«Vertraulich: Enthält Migros-Geschäftsgeheimnisse»: Diesen Satz hat die Migros-Rechtsabteilung in Rot auf jedes Einschreiben gestempelt, mit dem der Händler versuchte, Preisüberwacher Stefan Meierhans auszubremsen. Dieser hatte eine sogenannte Vorabklärung zum Bio-Lebensmittelmarkt ins Rollen gebracht. Er wollte im letzten Jahr herausfinden, ob «Anhaltspunkte für eine missbräuchlich hohe Marge bei (Bio-)Produkten im Lebensmitteldetailhandel bestehen». Sprich: Ob die Händler bei Bioprodukten die hohe Kaufkraft in der Schweiz abschöpfen.
Dass Meierhans dazu sensible Daten herausverlangte und bei den Margen genauer hinschauen wollte, passte der Migros gar nicht. Wie Recherchen zeigen, verhinderte der Detailhändler nicht nur die Publikation einer ersten Fassung der Analyse. Er setzte daneben Druck auf, um den Bericht inhaltlich abzuschwächen.
Das Powerplay lässt sich mit der Korrespondenz zwischen der Migros-Rechtsabteilung und dem Preisüberwacher nachzeichnen. Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz hat CH Media Einsicht in diese Dokumente erhalten. Zwar erreichte die Migros auch hier, dass unzählige Stellen geschwärzt wurden – wegen angeblicher Geschäftsgeheimnisse. Auch die erste Fassung von Meierhans’ Vorabklärung zu den Bio-Margen steht unter Verschluss. Dennoch zeigt die Korrespondenz, welchem Gegenwind sich der Preisüberwacher ausgesetzt sieht, wenn er sich einen Grossverteiler vorknöpft.
Der Streit um die Bio-Margen nahm seinen Anfang im Frühling 2021, als beim Preisüberwacher Hinweise zu «missbräuchlichen Preisen» eingingen. Stefan Meierhans nahm dies zum Anlass, eine Vorabklärung durchzuführen und verlangte von den sechs grössten Detailhändlern Daten zur Margengestaltung – auch von der Migros.
Zwischen März und Juni 2022 gab es einen Austausch und verschiedene Kontakte zwischen dem Händler und Meierhans. Am 1. Dezember stellte der Preisüberwacher der Migros seine zusammengefassten Erkenntnisse in einem Newsletter-Beitrag sowie den dazugehörigen ausführlichen Bericht zu. Er setzte eine Frist von fünf Arbeitstagen, in denen der Händler Geschäftsgeheimnisse einschwärzen konnte.
Der Inhalt des Margenberichts sorgte in der Migros-Rechtsabteilung für Aufregung. Sie setzte ein sechsseitiges Einschreiben auf, in dem sie beantragte, auf die Publikation der beiden Dokumente in der vorliegenden Form zu verzichten. Ansonsten verlange man eine beschwerdefähige Verfügung – was bedeutet hätte, dass das Bundesverwaltungsgericht den Inhalt hätte beurteilen müssen, bevor der Bericht publiziert werden konnte.
Die Analyse des Preisüberwachers zerpflückte die Migros. Diese sei in «verschiedenen Punkten schlicht falsch, stark tendenziös und verstösst gegen die verfassungsrechtlich geschützte Wettbewerbsneutralität».
Mit der geplanten Publikation des Newsletters und des Berichts werde die Migros «ohne fundierte Datenlage in rechtswidriger Art und Weise an den Pranger gestellt», empörte sich die Migros in ihrer Antwort vom 9. Dezember. Der Händler störte sich vor allem daran, dass sich der Preisüberwacher angeblich auf die Margen der Grossverteiler fokussiere und «durch die tendenziöse Gestaltung und Sprache» an den Pranger stelle, während die Konkurrenz geschont werde.
Für den Newsletter-Beitrag stellte die Migros sieben Änderungsanträge. So wollte sie beispielsweise folgende Frage, die der Preisüberwacher aufwarf, streichen: «Ist von einer Situation mit kollektiver Marktbeherrschung von Coop und Migros auszugehen, wie sie ähnlich auch in Neuseeland beobachtet werden kann?»
