Sanija Ameti – keine andere Schweizer Jungpolitikerin schafft es derzeit häufiger auf die Titelseite als die Co-Präsidentin der Operation Libero. Schreibt man über sie, weiss man, dass die Diskussion in der Kommentarspalte hitzig wird. Von den einen gehasst, von den andern gefeiert – ein Dazwischen scheint es selten zu geben.
Was ist das für eine Frau, die an SVP-Podien teilnimmt, wohl wissend, dass sie währenddessen ausgebuht wird und danach Morddrohungen erhält? watson hat sie zu einem Gespräch getroffen.
Nach öffentlichen Auftritten wird ihr oft unterstellt, dass sie eine kühle Ausstrahlung hätte und arrogant sei. Im persönlichen Gespräch wirkt sie aufgeschlossen. Sie lacht häufig und herzlich, erzählt offen von ihrem Privatleben und ihrer Kindheit.
Ebendiese wurde von einer Kriegs- und Migrationserfahrung geprägt. «Meine Eltern und ich mussten 1995 unsere Heimat, damals noch Jugoslawien, verlassen und in ein sicheres Land flüchten. Ich war drei Jahre alt. Die ersten aktiven Erinnerungen, die ich habe, sind aus dieser Zeit. Diese Bilder von unzähligen Wäldern haben sich in meinem Kopf eingeprägt, deshalb gehe ich bis heute nicht gerne in den Wald.»
In der Schweiz angekommen, musste die Familie Ameti – wie unzählige andere geflüchtete Familien – sich neu orientieren. «Mein Vater war Politiker in Ex-Jugoslawien, deshalb waren wir sehr sichtbar. In der Schweiz haben meine Eltern ihre Identität abrupt geändert: Ab 1995 waren wir unerwünschte Ausländer und mussten deswegen unsichtbar sein.»
Ametis Erziehung sei von einem Grundsatz geprägt gewesen: «Du darfst nicht auffallen.» Heute sagt sie: «Das ging mir gegen den Strich. Als ich mit dem Jurastudium begann und unsere Verfassung besser kennengelernt habe, machte mich das noch wütender. Denn da stehen Sätze wie ‹Jeder Bürger ist gleich› und ‹Frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht›. Aber gleichzeitig heisst es, dass ich, diejenige, die keine ‹Ur-Schweizerin› ist, bescheiden sein soll, sich politisch nicht einbringen darf – ihre Freiheit nicht gebrauchen soll.»
Die Bescheidenheit und die Forderung, dass sie nicht auffallen solle, begleiten Ameti täglich. «Viele Leute sagen mir, geh doch zurück dahin, wo du herkommst und politisiere dort. Im Umkehrschluss heisst das, dass dieser Teil der Gesellschaft die Schweiz als Willensnation und damit unsere Verfassung verwirft.»
Sie fügt an: «Als Frau musst du in der Schweiz bescheiden sein. Als migrantische Frau musst du nicht nur bescheiden sein, sondern bescheiden und dankbar.»
Ameti will dieser Vorstellung entgegenwirken und sagt entschlossen: «Wenn ich doch aber laut Bundesverfassung genau gleich bin wie alle anderen Bürger, darf ich dann nicht gleich unbescheiden und frei sein wie ein 70-jähriger, weisser Mann?»
Sie finalisiert: «Und mit diesem Selbstbewusstsein mache ich Politik. Das ist mein Politikstil und er treibt gewisse Leute in den Wahnsinn. Dann heisst es, dass ich arrogant sei, unbescheiden und undankbar. Aber eigentlich bin ich nur frei und gleich.»
Ameti wurde den Erwartungen ihrer Eltern in vielerlei Hinsicht gerecht: Sie war eine gute Schülerin, machte die Matura, schloss das Jurastudium mit guten Noten ab und doktoriert seit 2018 an der Juristischen Fakultät der Universität Bern im Bereich Cyber-Security.
Bei der Karrierewahl hätte es einen Schlüsselmoment gegeben. Nach der Matura habe ihr Vater, der vor der Flucht in die Schweiz als Professor für Molekularbiologie und Biochemie gearbeitet hat, sie gefragt, was für ein Studium sie nun anstrebe.
