Schweiz
Wahlen 2023

Umweltpolitik: So schwer hat sie es im neuen Parlament

Sicht auf die A1 Autobahn im Grauholz, am Donnerstag, 16. Maerz 2023, in Bern. Der Kanton Bern diskutiert ueber einen Ausbau des Abschnittes im Grauholz auf acht Spuren. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Der VCS bekämpft den Ausbau der Autobahnen mit dem Referendum, doch die Abstimmung ist schwer zu gewinnen.Bild: keystone

So schwer hat es die Umweltpolitik im neuen Parlament

Die Öko-Parteien wurden bei den Wahlen im Oktober geschwächt. Der Politologe Claude Longchamp erläutert die Gründe. Und zeigt, wie Umweltpolitik trotzdem möglich ist.
20.12.2023, 17:59
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Vier Jahre nach der «grünen Welle» kam es bei den Wahlen im Oktober zur Ernüchterung. Die drei Bundesratsparteien SVP, SP und Mitte legten zu, dafür verzeichneten Grüne und Grünliberale teilweise deutliche Verluste. Der Schwung durch die Klimaproteste von 2019 wurde durch den Unmut über die Aktionen der «Klimakleber» verdrängt.

So lautet ein Befund des Politologen Claude Longchamp, den er am Montag an einem Webinar des Verkehrsclubs der Schweiz (VCS) präsentierte. Es ging um die Auswirkungen der Parlaments- und Bundesratswahlen auf die Umweltpolitik. Der kurze und ziemlich verknappte Fazit lautet: Es wird schwierig, aber punktuelle Erfolge bleiben möglich.

Juerg Grossen, Parteipraesident der GLP Schweiz und Nationalrat GLP-BE, links, und Balthasar Glaettli, Parteipraesident Gruene Schweiz und Nationalrat GP-ZH, rechts, sprechen kurz vor der Elefantenrun ...
Die Parteipräsidenten Jürg Grossen (GLP) und Balthasar Glättli (Grüne) am Wahltag.Bild: keystone

Für Longchamp, den langjährigen Fernseh-Politikerklärer, war es ein besonderer Moment. «Dies ist mein letzter Vortrag als aktiver Politologe», erklärte er einleitend. Mit 66 Jahren geht er in Pension. Gleichzeitig schloss sich ein Kreis, denn sein erstes praxisbezogenes Referat hatte er 1986 ebenfalls beim VCS gehalten – zu Tempo 30.

Jans als «Schatten-Umweltminister»

Gewisse Themen bleiben ein Dauerbrenner. Am Montag aber ging es nicht um Tempo 30, sondern um die Umwelt- und Verkehrspolitik. Im Bundesrat werde sie von UVEK-Vorsteher Albert Rösti geprägt. Mit der Wahl des Umweltpolitikers Beat Jans sei eine «gewisse Korrektur» möglich. Jans könne ein «Schatten-Umweltminister» werden, meinte Longchamp.

Das aber war es bereits mit den Good News. Denn im Parlament sind die ökologischen Kräfte in der Defensive. «Der Wahlkampf hat den Grünen geschadet», erklärte Claude Longchamp. Obwohl der Klimawandel auf der Sorgenliste weit oben steht, seien Klima- und Verkehrsfragen kein Thema gewesen. Oder nur im negativen Kontext der Klimakleber.

Problematische Triggerpunkte

Ein Viertel der Wählerverluste von Grünen und GLP sind gemäss der Nachwahlbefragung des Instituts Sotomo auf diese zurückzuführen. Longchamp erwähnte ein aktuelles Buch mit dem bezeichnenden Titel «Triggerpunkte». Es zeigt, wie eine Debatte durch das Schüren von Emotionen nach dem Motto «Draufhauen statt argumentieren» polarisiert werden kann.

Einer sachlichen Umwelt- und Klimadebatte ist dies nicht zuträglich. Die Herausforderung sei, wie man diesen Triggerpunkten begegnen könne, meinte Longchamp. Für den VCS stellt sie sich konkret. Er hat das Referendum gegen den vom Parlament beschlossenen Autobahn-Ausbau ergriffen und schon mehr als 70’000 Unterschriften beisammen.

