Der Stress begann bereits in meiner ersten Arbeitswoche: Ich musste während sechs Tagen 60 Stunden arbeiten. Damals war ich 15 Jahre alt. Aber ich muss sagen, irgendwie fand ich es cool. Es war alles so aufregend – eine neue, absurde Welt. Obwohl ich so viel arbeiten musste, machte es mich glücklich. Zunächst.
Denn mit der Zeit wurde die Arbeitsbelastung zermürbend, die anfängliche Euphorie wich einer Daueranspannung. Es gab etliche Fälle, in denen das Gesetz umgangen wurde. Lehrlinge dürfen eigentlich nur 42 Stunden pro Woche arbeiten, bei mir waren es immer mindestens 50. Oft war es auch der Fall, dass wir uns um 22.00 Uhr ausstempelten und dann noch bis 01.00 Uhr oder 02.00 Uhr arbeiten mussten. Am Ende meiner Lehre hatte ich über 300 nicht kompensierte Überstunden – ausgezahlt wurden sie auch nicht.
In der Berufsschule gab es zwei Gruppen von Lehrlingen: zum einen jene, die im Alters- und Pflegeheim oder Spitälern arbeiteten, und jene, die wie ich in einem À-la-carte-Restaurant gearbeitet haben. In Heimen und Spitälern ist es besser geregelt. Die machen nicht so viele Überstunden, da es dort oft Kontrollen von auswärtigen Stellen gibt. Viele andere, die in den «normalen» Betrieben arbeiteten, kamen nicht in den Genuss dieser Regulierungen – wir arbeiteten alle zu viel.
Manchmal kam es mir so vor, als würde ich unter dem Stockholm-Syndrom leiden: Eigentlich bist du total k.o., weil du 13 Stunden gearbeitet hast, aber durch das ganze Adrenalin nimmst du das nicht so sehr wahr und findest trotzdem irgendwie inneren Frieden.
Bei uns in der Küche ging es zu und her wie im Film. An den schlimmsten Tagen schmiss der Küchenchef Pfannen durch den Raum. Natürlich nicht auf die Mitarbeitenden, aber es war trotzdem grenzwertig.
Alles steht und fällt mit der Laune des Küchenchefs. Er kam am Morgen jeweils als Letzter und wir haben alle darauf gewartet, wie er wohl gelaunt sein wird. Als er dann jeweils die Küche betrat, wussten wir sofort, wie der Tag ablaufen würde. Wenn er gute Laune hatte, wurde der Tag gut. Wenn er schlechte Laune hatte, haben wir stundenlang geschwiegen, um ihn nicht zu verärgern.
Es war völlig normal, dass er uns zwei bis drei Mal pro Woche so richtig angeschrien hat. Er stand jeweils 10 Zentimeter von meinem Gesicht entfernt und schrie mich mit voller Kraft 5 Minuten an – danach konnte ich mir seinen Speichel aus dem Gesicht wischen.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass mich das abgestumpft hat und ich viel mehr aushalten kann – Worte können mich nicht mehr verletzen. Deswegen bin ich meinem alten Chef auch dankbar. Ob das eine positive Eigenschaft ist, weiss ich nicht wirklich.
Ganz ehrlich: Der Gedanke, die Lehre abzubrechen, schwirrte oft in meinem Kopf herum. Aber so bin ich nicht. Wenn ich etwas beginne, dann bringe ich es auch zu Ende. Viele meiner Mitschüler in der Berufsschule haben aber abgebrochen – rund ein Drittel würde ich schätzen. Heute arbeitet keiner meiner Freunde aus der Berufsschule mehr als Koch – obwohl unser Lehrabschluss noch keine drei Jahre her ist.
An alle, die sich überlegen, eine Kochlehre zu machen: Überlegt euch gut, ob ihr die nötige Leidenschaft für das Kochen und Essen habt. Denn ohne die funktioniert es nicht.
Dieser Job gibt einem wenig zurück, der Lohn ist ganz okay, dafür sind die Arbeitszeiten sehr anspruchsvoll. Spürt man aber eine Passion, kann dieser Beruf auch sehr erfüllend sein und ja, sogar Spass machen.
"Aber so ist es in der Küche halt." Nein, so muss man nicht mit den Mitmenschen umgehen! Jeder hat Respekt und Anstand verdient, egal wie alt, egal welches Geschlecht oder Herkunft.
Diesem Küchenchef hätte ich sowas von Feuer unter seinem Füdli gemacht.
Warum greifen die Eltern nicht ein?