Ameti habe ihm erklärt, dass sie Kunstgeschichte studieren würde. «Ich habe meinen Vater noch nie so enttäuscht gesehen. Er sass da und sagte: ‹Ich bin nicht in die Schweiz gekommen, damit du Kunst machst. Du kannst Ärztin werden oder Anwältin.›»
Sie sagt: «In diesem Moment habe ich realisiert, dass es für meine Eltern um viel mehr geht als für mich: um unsere Existenz. Da sprach nicht ein autoritärer Vater, sondern ein Mensch mit Existenzängsten.»
Ameti habe ihrem Vater gesagt: «Okay, ich mache Jus.» Bis heute habe sie diese Entscheidung nicht bereut. Ihr politisches Engagement hingegen habe sie ihren Eltern jedoch lange verschwiegen: «Meine Eltern haben Angst um mich, denn ich bin alles andere als unsichtbar. Also genau das, was sie nicht wollten. Ich spreche mit ihnen auch nicht über meine politischen Ämter.»
Besonders für ihren Vater sei es schwer: «Er hat Angst um meine Sicherheit. Und ich kann das auch verstehen, denn er selbst wurde verfolgt und interniert, weil er Politiker war.»
Ameti habe nicht geplant, jemals Politikerin zu werden. Sie habe immer gedacht, sie studiere Recht, mache ihr Doktorat und arbeite dann für eine Cyber-Security-Firma – das macht sie nun alles auch. Eine neue, zeitintensive Passion kam jedoch dazu, als sie sich für die Schweizer Politik zu interessieren begann. Heute sagt sie: «Von einem Tag auf den anderen hat sich alles auf den Kopf gestellt.»
Für ihr grosses Interesse für die Politik gäbe es mehrere Faktoren: «Die Kriegserfahrung, dass mein Vater, der ausländische Professor, sein ganzes Studium nachholen musste in der Schweiz und wir zu siebt in einer 3,5-Zimmer-Wohnung aufgewachsen sind. Schlussendlich hat mich auch die Politik der SVP politisiert und ihre Ansicht, dass nicht alle Menschen gleich sind.»
Doch der grösste Einfluss auf Ametis Ambitionen, politisch aktiv zu werden, hatte die Schweizer Bundesverfassung. Ameti bezeichnet sich als Verfassungspatriotin:
Mehrfach erwähnt Ameti im Gespräch, dass alle Parteien, die aktuell im Parlament vertreten sind, wichtig seien für die Schweiz. So auch die SVP, obwohl sie selbst von verschiedenen Exponenten der Partei verbal angegriffen wurde: «In jedem Land gibt es ungefähr 30 Prozent Rechtskonservative bis Rechtsextreme und die müssen auch vertreten werden. Und wir müssen unsere demokratischen Werte gegen deren Angriffe ständig verteidigen, auch wenn es anstrengend ist. Das gehört zu einer Demokratie.»
Juso-Präsident Nicola Sigrist wurde im Juli spontan von dem SVP-Parteipräsidenten Marco Chiesa gefragt, ob sie ein Bier zusammen trinken würden – Siegrist lehnte ab. Ameti würde eine solche Einladung annehmen.
Sie sagt: «Ich war an einem SVP-Podium mit Roger Köppel und Christoph Blocher. Dort wurde ich ausgebuht. Das ist alles andere als schön. Aber es ist Teil meiner Aufgabe in einer Demokratie. Ich habe meine eigene Haltung und ich vertrete diese. Ich gehe nicht an ein Podium und biedere mich der SVP an, um Applaus von Rechtspopulisten zu bekommen, dann werde ich halt ausgebuht.»
Durch das, dass Ameti sich – für eine demokratische Schweiz – jeder Diskussion stellt, fällt sie auch auf. Sie ging in einer Militäruniform an ebendieses Podium und sagte im SRF-Club, dass sie sich den SVP-Bundesrat Albert Rösti politisch nicht schöntrinken könne. Provokant ist ein Adjektiv, welches in der Berichterstattung über sie nicht selten fällt: «Man kann mir das glauben oder nicht, aber ich denke mir nicht: ‹Ich gehe jetzt an diesen Anlass und provoziere›, sondern ich denke: ‹Ich gehe an diesen Anlass, sage und trage, was ich denke.›»
Ameti sitzt seit Mai 2022 für die GLP im Zürcher Gemeinderat, 2023 kandierte sie erfolglos für den Zürcher Kantonsrat. Nun möchte sie sich im nationalen Parlament politisch einbringen und kandidiert für den Nationalrat.
