Vier Jahre nach der «grünen Welle» kam es bei den Wahlen im Oktober zur Ernüchterung. Die drei Bundesratsparteien SVP, SP und Mitte legten zu, dafür verzeichneten Grüne und Grünliberale teilweise deutliche Verluste. Der Schwung durch die Klimaproteste von 2019 wurde durch den Unmut über die Aktionen der «Klimakleber» verdrängt.
So lautet ein Befund des Politologen Claude Longchamp, den er am Montag an einem Webinar des Verkehrsclubs der Schweiz (VCS) präsentierte. Es ging um die Auswirkungen der Parlaments- und Bundesratswahlen auf die Umweltpolitik. Der kurze und ziemlich verknappte Fazit lautet: Es wird schwierig, aber punktuelle Erfolge bleiben möglich.
Für Longchamp, den langjährigen Fernseh-Politikerklärer, war es ein besonderer Moment. «Dies ist mein letzter Vortrag als aktiver Politologe», erklärte er einleitend. Mit 66 Jahren geht er in Pension. Gleichzeitig schloss sich ein Kreis, denn sein erstes praxisbezogenes Referat hatte er 1986 ebenfalls beim VCS gehalten – zu Tempo 30.
Gewisse Themen bleiben ein Dauerbrenner. Am Montag aber ging es nicht um Tempo 30, sondern um die Umwelt- und Verkehrspolitik. Im Bundesrat werde sie von UVEK-Vorsteher Albert Rösti geprägt. Mit der Wahl des Umweltpolitikers Beat Jans sei eine «gewisse Korrektur» möglich. Jans könne ein «Schatten-Umweltminister» werden, meinte Longchamp.
Das aber war es bereits mit den Good News. Denn im Parlament sind die ökologischen Kräfte in der Defensive. «Der Wahlkampf hat den Grünen geschadet», erklärte Claude Longchamp. Obwohl der Klimawandel auf der Sorgenliste weit oben steht, seien Klima- und Verkehrsfragen kein Thema gewesen. Oder nur im negativen Kontext der Klimakleber.
Ein Viertel der Wählerverluste von Grünen und GLP sind gemäss der Nachwahlbefragung des Instituts Sotomo auf diese zurückzuführen. Longchamp erwähnte ein aktuelles Buch mit dem bezeichnenden Titel «Triggerpunkte». Es zeigt, wie eine Debatte durch das Schüren von Emotionen nach dem Motto «Draufhauen statt argumentieren» polarisiert werden kann.
Einer sachlichen Umwelt- und Klimadebatte ist dies nicht zuträglich. Die Herausforderung sei, wie man diesen Triggerpunkten begegnen könne, meinte Longchamp. Für den VCS stellt sie sich konkret. Er hat das Referendum gegen den vom Parlament beschlossenen Autobahn-Ausbau ergriffen und schon mehr als 70’000 Unterschriften beisammen.
Die Vorlage wird vors Stimmvolk kommen, vermutlich am 9. Juni 2024. Im Zentrum steht der Ausbau von Teilstrecken der A1 auf sechs bis acht Spuren. Neben dem VCS steht eine breite Allianz von Umweltverbänden hinter dem Referendum, dennoch ist die Ausgangslage schwierig. In einer repräsentativen watson-Umfrage befürworteten 54 Prozent den Ausbau.
Claude Longchamp hat dafür eine interessante Erklärung: Seit der Corona-Pandemie sei die Einschränkung der persönlichen Freiheit ein grosses Thema: «Das ist ein neues Phänomen.» Es betrifft auch den motorisierten Individualverkehr. «Eine ökologische Verkehrspolitik, die die individuelle Freiheit einschränkt, halte ich für problematisch», meinte der Politologe.
Ist der Kampf gegen den Autobahn-Ausbau also schon verloren? Longchamp rät dem VCS, seine thematische Kampagne auf die Agglomerationen auszurichten. Dort hat ein gut ausgebauter öffentlicher Verkehr oft einen höheren Stellenwert als der Autoverkehr. Auch gelte es, das politische Zentrum zu gewinnen. Und die Frauen zu mobilisieren.
Bis in die 1980er-Jahre seien die Frauen konservativ gewesen, so Longchamp. Sie hätten ein geringeres Bildungsniveau gehabt und seien oft auf den Haushalt beschränkt gewesen. Das hat sich geändert. Heute liessen sie sich leichter mobilisieren. Longchamp erwähnt das «linke» Bern, «die einzige Stadt, in der mehr Frauen abstimmen als Männer».
Es ist nicht alles verloren für eine progressive Umwelt- und Verkehrspolitik. Doch einfach werden die nächsten vier Jahre nicht, wie auch Edward Weber feststellte, Projektleiter Mobilität der Zukunft beim VCS und Moderator des Webinars: «Es kommen harte Zeiten auf uns zu», kommentierte er die Ausführungen von Claude Longchamp.
Und die Antwort der Schweiz?
Wir bauen die Autobahnen aus!
Das mein Land so ignorant und so rücksichtslos ist, will ich erst glauben, wenn es so weit ist. Bis dann bleibt eine Resthoffnung.