Am Montag geht es los: Die ersten Betriebe dürfen nach dem nationalen Lockdown ihre Türen wieder aufmachen. Dazu gehören Bau- und Gartenfachmärkte, Gärtnereien, Blumenläden sowie Betriebe mit personenbezogenen Dienstleistungen, also Coiffeur-Läden, Massagepraxen, Tattoo-Studios oder Kosmetik-Salons.
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Nur: Was sind die Bedingungen für die Wiedereröffnung? Nach wie vor gibt es auf diese Frage keine klare Antwort. Weder der Bund noch die Kantone definieren konkrete Schutzmassnahmen. Die wichtigste Doktrin im nationalen Krisenmanagement heisst nach wie vor: «Eigenverantwortung». Nachdem der Bundesrat am 16. April die ersten Lockdown-Lockerungen bekannt gab, kündigte er lediglich an, das Bundesamt für Gesundheit werde gemeinsam mit dem Seco ein grobes Konzept vorlegen. Auf der Grundlage dieses Grobkonzeptes sollten dann die einzelnen Betriebe ein Feinkonzept ausarbeiten können.
Am Mittwoch dann – zwei Arbeitstage vor der Wiedereröffnung – publizierte der Bund schliesslich das versprochene Grundkonzept. Es beinhaltet ein Musterschutzkonzept für Branchenorganisationen, das den verschiedenen Verbänden helfen soll, branchenspezifische Konzepte zu erarbeiten. Zudem gibt es zwei Standard-Schutzkonzepte für Unternehmen ohne Branchenverband. Davon ist eines für Bau- und Gartenfachmärkte, einschliesslich Gärtnereien und Blumenläden. Das andere soll Betrieben mit personenbezogenen Dienstleistungen mit Körperkontakt weiterhelfen.
Die insgesamt drei Schutzkonzepte des Bundes haben eines gemeinsam: Sie bleiben in ihren Angaben unspezifisch. Darin erläutert werden simple Massnahmen, wie das sogenannte «Stop-Prinzip». «S» steht für Substitution, also Distanz, «T» für technische Massnahmen wie getrennte Arbeitsplätze, «O» für organisatorische Massnahme, zum Beispiel veränderte Schichtplanung und «P» für persönliche Schutzmassnahmen wie Hygienemasken oder Handschuhe. Ob nur Angestellte oder auch Kunden Masken oder Handschuhe tragen sollen, wird offengelassen.
Bei den Branchenverbänden weiss man kaum vom Grobkonzept des Bundes. Gabriel Rupp von der Geschäftsleitung des Schweizerischen Verbands für Berufs-Masseure sagt: «Die Schutzmassnahmen des Bundes habe ich erst jetzt gesehen. Ich werde diese noch studieren müssen.» Der Verband habe allerdings bereits ein eigenes Konzept erstellt. Eventuell müssten jetzt Anpassungen vorgenommen werden. Das kann Rupp derzeit aber noch nicht sagen. So kurzfristig werde er aber kaum noch grosse Änderungen machen können. «Darum stützen sich unsere Therapeuten nun auf das, was wir bereits erarbeitet haben.»
Auch Marie-Françoise Eigner, Blumenladen-Besitzerin, weiss nichts von den Grobkonzepten des Bundes. Vom Verband hat sie vor einem Tag eine E-Mail mit Empfehlungen erhalten. Inzwischen habe sie sich aber bereits selber organisiert – schliesslich blieb ihr ja nichts anderes übrig. Am Boden habe sie Markierungen im Zwei-Meter-Abstand angebracht, neben dem Eingang stehe ein Tischchen mit Desinfektionsmittel, vor der Kasse habe sie einen Plexiglasspuckschutz montiert. «Ich gebe zu, weiter denke ich nicht. Maske und Handschuhe trage ich nicht. Ich habe ja keinen direkten Kontakt zu den Kunden», so Eigner.
Einer der Wenigen, der das Schutzkonzept des Bundes gelesen hat, ist Damien Ojetti, Präsident des Verbands der Schweizer Coiffeurgeschäfte. Er ist hörbar verärgert. Mit seinem Team habe er bereits Anfang April ein Konzept erarbeitet, unter welchen Voraussetzungen die Coiffeurbetriebe wieder aufmachen könnten. Vom Bund habe er darauf aber nie eine Antwort erhalten. «Danach hat der Bundesrat am 16. April, ohne unsere Branche vorher auch nur einmal zu konsultieren, beschlossen, dass die Coiffeurgeschäfte wieder öffnen können. Das hat mich ehrlich gesagt etwas überrascht.» Und in Stress gebracht. Denn bis zur Wiedereröffnung blieben ihm und seinen Mitgliedern noch zehn Tage, um alles zu organisieren.
Doch wie organisiert man etwas, wenn man gar nicht recht weiss, auf welche Tatsachen man sich abstützen kann? Muss die Kundschaft im Salon Schutzmasken tragen? Müssen die Geschäfte diese Masken für die Kundschaft zur Verfügung stellen? Ojetti sagt: «Wir haben darauf gewartet, dass uns der Bund solche Fragen beantwortet. Stattdessen hat er uns erst am Mittwoch ein Basiskonzept geliefert.» Nur wenige Punkte würden darin klar geregelt. Die Umsetzung ist Sache der Branche.
Für Ojetti heisst das, dass er jetzt gemeinsam mit den Sozialpartnern Unia und Syna ein branchenspezifisches Schutzkonzept erarbeiten muss, das die einzelnen Punkte möglichst genau definiert. «Ich bin froh, dass ich mich dabei auf das Papier stützen kann, das Coiffure Suisse Anfang dieses Monats erstellt hat», so Ojetti. Die einzelnen Betriebe müssten dann aufgrund dieses Konzepts schauen, wie sie es in ihrem Salon anwenden können.
Die Konzepte des Bundes bleiben unkonkret und unbekannt. Die Feinjustierung bleibt gänzlich bei den Branchen hängen. Diese werden sich wohl auf eigene und unterschiedliche Konzepte stützen, die aber weder von Bund noch von den Kantonen überprüft werden. Hingegen können die kantonalen Arbeitsinspektorate in den Betrieben Kontrollen durchführen und Bussen verhängen. Macht das Sinn?
Floristin Marie-Françoise Eigner sagt es so: «Ganz ehrlich? Mir persönlich ist es lieber, wenn ich selber bestimmen kann, welche Massnahmen in meinem Geschäft gelten. Aber was aus epidemiologischer Sicht mehr Sinn macht, kann ich nicht sagen. Das müssen Experten beurteilen.» Klar ist allerdings, dass es für Eigner katastrophal wäre, wenn die Infektionszahlen nach den Lockerungen erneut hochschnellen würden und sie ihren Laden ein zweites Mal schliessen müsste.