Der Wohnraum in der Schweiz ist begrenzt. Wir bewegen uns «in Richtung einer Wohnungsknappheit», so Martin Tschirren, Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen. Die politischen Lager überbieten sich mit Lösungsansätzen. Kein Wunder: Wir sind in einem Wahljahr.
Doch welche Massnahmen bevorzugt die Bevölkerung? watson hat in Zusammenarbeit mit dem Sozialforschungsinstitut DemoSCOPE eine für die Deutschschweiz repräsentative Umfrage mit über 2000 Befragten durchgeführt, um genau das herauszufinden (mehr zur Methodik unten).
Die Angst, keine Wohnung mehr zu finden, ist real. Mit 57 Prozent stimmt eine Mehrheit der Aussage zu, dass die drohende Wohnungsnot aktuell eines der grössten Probleme in der Schweiz ist. Dafür sprechen sich insbesondere Personen, die auf Wohnungssuche sind, und Menschen mit einem tiefen Einkommen aus.
Klare Unterschiede zeigen sich jedoch in den Wohntypen. 42 Prozent aller befragten Eigentümerinnen und Eigentümer stimmen der Aussage – dass «die Wohnungsnot eines der grössten aktuellen Probleme der Schweiz» ist – «eher» und «voll und ganz» zu. Bei den Personen mit Mietwohnungen sind es 65 Prozent. Auch 57 Prozent der Befragten in Genossenschaftswohnungen sehen das Problem.
«Für die Mieter und Genossenschaftler ist das Thema wichtig. Dass eine knappe Mehrheit der Eigentümer die Wohnungsnot nicht als eines der grössten aktuellen Probleme der Schweiz sieht, ist nachvollziehbar. Wer bereits ein Eigenheim hat, der verspürt auch keinen Druck, eine Wohnung zu finden», sagt auf Anfrage von watson Donato Scognamiglio. Er ist Professor an der Universität Bern, Zürcher EVP-Kantonsrat sowie Geschäftsführer des Beratungsunternehmens IAZI für Immobilien und Standortfragen.
Doch wie kann der drohenden Wohnungsnot entgegengewirkt werden? Laut unserer Umfrage gehören zu den beliebtesten Massnahmen die Beschleunigung der Baubewilligungsverfahren, eine stärkere Verdichtung und die Reduzierung der Einsprachemöglichkeiten bei Bauprojekten.
Diese drei Massnahmen sind für den Mieterverband Zürich nicht zielführend. Der Leiter Kommunikation, Walter Angst, sagt zu watson, dass diese «konkret nicht umgesetzt» werden könnten und der Nutzen «gegen null» tendiere. «Einfluss zu nehmen auf die Baubewilligungsverfahren wird das Wohnungsangebot nicht erhöhen», sagt Angst, der auch gegen eine Reduzierung der Einsprachemöglichkeiten ist.
«Die Rekursmöglichkeiten der Nachbarn einzuschränken, ist nicht mehrheitsfähig», erklärt der Mieterverbandssprecher. Und auch die Forderung, stärker zu verdichten, würde den Bedarf an bezahlbaren Wohnungen nur erhöhen. Dort braucht es Auflagen zum Bau von preisgünstigen Wohnungen.
Ob eine verdichtete Bauweise in der Praxis umsetzbar sei, hängt für Markus Gmünder, Experte für Wohnpolitik und Professor an der Hochschule Luzern (HSLU), vom Einzelfall ab: «Alle sind fürs Verdichten, aber wenn es konkret darum geht, will niemand in der eigenen Nachbarschaft eine aufgestockte Liegenschaft haben.»
Dem stimmt auch Scognamiglio zu. Er verweist jedoch darauf, dass man nicht nur «in die Höhe» verdichten müsse. Dies könne auch mit einem Anbau funktionieren oder indem man von benachbarten Liegenschaften ungenutzte «Ausnutzungsreserven» abkaufe.
Weniger beliebt sind die Forderungen, die Lärmschutzvorschriften zu lockern, Belegungsziffern vorzuschreiben, Landbesitzer zum Bauen zu verpflichten sowie die Zuwanderung zu beschränken. Donato Scognamiglio sagt: «Die Leute wollen ihre Freiheiten bewahren».
