Forderungen zu stellen, um die drohende Wohnungsnot in der Schweiz zu bekämpfen, liegt im Trend. Doch speziell bei gemeinnützigem Wohnraum durch Wohnbaugenossenschaften besteht Handlungsbedarf. Denn aktuell dümpelt diese Form an der Grenze zur Bedeutungslosigkeit.
Lediglich fünf Prozent aller Wohnungen in der Schweiz sind gemeinnütziger Wohnraum, wie das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) festhält. «Das ist eindeutig zu wenig, weshalb wir jetzt Massnahmen fordern», sagt Eva Herzog, SP-Ständerätin und Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz (WBG), dem Verband der gemeinnützigen Wohnbauträger, an einem Sessionsanlass am Dienstag.
Der Verband hat die Mitglieder des Parlaments eingeladen, sich «das Thema Wohnungsnot zuoberst auf die politische Agenda zu setzen», wie WBG in einer Mitteilung schreibt. Am Anlass erschienen sind hauptsächlich Vertreter der gemeinnützigen Wohnbaubranche sowie Mitglieder von linken Parteien und Nationalräte, die dem Mieterverband nahestehen – weniger Interesse kam von bürgerlicher Seite.
Einsicht in die aktuelle Lage in der Schweiz gab als erstes Martin Tschirren, Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO). «Obwohl gesamtschweizerisch noch keine Krisensituation herrscht, bewegen wir uns in Richtung einer Wohnungsknappheit», sagte er vor den Anwesenden. Der BWO-Direktor weist auf Berechnungen von Wüest Partner hin, welche bis 2026 von einem Mangel von rund 50'000 Wohnungen in der Schweiz sprechen.
Die Hauptfaktoren für die grosse Nachfrage nach Wohnungen sieht Tschirren bei der Zuwanderung und bei der Haushaltsverkleinerung respektive der demografischen Entwicklung. «Bei der Zuwanderung handelt es sich um die ständige Wohnbevölkerung. Personen mit einem Flüchtlings- oder Asylstatus beeinflussen kurz- bis mittelfristig den Wohnungsmarkt nur beschränkt, da sie zunächst in Kollektivunterkünften untergebracht werden», sagt Tschirren.
Zeitweise habe die Haushaltsverkleinerung fast eine wichtigere Rolle bei der Nachfrage gespielt als die Zuwanderung. «Rund zwei Drittel aller Haushalte sind Ein- oder Zweipersonen-Haushalte – Tendenz steigend.»
Der BWO-Direktor kommt neben der Nachfrage auch auf das Angebot zu sprechen: «In den letzten fünf Jahren ist die Wohnungsproduktion um knapp 20 Prozent gesunken.» Noch «weniger rosig» würden die Zahlen bei den Baubewilligungen ausfallen. Von Juni 2016 bis November 2022 hätten diese um knapp 29 Prozent abgenommen. Ende 2022 wurden im vorangehenden Jahr 38'000 Wohneinheiten bewilligt. Die Nachfrage liege jedoch bei gut 50'000, sagt Martin Tschirren. Vor diesem Hintergrund gelte es, das Wohnungsangebot zu erhöhen und vor allem mehr preisgünstigen Wohnraum zu schaffen.
Das ist das Stichwort für Manuela Weichelt. Die Zuger Grüne-Nationalrätin ist Vorstandsmitglied bei Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Sie fragte erst kürzlich in einer Interpellation an den Bundesrat, was dieser gegen die Wohnungsnot zu tun gedenke.
Doch die Antwort der Regierung – man warte lieber ab – war für sie zu wenig. Am Sessionsanlass weibelte Weichelt deshalb vor den Anwesenden, warum man den gemeinnützigen Wohnungsbau unterstützen müsse.
Sie erwähnt den Preisunterschied für eine Dreizimmerwohnung in Zürich. Bei Genossenschaften liege der Median-Mietpreis dafür bei 964 Franken, bei nicht gemeinnützigen Gesellschaften bei 1713 Franken. Zudem würden Mieter von Genossenschaftswohnungen weniger Wohnfläche benötigen: 36 Quadratmeter pro Person seien es im Vergleich zu 47 Quadratmetern bei nicht gemeinnützigen Wohnungen.
Muss man sich denn mittlerweile schämen, wenn man auf mehr Quadratmetern als der Durchschnittsbürger lebt? «Wir müssen uns bewusst sein, sorgsam mit unseren Ressourcen umzugehen. Das gilt auch für die Anzahl Quadratmeter, die man braucht. Man muss nicht in unnötig grossen Wohnungen leben», sagt die Grünen-Politikerin zu watson.
Auf wie viel Quadratmetern die Nationalrätin selbst wohnt? «Das rechne ich nicht ständig nach, da es sich oft ändert – wenn meine Kinder ein- und ausziehen oder wenn ich einen Untermieter habe. Aber ich schaue, dass immer Leute bei uns wohnen, die nicht zur Familie gehören.» Auch SP-Ständerätin Eva Herzog weiss nicht genau, auf wie viel Quadratmetern sie selbst wohnt. «Unsere Kinder sind am Ausfliegen, wir haben eine wechselnde Besetzung im Haus. Aber die Frage, ob wir irgendwann in eine kleinere Wohnung ziehen, kommt», sagt sie zu watson.
