie für das Jahr 2023 alle begangenen und versuchten Femizide auf.

Begangene Femizide 2023

15. Februar, Rupperswil

Der erste Femizid dieses Jahres ereignete sich am 15. Februar in Rupperswil. Ein 57-jähriger Sri Lanker steht unter Verdacht, seine 47-jährige Ehefrau, ebenfalls Sri Lankerin, getötet zu haben.

Eine Drittperson hatte um 08.40 Uhr über den Notruf gemeldet, dass der Mann die Frau in einem Imbisslokal im Dorfzentrum mit einem Messer angegriffen habe, wie die Kantonspolizei mitteilte.

Die mit mehreren Patrouillen ausgerückte Polizei fand die Frau blutüberströmt im Lokal vor. Sie leistete Erste Hilfe. Die Rettungsversuche einer Ambulanzbesatzung blieben erfolglos. Die Frau starb noch vor Ort an ihren schweren Verletzungen.

Der Ehemann wurde am Tatort widerstandslos festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau eröffnete eine Strafuntersuchung.

9. März, Yverdon-les-Bains

Der Fall in der Romandie begann mit einer Explosion und einem anschliessenden Brand in einer Villa in Yverdon-les-Bains. Der Brand löste einen Grosseinsatz von Polizei und Rettungskräften aus, die noch am selben Tag vier Leichen bargen. Am darauffolgenden Tag stiessen sie auf die Leiche eines zunächst noch vermissten Kindes.

Die fünfköpfige Familie starb aber nicht etwa aufgrund des Brandes. Die gerichtsmedizinische Untersuchung habe ergeben, dass auf jeder Leiche Schusswunden zu finden gewesen seien, die zum Tod geführt haben könnten, hiess es in einer Mitteilung der Waadtländer Untersuchungsbehörden zwei Tage nach dem Brand. In der Nähe des 45-jährigen Vaters sei eine Waffe aufgefunden worden.

Demnach dürfte der Mann seine 40-jährige Frau und seine drei Mädchen im Alter von 5, 9 und 13 Jahren getötet und sich anschliessend selber umgebracht haben. Die genaue Brandursache stand zunächst nicht fest. In verschiedenen Zimmern des Hauses sei jedoch eine grosse Menge Brandbeschleuniger, vermutlich Benzin, entdeckt worden, hiess es weiter.

21. März, Siders

Am Nachmittag des 21. März hatte ein 88-jähriger Mann in einer Wohnung in Siders VS seine 79-jährige Frau erstochen. Die aufgebotenen Rettungskräfte konnten nur noch den Tod der Frau feststellen.

Der Mann habe mit einer Stichwaffe auf seine Frau eingestochen, teilte die Kantonspolizei Wallis mit. Sie sei in der Folge gestorben. Der mutmassliche Täter wurde in Untersuchungshaft genommen und von der Polizei und der Staatsanwaltschaft einvernommen.

Eine Untersuchung sei im Gange, um die genauen Umstände der Tat zu ermitteln, sagte der Walliser Generalstaatsanwalt Nicolas Dubuis auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die Staatsanwaltschaft gab ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag, um die Verantwortlichkeit des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Tat zu ermitteln.

Versuchte Femizide 2023

14. März, Windisch

Am 14. März schoss ein 43-jähriger Tatverdächtiger auf eine 42-jährige Frau in einem Auto und ergriff die Flucht. Die Polizei löste nach dem Schuss gegen 13.30 Uhr eine Grossfahndung aus.

Beim Tatverdächtigen, der noch am selben Abend festgenommen wurde, handelt es sich um einen 43-jährigen Italiener. Nach ersten Erkenntnissen ist er der getrennt lebende Ehemann des Opfers.

Die Kantonspolizei Aargau nahm Ermittlungen auf und die zuständige Staatsanwaltschaft eröffnete eine Strafuntersuchung.

14. März, Wetzikon

An einem Dienstagabend in Wetzikon hatte ein Mann eine Frau bei einem Streit auf offener Strasse schwer verletzt. Die 38-Jährige wurde mit Stichverletzungen ins Spital gebracht, der 29-Jährige von der Polizei verhaftet.

