«Konsum ist schlecht», «Konsum schadet der Umwelt», «Konsum macht unsere Gesellschaft kaputt»: Die ansonsten teils laute Kritik am Massenkonsum und seinen Folgen ist vor neun Wochen auf einen Schlag verebbt. «Gebt euer Geld aus», lautet stattdessen der Appell aus der Politik und Wirtschaft.
Die Coronakrise hat brutal aufgezeigt, wie wichtig das Geldausgeben für das Prosperieren unserer Wirtschaft und Gesellschaft ist. Der private Konsum ist eine der grössten Stützen der Schweizer Volkswirtschaft. 2019 betrug sein Anteil am Bruttoinlandprodukt laut dem Statistikportal Statista mit 53.1 Prozent mehr als die Hälfte. Total gaben Schweizerinnen und Schweizer im vergangenen Jahr rund 371.5 Milliarden Franken aus.
In den letzten zwei Monaten waren die Möglichkeiten zum Geldausgeben beschränkt. Ökonomen von der Credit Suisse gehen davon aus, dass die Konsumnachfrage während des Lockdowns 20 Prozent tiefer war als zuvor. Haushalte haben demnach 12 Milliarden Franken weniger für Konsumgüter und Dienstleistungen ausgegeben. Restaurants, Coiffeursalons, Kleiderläden oder Sportgeschäfte haben das in der Zwangspause am eigenen Leib gespürt.
Jetzt durften sie wieder öffnen, einige schon am 11. Mai, die meisten am vergangenen Montag. Kunden konnten ihr angespartes Geld somit endlich wieder ausgeben, für Kinderspielsachen, für Schuhe oder für ein neues Sofa. Doch wofür haben Schweizerinnen und Schweizer nun am meisten Geld lockert gemacht? Wie haben einzelne Läden die Wiederöffnung erlebt?
Eine CH-Media-Umfrage bei einigen Ketten und kleineren Boutiquen zeigt, dass vor allem die Möbelbranche einen guten Start hinlegen konnte. Ikea beispielsweise hat in dieser Woche nach Angaben eines Sprechers doppelt so viel verdient wie in einer vergleichbaren Woche vor der Schliessung.
«Jeder Tag war bei uns wie ein Samstag. Dabei hat uns sicher auch das regnerische Wetter geholfen. Es war richtiges Einkaufswetter», sagt der Sprecher. Ein weiterer Grund sei, dass sich die Leute in letzter Zeit viel mit ihrem Zuhause beschäftigen konnten. Viele Kunden kauften demnach mit einem genauen Plan ein. Wie schon zu Beginn des Lockdowns liefen Produkte rund ums Kochen, den Arbeitsplatz oder den Garten gut.
Auch in den Pfister-Filialen verlief die erste Woche nach der Wiedereröffnung «äusserst positiv», wie ein Sprecher sagt. Dies hatte man erwartet: In Nachbarländern, die schon am 2. Mai ihre Geschäfte öffnen durften, seien die Umsätze im Möbelhandel sehr gut. Dass Kunden den Weg in die Filialen gefunden haben, liegt sicher auch an Rabattangeboten, mit denen nicht nur in der Möbelbranche geworben wurde. Bei Pfister zum Beispiel gab es einen Willkommensrabatt von 15 Prozent.
Ahnungslos war vor der Eröffnung hingegen der Spielwarenhändler Amsler Spielwaren, der in der Schweiz zehn Filialen betreibt. «Wir waren sehr gespannt auf die Eröffnung und haben zwischen mehr und weniger Umsatz alles erwartet», sagt Geschäftsführer Marcel Amsler. «Jetzt haben wir einige Tage hinter uns und spüren, dass in unserem Bereich ein Nachholbedarf da ist. Vor allem Schultheken, die für den Schulstart im August traditionell schon im Frühling besorgt werden, wurden rege gekauft.»
Insgesamt sei der Umsatz etwas höher als an vergleichbaren Tagen im Vorjahr. Auch verkauften sich jetzt gleichzeitig Frühlings- und Sommerspielwaren, von Sandkastenschaufeln bis Wasserpistolen. «Ich sehe es sehr positiv», sagt Amsler. «Unsere Kunden sind relativ entspannt. Die Kindern lockern die Stimmung im Laden zusätzlich auf. Dann haben wir auch das Glück, dass wir recht viel Platz haben.»
Eine schlechte Woche scheinen auch weitere Unternehmen nicht erlebt zu haben. Die zu Coop gehörende Import Parfumerie, die Schuhhändlerin Dosenbach-Ochsner AG, die Fachmärkte der Migros sowie die Modeketten C&A und PKZ berichten von einer erfolgreichen Woche mit guten Umsätzen. Dies, obwohl sie teils von einer «gedämpften Konsumenstimmung» ausgegangen worden war, wie es etwa bei Dosenbach-Ochsner heisst.
Auch Manuela Beer, Chefin der Schweizer Modehauskette PKZ, hat der Kundenandrang positiv überrascht: «In Deutschland, Österreich und Dänemark, die früher öffnen durften, waren die Umsätze in der Modebranche zunächst bis zu 50 Prozent im Minus.» Ein Grund sei jedoch, dass Filialen mit wenig Platz erst später öffnen durften und dass das lückenhafte Angebot wohl weniger Kunden in die Innenstädte und Einkaufszentren gelockt habe.
Trotz der erfolgreichen Wiedereröffnung bezweifeln die Geschäfte aber, dass sie den Verlust der letzten Wochen aufholen werden können. Ob die Kundinnen und Kunden in Zukunft wieder regelmässig in die Geschäfte strömen werden, wird ausserdem davon abhängen, wie sicher sie sich fühlen. Deutlich steigende Fallzahlen an Infizierten wären sicherlich Gift für die Kundenfrequenzen, schreiben auch die Credit-Suisse-Ökonomen. Doch selbst wenn es gelingt, die Fallzahlen gering zu halten, werden die Umsätze wegen den Abstandsregeln in vielen Fällen geringer sein als zuvor. Läden wie auch Restaurants, Cafés und Bars dürfen nur eine gewisse Anzahl Leute reinlassen.
Alles in allem zeichnen die Analysten der Grossbank Credit Suisse dennoch eine überraschend optimistische Prognose für die Schweiz: Folgen weitere Lockerungen und kehrt die Normalität allmählich zurück, werden von den geschätzt 8 Milliarden Franken, die Schweizer Haushalte während der zwei Lockdown-Monate gespart haben, 5.5 Milliarden Franken nachträglich doch noch ausgegeben und in Umlauf gebracht.
Unternehmen scheinen daran noch nicht so recht zu glauben. Vor allem Gastronomen, die aufgrund der Abstandsregeln nur halb so viel verdienen können wie vor der Krise, gehen von einem Jahr zum Vergessen aus. Nicht viel besser tönt es im Detailhandel.
«Wir machen uns keine Illusionen, dass wir schnell wieder auf dem Niveau vor der Krise sein werden», sagt FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, die den Verband Swiss Retail Federation präsidiert. «Hinzu kommt, dass im Detailhandel schon vor der Krise viel Umsatz verloren ging. Für viele Geschäfte wird es sehr hart.» (aargauerzeitung.ch)
Nur 8 Millionen, also weniger als 1 Franken pro Person? 🤔