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Neue Details zu Geiselnahme in Yverdon – Entführer war von Frau besessen

Vaud cantonal police officers watch the Travys train where a hostage-taking incident took place at Essert-sous-Champvent station, Switzerland, Thursday, Feb. 8, 2024. A hostage-taking incident took pl ...
Die Zugstation Essert-sous-Champvent, wo ein Mann in einem Zug am 8. Februar Geiseln genommen hatte und schliesslich erschossen wurde.Bild: keystone

Neue Details zu Geiselnahme in Yverdon – Entführer war von Frau besessen

21.02.2024, 04:2421.02.2024, 13:47
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Am 8. Februar nahm der iranisch-kurdische Asylbewerber Qader B. in einem Zug in Essert-sous-Champvent (VD) 13 Menschen als Geiseln. Bei der Geiselnahme bestand er darauf, mit einer Frau zu sprechen. Wie das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS nun berichtet, war der Mann von dieser Frau, die bei einem Asylzentrum arbeitete, «seit etwa anderthalb Jahren besessen». Er soll sie zudem gestalkt haben.

Die Frau, der von RTS den fiktiven Namen Carine gegeben wird, ist noch immer krankgeschrieben. RTS hat sie gemäss eigenen Angaben zwar telefonisch erreicht, sie selbst wollte aber keine Auskunft geben. Die Journalisten haben sich deshalb an ihr Umfeld gewandt, wodurch weitere Details zu Carine bekannt wurden.

«Invasives» Verhalten

Demnach trafen sich Qader B. und Carine kurz nach der Ankunft des Asylbewerbers in der Schweiz im August 2022. Der iranische Kurde wurde in der provisorischen Unterkunft in der Rochat-Kaserne (VD) untergebracht, wo Carine arbeitet. Sie ist dort für die Betreuung von Asylbewerbern zuständig. Carine trifft sie jeden Tag, beantwortet ihre Fragen, kocht mit ihnen, «sie ist ein bisschen wie die Familie, die sie in der Schweiz nicht haben», so RTS.

Der Iraner Qader B. habe zunächst mit Carine geflirtet, diese liess sich aber nicht darauf ein. Dass Asylbewerber ihr Glück beim Personal von Asylzentren versuchten, käme öfter vor, sagt eine Quelle gegenüber RTS.

Im November 2022 wurde B. dann in eine andere Unterkunft im Kanton Bern versetzt. Dort soll sein invasives Verhalten begonnen haben: B. schrieb Carine auf den sozialen Medien an, sie blockierte ihn aber. Anfang 2023 begann er schliesslich, vor der Rochat-Kaserne auf sie zu warten. Gemäss den Quellen, mit der RTS Kontakt hatte, sei er dabei nie «bedrohlich» geworden, seine Anwesenheit sei aber dennoch «beunruhigend» gewesen. Mitarbeitende der Bundeszentrale baten ihn deshalb, nicht mehr zu kommen, doch B. gehorchte nicht. Die Waadtländer Kantonspolizei ist aus diesem Grund auch mehrmals zur Kaserne gerufen worden, um B. daraufhin wieder nach Genf zurückzubringen.

Anzeige gegen Qader B.

Angesichts der Situation und in der Hoffnung, Qader B. würde von ihr ablassen, wurde Carine vorübergehend für einige Wochen in das Bundesasylzentrum Boudry in Neuenburg verlegt. Im Hochsommer tauchte der Iraner allerdings immer noch vor der Rochat-Kaserne auf, woraufhin die Frau beschloss, Strafanzeige gegen den Asylbewerber einzureichen. Diese wurde allerdings abgelehnt, unter anderem, weil die Bedrohung nicht weit genug ging: «Kein Artikel des Strafgesetzbuches beschreibt die Belästigung, der sie ausgesetzt war. Angesichts der geschilderten Sachlage konnte keine Strafanzeige entgegengenommen werden», so die Kantonspolizei gegenüber RTS.