Doch Ameti hat den 18. Listenplatz bekommen – keine Spitzenposition. Sie ist ehrlich: «Natürlich hätte ich mir einen besseren Listenplatz gewünscht. Aber ich bin es mir gewohnt, dass ich mich mehr beweisen muss als andere.»
Sie habe sich gesagt: «Du bist auf dem Listenplatz 18. Entweder du ziehst das mit dem nötigen Grössenwahn durch oder gar nicht.» Und sie habe sich entschieden, es durchzuziehen.
Ameti weiss auch genau, warum sie nun alles gibt, sie möchte ein Vorbild sein: «Die balkanstämmige* Bevölkerungsschicht hat keine einzige Vertretung im nationalen Parlament, obwohl sie die grösste migrantische Schicht ist.»
Sie fügt an: «Die Leute müssen verstehen, dass sie politisch Verantwortung übernehmen müssen für unser Land, wenn sie den Schweizer Pass bekommen haben. Der Schweizer Pass ist für mehr zu brauchen als nur zum Reisen.»
Ameti möchte mit ihrer Politik vor allem die jungen Bürgerinnen und Bürger erreichen – doch genau die interessieren sich am wenigsten für die Politik. «Zu einem gewissen Teil ist die Politik tatsächlich langweilig. Deswegen darf meine Art zu politisieren nicht langweilig sein», sagt sie lachend und fügt an: «Meine kleine Schwester würde jetzt sagen: ‹Sanija, du bisch so cringe ...›»
Viele junge Menschen würden auch keine Politikerinnen und Politiker mehr kennen. Ameti sagt: «Jeder kennt Christoph Blocher. Er ist einer der wenigen Politiker, die mich nicht langweilen. Deshalb mache ich so gerne Podien mit ihm.»
Mit Blocher diskutierte Ameti auch schon über die Annäherung an die EU, eines ihrer Kernanliegen: «Wir müssen in Zukunft gewährleisten können, dass die Schweiz an Medikamente, Strom oder andere essenzielle Güter aus dem Ausland kommt. Wir brauchen endlich einen Vertrag mit der EU – deshalb haben wir auch die Europa-Initiative gestartet.»
Die Europa-Initiative kommt 31 Jahre nach dem EWR-Nein. Ist die Schweiz heute eine andere als damals? «Ja, sie ist eine andere, aber nicht zu ihrem Vorteil. Mental ist die Schweiz heute noch viel weiter entfernt vom solidarischen Grundgedanken, ein Land in Europa zu sein. Die SVP hat den Diskurs 30 Jahre lang nach rechts verschoben.»
Sie erklärt:
Ameti hat einen klaren Plan: «Genau diese Diskursverschiebung und damit einhergehend mehrere Europa-Initiativen werden mein Lebensprojekt.» Schmunzelnd fügt sie an: «Ich habe ja noch mindestens 35 Jahre bis zu meiner Pensionierung.»
*Ameti versteht unter «balkanstämmig» Menschen aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Albanien, Serbien, dem Kosovo, Nordmazedonien und Montenegro.
Die meisten Länder, die der EU in den letzten Jahren beitraten, taten dies, weil sie darin in erster Linie einen ökonomischen Vorteil sahen. Das gilt nicht für unser Land.
Mieten, Teuerung, Krankenkassenprämien etc. sind es jedenfalls nicht!
Wir haben in dem ganzen Artikel nichts über Inhalte erfahren (ok, Europa), nichts darüber, wofür sie sich konkret einsetzen will. Sie macht Performance (Uniform am Podium) und Identitätspolitik (wählt mich, weil balkanstämmig). Dazu erfahren wir noch schön viel persönliches (erst im Jus Studium das erste Mal die Verfassungspräambel gelesen, lol). Sie bietet an, was 'earned media' also unbezahlte Aufmerksamkeit gibt. Fazit bisher: unwählbar, weil inhaltsleer.