Auch der Schweizer Hauseigentümerverband (HEV) ist dagegen, Belegungsziffern einzuführen und Landbesitzern vorzuschreiben, dass sie bauen müssen. «Das sind unverhältnismässige Eingriffe in die Eigentums-, Vertrags- und Wirtschaftsfreiheit der Bevölkerung», schreibt HEV-Direktor Markus Meier auf Anfrage von watson.
Wenn man die Massnahmen gegen die drohende Wohnungsnot nach Zustimmung der Siedlungsart beurteilt, wird klar, dass nicht überall dieselben Lösungen bevorzugt werden.
«Ein gewisser Stadt-Land-Graben wird deutlich bei der Forderung, das Wohnungsangebot über eine begrenzte Zuwanderung zu steuern», sagt Gmünder von der HSLU. Für ihn sei klar: Die Wohnungsknappheit nur auf die Zuwanderung zu beziehen, greife zu kurz, denn in der Vergangenheit habe vor allem auch der Wohnflächenkonsum pro Kopf stark zugenommen.
Auch Scognamiglio ist der Unterschied bei der Zuwanderung aufgefallen: «Laut der Umfrage ist das Thema in den Städten zwar nicht mehrheitsfähig, aber in der Agglomeration knapp und auf dem Land eindeutig. Dass Parteien Erfolg damit haben, ist nicht zu unterschätzen – wenn das Thema bewirtschaftet wird.»
Geht es darum, hohe Mieten zu bekämpfen, erhalten vor allem zwei Massnahmen grosse Zustimmung: Eine grosse Mehrheit möchte den genossenschaftlichen Wohnbau fördern – Frauen sprechen sich sogar leicht stärker dafür aus (88 %) als Männer (82 %). Aktuell sind in der Schweiz lediglich 5 Prozent aller Wohnungen gemeinnütziger Wohnraum.
Noch mehr Zustimmung erhält die Forderung nach stärkerer Transparenz bei Mietzinsanpassungen, besonders bei Mieterwechseln. In Kantonen wie Zürich, Genf, Basel-Stadt oder Luzern wird dies bereits mit der Formularpflicht angewendet. Für eine stärkere Markttransparenz ist auch Wohnraumexperte Markus Gmünder. Er sagt jedoch: «Eigentümer von Renditeliegenschaften werden kaum Interesse daran haben, das national einzuführen.»
Weniger deutlich sind die Resultate zum Vorkaufsrecht. Dieses würde Gemeinden bei Liegenschaftsverkäufen bevorzugen, um mehr gemeinnützigen Wohnraum zu schaffen. «Für ein Vorkaufsrecht findet sich zwar eine knappe Mehrheit, doch für viele stellt das vermutlich einen zu starken Eingriff ins Eigentumsrecht dar», sagt Gmünder.
Deutlicher zeigen sich die Unterschiede, wenn man das Haushaltseinkommen der Befragten berücksichtigt. Personen, denen über 9000 Franken im Monat zur Verfügung stehen, lehnen ein Vorkaufsrecht und Mietzinsbeschränkungen ab. Alle anderen Haushalte, die weniger Geld haben, halten eine Mietpreisdeckelung für ein angemessenes Mittel.
Erstaunt über diese Zustimmung zeigt sich Immobilienexperte Donato Scognamiglio: «Dass ein Mietzinsdeckel mehrheitsfähig sein soll, haut mich vom Hocker!» Dieser könne jedoch dazu führen, dass die Eigentümer nicht mehr in Mietobjekte investieren würden. Auch Sanierungen würden nicht mehr getätigt, schätzt der Immobilienexperte. Und: «Ein Mietendeckel wurde bereits in Berlin getestet und schnell wieder verworfen.»
Gegen Regulierungen und für liberale Lösungen spricht sich HEV-Direktor Markus Meier aus. Er nennt den Kanton Genf, welcher «erfolglos versucht» habe, Mietpreise mit Vorschriften zu deckeln. «Diese hemmen die notwendigen Investitionen», findet Meier.
Die Mieten würden nicht sinken, solange die Nachfrage das Wohnraumangebot übersteige – wie das in Zürich und Zug der Fall sei. «Verdichten, die Lockerung von Lärmschutzvorschriften und die Beschleunigung von Baubewilligungsverfahren sind Teil der Lösung», schreibt der HEV-Direktor.
Hat da der HEV Meier auch eine Idee?