Carine beschloss daher, Qader B. selber vor der Rochats-Kaserne zur Rede zu stellen, in Begleitung von Kollegen. Der Asylbewerber sei dabei ruhig geblieben, habe aber «viel geweint». Und: «Er sagte, dass er nicht mehr in die Kaserne zurückkehren und zum Sterben in die Ukraine gehen würde», berichten zwei Zeugen gegenüber RTS.

Paranoide Wahnvorstellungen und Spitaleinweisung

Qader B. kehrte dennoch mehrfach in die Kaserne zurück. Er sei von Carine besessen gewesen, schreibt RTS, «eine Obsession, die einige Monate zuvor in Genf zu paranoiden Wahnvorstellungen und mehreren, erzwungenen Krankenhauseinweisungen geführt hat.»

Im September 2023 tauchte der Iraner schliesslich unter. Nach Angaben von RTS reiste er in dieser Zeit tatsächlich nach Deutschland und Polen, bevor er diesen Winter in die Schweiz zurückkehrte. «Er wollte in der Ukraine kämpfen und sterben», so einer seiner Verwandten.

Sie wusste nicht, dass er tot war

Erst am 8. Februar 2024, am Tag der Geiselnahme, hörte Carine wieder von ihm. An diesem Tag erhielt sie einen Anruf, von dem sie offenbar glaubte, dass es sich um einen Scherz handelt. Am anderen Ende der Leitung war eine Geisel, die ihr dann den Angreifer übergab. Dieser befahl Carine, schnell zu kommen, sonst würde er den von ihm festgehaltenen Personen Schaden zufügen. Carine aber rief die Polizei, die sie abholte und zum Tatort der Geiselnahme brachte.

Ein Polizeibeamter beruhigte sie daraufhin damit, dass «alles vorbei ist» – sagte ihr aber nicht, dass Qader B. erschossen wurde. Erst durch Medienberichte im Internet fand sie später heraus, dass der Mann tot war. Das sei für sie ein Schock gewesen, berichten die Quellen gegenüber RTS. Auch zwei Wochen nach dem Vorfall ist Carine demnach arbeitsunfähig. (lak)

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70 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Wespenstich
21.02.2024 05:21registriert August 2022
Dieser armen Frau wurde 1.5 Jahre lang nachgestellt, ohne dass irgendwer irgendwas dagegen unternommen hätte. Aber als der Typ dann 13 Geiseln nahm, um einen Kontakt mit der Frau zu erzwingen, da wurde sie erst herangekarrt und dann wieder nach Hause geschickt - ohne jede Info über den Stand der Dinge. In Angst und Schrecken hat sie dann ausgeharrt, bis sie über die Medien über den Tod des Täters erfahren hat. Es ist einfach unfassbar wie diese Frau vom System im Stich gelassen wurde. Es braucht dringend anti-stalking Gesetze in der Schweiz.
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Wespenstich
21.02.2024 05:33registriert August 2022
Dieser Fall endete mit dem Tod des Stalkers / Geiselnehmers. Das ist eine seltene Ausnahme. Normalerweise enden solche Fälle mit dem Tod des Stalking-Opfers. Es braucht dringend nationale anit-stalking Gesetze + Verhaltensregeln im beruflichen Bereich, so dass unerwünschte, wiederholte, unnötige Kontaktaufnahmen, sei es online oder im realen Leben, strafbar werden. Und zwar auch ohne direkte Bedrohung oder andere Straftaten. Insbesondere wenn es um Menschen geht, die in solch exponierten und vulnerablen Positionen arbeiten wie die Frau in diesem Beispiel.
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Jeschibaba
21.02.2024 06:18registriert Mai 2015
Diese Frau wird 1.5 Jahre lang gestalkt, wird dann von der Polizei nicht korrekt behandelt und schlussendlich wird sie noch von Journalisten belästigt. Sie will keine Auskünfte geben, aber die Journalisten machen einfach weiter und befragen ihr Umfeld. Sag mal, gehts noch? Lasst sie doch einfach endlich in Ruhe.
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