Persönliche Freiheit hoch im Kurs

Die Vorlage wird vors Stimmvolk kommen, vermutlich am 9. Juni 2024. Im Zentrum steht der Ausbau von Teilstrecken der A1 auf sechs bis acht Spuren. Neben dem VCS steht eine breite Allianz von Umweltverbänden hinter dem Referendum, dennoch ist die Ausgangslage schwierig. In einer repräsentativen watson-Umfrage befürworteten 54 Prozent den Ausbau.

Claude Longchamp hat dafür eine interessante Erklärung: Seit der Corona-Pandemie sei die Einschränkung der persönlichen Freiheit ein grosses Thema: «Das ist ein neues Phänomen.» Es betrifft auch den motorisierten Individualverkehr. «Eine ökologische Verkehrspolitik, die die individuelle Freiheit einschränkt, halte ich für problematisch», meinte der Politologe.

Auf Agglomerationen ausrichten

Ist der Kampf gegen den Autobahn-Ausbau also schon verloren? Longchamp rät dem VCS, seine thematische Kampagne auf die Agglomerationen auszurichten. Dort hat ein gut ausgebauter öffentlicher Verkehr oft einen höheren Stellenwert als der Autoverkehr. Auch gelte es, das politische Zentrum zu gewinnen. Und die Frauen zu mobilisieren.

Geschaeftsfueher Daniel Issler, Bundesraetin Simonetta Sommaruga, Verwaltungsratspraesident Hans Egloff, Zuercher Regierungsraetin Carmen Walker Spaeh und der Aargauer Regierungsrat Stephan Attiger, M ...
In den Agglomerationen sieht Claude Longchamp Chancen für eine ökologische Verkehrspolitik – sofern die persönliche Freiheit nicht eingeschränkt wird.Bild: keystone

Bis in die 1980er-Jahre seien die Frauen konservativ gewesen, so Longchamp. Sie hätten ein geringeres Bildungsniveau gehabt und seien oft auf den Haushalt beschränkt gewesen. Das hat sich geändert. Heute liessen sie sich leichter mobilisieren. Longchamp erwähnt das «linke» Bern, «die einzige Stadt, in der mehr Frauen abstimmen als Männer».

Es ist nicht alles verloren für eine progressive Umwelt- und Verkehrspolitik. Doch einfach werden die nächsten vier Jahre nicht, wie auch Edward Weber feststellte, Projektleiter Mobilität der Zukunft beim VCS und Moderator des Webinars: «Es kommen harte Zeiten auf uns zu», kommentierte er die Ausführungen von Claude Longchamp.

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139 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Linus Luchs
20.12.2023 18:21registriert Juli 2014
Ein Hitzerekord nach dem andern. Über die Hälfte aller Bäume krank. Mehr Stürme, mehr Überschwemmungen, mehr Felsstürze, mehr Erdrutsche. Dramatisches Insektensterben, dramatisches Vogelsterben, dramatisches Artensterben auf der ganzen Welt. Mehr Dürren, mehr Hungersnöte, mehr Konflikte, mehr Flüchtlinge.

Und die Antwort der Schweiz?

Wir bauen die Autobahnen aus!

Das mein Land so ignorant und so rücksichtslos ist, will ich erst glauben, wenn es so weit ist. Bis dann bleibt eine Resthoffnung.
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7immi
20.12.2023 22:06registriert April 2014
Wir verlieren uns mal wieder im Detail. Ja, es wäre schön, wenn man die Autobahn nicht ausbauen müsste, das lässt sich aber nicht ändern bei dem Verkehrsaufkommen und dem weiteren Bevölkerungszuwachs. Schlimmer als Verkehr ist Stau, und den gibt es zu Genüge. Auch künftig bei einer Verlagerung der Güterströme wird der Ausbau benötigt werden, denn nicht alles kann mit der Bahn geschehen. Wichtiger wäre es, man würde mal endlich beim Ausbau der Erneuerbaren aufs Gas drücken, als dass man den Autobahnausbau torpediert. Für die 12 Mio-Schweiz brauchen wir unweigerlich mehr Strassen, Schienen, etc.
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Jeminee
21.12.2023 06:40registriert August 2021
Mal ehrlich: Nicht mehr Spuren führen zu mehr Verkehr sondern mehr Menschen. Es braucht beides ÖV und Individualverkehr, sonst ist das Verkehrsaufkommen nicht zu bewältigen. Wer mit dem Strom täglich im ÖV unterwegs ist, weiss wovon ich rede.
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