Kurz nach 21 Uhr wurde der Einsatzzentrale gemeldet, dass die beiden Schweizer heftig streiten würden, wie die Kantonspolizei Zürich am darauffolgenden Tag mitteilte. Die ausgerückten Polizeikräfte trafen dann vor Ort die verletzte Frau und den Mann an.

Die genauen Umstände und die Hintergründe der Tat sind gemäss der Mitteilung noch unklar.

Der Femizid an Fulya Demir im Oktober 2021:

Die Statistik des vergangenen Jahres

Am Montag veröffentlichte das Bundesamt für Statistik (BfS) die polizeiliche Kriminalstatistik des Jahres 2022. Femizide werden in der Schweiz trotz immer lauter werdender Forderungen nicht als eigene Kategorie geführt. Einzige Anhaltspunkte bieten die Zahlen zu häuslicher Gewalt: Vollendete Tötungen von Frauen im häuslichen Bereich kommen der Kategorie Femizid am nächsten.

Im vergangenen Jahr wurden laut des BfS 18 Frauen oder Mädchen von einer Person getötet, die mit ihnen im selben Haushalt lebte. In 34 Fällen überlebten weibliche Opfer ein versuchtes Tötungsdelikt. Von den Männern überlebten 27 ein versuchtes Tötungsdelikt, 7 starben.

Am häufigsten kam es im Rahmen von häuslicher Gewalt zu Tätlichkeiten. Laut Artikel 126 des Schweizerischen Strafgesetzbuches handelt sich dabei um:

«[...] eine allgemein übliche und gesellschaftlich geduldete Mass überschreitende physische Einwirkung auf einen Menschen, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge hat.»

Gemäss den Zahlen des BfS wurden Frauen mehr als doppelt so oft Opfer von Tätlichkeiten. Folgende Liste gibt Auskunft über Delikte, die von Tätlichkeiten bis zum Tötungsdelikt reichen:

Dass Frauen in der Schweiz viel häufiger Opfer häuslicher Gewalt werden als Männer, verdeutlicht diese Grafik:

Die Opferstatistiken allein geben keinen Aufschluss über die Täterinnen und Täter, die hinter dem Delikt stehen. Hierzu führt das BfS eine separate Statistik. Diese zeigt, dass von 25 Tötungsdelikten im eigenen Haushalt in 20 Fällen ein Mann dafür verantwortlich war. In 13 Fällen handelte es sich bei der getöteten Frau um seine Partnerin. Dem gegenüber steht nur ein Fall, in dem eine Frau ihren Partner tötete.

In je vier Fällen waren sowohl Männer als auch Frauen für ein Tötungsdelikt innerhalb einer Eltern-Kind-Beziehung verantwortlich.

Da Femizide nicht als eigene Kategorie geführt werden, sind Fälle nicht gelistet, in denen eine Frau von einem Mann ausserhalb des Haushalts getötet wurde.

(saw mit Material der Nachrichtenagenturn sda und dpa)

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79 Kommentare
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Joline86
28.03.2023 18:20registriert Oktober 2020
Vielleicht hilft ja diese Definition, es besser zu verstehen: Femizid wird als vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von ,Verstößen‘ gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden, definiert. Er gehört daher zu den Hassverbrechen.
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Sensei
28.03.2023 16:04registriert Mai 2015
"Werden Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet, so spricht man von einem Femizid."

Alles selbstverständlich ausserordentlich tragische Fälle, aber in keiner Beschreibung finde ich dieses Motiv/Grund für die Tat.
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In vino veritas
28.03.2023 17:09registriert August 2018
Ihr solltet eure Artikel vor der Veröffentlichung nochmals durchlesen. In keinem der aufgelisteten Fälle liegt bis anhin auch nur der Verdacht auf einen Femizid vor. Ich könnte jetzt den Verdacht äussern, dass ihr das bewusst macht, doch so blöd seid ihr bestimmt nicht. Schliesslich wisst ihr doch, dass das der Sache nur schadet.
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