Die Begründung der Migros: Die Aussage sei irreführend und unbelegt. Ebenso gelöscht werden sollte eine Grafik, die Margen-Daten von Migros und Coop visualisiert hätte. Die Migros drohte erneut: Wenn diese Änderungen nicht berücksichtigt würden, verlange man eine beschwerdefähige Verfügung. Und: Aufgrund der kurzen Frist werde man die Änderungsanträge zum ausführlichen Margenbericht erst eine Woche später einreichen.
Der Rundumschlag irritierte den Preisüberwacher. Zwar berücksichtigte er die Änderungen im Newsletter oder nahm Anonymisierungen vor. Er teile aber die rechtliche Einschätzung der Migros nicht, schrieb er am 16. Dezember. «Wir haben Ihre gewünschten Bereinigungen einzig deshalb vorgenommen, um einer Rechtsstreitigkeit im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit vorzubeugen und die Ergebnisse unserer Abklärungen ohne weiteren Verzug publizieren zu können.» Meierhans betonte, man werde den Newsletter am 19. Dezember 2022 veröffentlichen.
Doch dazu sollte es vorerst nicht kommen. In der besagten Publikation klaffte eine Lücke. Der Beitrag entfalle «vorderhand aufgrund von rechtlichen Abklärungen», hiess es da. Unzählige Medien berichteten daraufhin über den Abwehrkampf der Migros, die partout keine Details zu ihrer Bio-Marge preisgeben wollte.
Jetzt ist klar, warum Stefan Meierhans zurückkrebsen musste: Die Migros hatte nämlich am 16. Dezember für den ausführlichen Bericht zu den Bio-Margen ganze 53 Änderungsanträge gestellt. «Wettbewerbsverzerrend», «falsche Aussage», «Geschäftsgeheimnisse», «unzulässige Stimmungsmache»: Praktisch auf jeder Seite des Berichts forderte die Migros, ganze Passagen zu streichen oder zu schwärzen.
Der Bericht sei «über weite Teile widerrechtlich», kritisierte die Migros. Konkrete Zahlen zu den Margen, die der Preisüberwacher im Bericht vermutlich publizieren wollte, sind in der Korrespondenz zwar zensiert, dennoch geben die bekannten Passagen einen Einblick in die Stossrichtung der Analyse. Meierhans prangerte etwa an, dass sich Migros und Coop zu wenig Wettbewerb leisteten.
Nun verschärfte auch Stefan Meierhans den Ton. Die Migros sei mit diesem Katalog an Änderungswünschen «weit über das hinausgegangen, was ursprünglich intendiert war, nämlich allfällige Geschäftsgeheimnisse zu markieren». Vielmehr beantrage die Migros, den Bericht massiv zu kürzen. «Sie fordern praktisch, dass der Preisüberwacher die Sichtweise der Migros übernimmt.»
Die Rechtsabteilung der Migros liess jedoch nicht locker. Man biete zwar Hand für einen Kompromiss, heisst es in einem Einschreiben vom 12. Januar 2023. Dennoch sei man nach wie vor «irritiert», dass nur wenige Anträge berücksichtigt worden seien. Die Migros drängte vor allem darauf, die höheren Produzentenpreise für Bio-Produkte sowie die angeblich vergleichbare prozentuale Marge bei Bio- und konventionellen Produkten zu erwähnen.
Wie der Kompromiss genau aussah, bleibt unter den Schwärzungen der Migros verborgen. Fakt ist: Es kam ein Handel zustande, mit dem offenbar auch der Preisüberwacher leben konnte.
Man habe nur einen sehr kleinen Teil der Änderungsanträge berücksichtigt, und dies ohne, dass der Bericht dabei etwas von seiner Substanz verloren hätte, sagt Meierhans auf Anfrage von CH Media. «Wir konnten den Bericht in der Substanz de facto unverändert und erfolgreich mit wenig Verzögerung veröffentlichen.» Klar ist nach der Sichtung der Korrespondenz aber auch, dass mutmasslich erhellende Elemente zur Margen-Debatte der Intervention der Migros zum Opfer fielen. So ist eine Grafik, die spezifische Margendaten von Migros und Coop dargestellt hätte, im schlussendlich publizierten Bericht nicht mehr zu finden.
smyc
Liebe Migros-Chef-Leute: Bitte besucht mal eine kleine Geschichtsstunde zur Gründung eurer Firma. Und geht wieder in diese Richtung!
Gordi
PlusUltra
Ich bin froh, dass Meierhans sagt, der Bericht hätte in der entgültigen Form keine Substanz verloren.
Wundernehmen würde mich der erste Bericht allemal.