Das Hauptproblem für das mangelnde Angebot an gemeinnützigem Wohnraum sieht der Verband vor allem bei den teuren Quadratmeterpreisen. «Die Nachfrage ist hoch, doch bezahlbares Land ist rar. Ich selbst kann auch nicht in einer gemeinnützigen Wohnung leben, da meine Genossenschaft seit 20 Jahren Bauland sucht», sagt Manuela Weichelt.
Die Lösung sei «relativ simpel», findet die Nationalrätin. Der Verband fordert vom Bund, dass dieser nicht mehr benötigte Areale für den gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung stellt.
Ein Wort fällt während des Sessionsanlasses immer wieder: das Vorkaufsrecht. Damit soll schweizweit der wohnungspolitische Handlungsspielraum der Gemeinden erweitert werden. Aktuell werden bereits zwei unterschiedliche Varianten in den Kantonen Genf und Waadt angewendet, eine Initiative der SP im Kanton Zürich ist eingereicht.
In Zürich sollen dadurch Gemeinden bei Verkäufen von Grundstücken und Bauland vorab informiert werden – um diese bei Interesse selbst zu erwerben. Im Kanton Waadt muss eine «Wohnungsnot» herrschen, um das Vorkaufsrecht anwenden zu können. Das heisst, es braucht eine Leerwohnungsziffer von unter 1,5 Prozent. Die erworbene Liegenschaft muss danach für den Bau von gemeinnützigem Wohnraum verwendet werden.
Im Kanton Genf gibt es das Vorkaufsrecht bereits seit 1978. Im Gegensatz zu Waadt oder den Plänen in Zürich können Behörden in Genf zudem eine Liegenschaft zu einem tieferen Preis kaufen, wenn ihnen der abgemachte Preis als übermässig erscheint.
Statt dieser Massnahme mit der Preiseinmischung setzt Manuela Weichelt auf einen sogenannten «Landerwerbsfonds» des Bundes, welcher die «Gemeinden finanziell beim Kauf unterstützen» solle.
Städte oder Gemeinden können so die Liegenschaften einfacher kaufen und sie gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften für den Bau übergeben.
«Viele Immobilien oder Bauflächen werden zu Preisen angeboten, die für gemeinnützige Wohnbauträger nicht erschwinglich sind. Zinsgünstige Darlehen reichen dafür nicht. Wir müssen laut über einen A-fonds-perdu-Beitrag nachdenken», fordert die Nationalrätin. Damit wäre gemeint, dass die Gemeinden Investitionsbeiträge erhalten, auf deren Rückzahlung die öffentliche Hand von vornherein verzichtet.
An die Wirkung des Vorkaufsrechts glauben aber nicht alle. Swiss Life-CEO Patrick Frost kritisierte in der NZZ am Sonntag, dass die Konsequenz eines Vorkaufsrechts sei, dass noch weniger gebaut werde. Manuela Weichelt kann diese Kritik nicht nachvollziehen: «Wenn Gemeinden mehr kaufen können, können sie mehr Baufläche an Genossenschaften weitergeben, dementsprechend wird es mehr gemeinnützige Wohnungen geben.»
Das Vorkaufsrecht ist umstritten, der geforderte «Landerwerbsfonds» wird es erst recht sein. Glaubt der Verband überhaupt an die Umsetzung der Forderungen? «Ich denke, ein nationales Vorkaufsrecht wird eines Tages umsetzbar sein. Spätestens dann, wenn immer mehr Politikerinnen und Politiker merken, dass auch ihre eigenen Kinder keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden», sagt Weichelt. Dann werde ein Umdenken stattfinden.
Ich hätte auch kein Problem damit, wenn sie mehr m² als der Durschnittsmieter in Anspruch nehmen würden (ich lebe selbst in einer eigentlich zu grossen Wohnung). Aber wer Wohnungspolitik betreibt, sollte auch transparent sein! Mir sind ehrliche und transparente, aber nicht immer perfekte Politikerinnen lieber als Politikerinnen, die Ausflüchte erfinden, um perfekt zu erscheinen!
"Das rechne ich nicht ständig nach, da es sich oft ändert – wenn meine Kinder ein- und ausziehen"
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Ääähm. Ja natürlich. Wer kennt das nicht? Ständig ziehen da wieder ein paar ihrer Kinder ein und aus... Und dann noch die ganzen Untermieter, die auch noch da wohnen...
Da ist es manchmal schon echt schwierig, den Überblick zu behalten, wie viele Leute aktuell gerade mit dir in derselben Wohnung wohnen... 🤣
Aber ok. Glaubwürdigkeit war ja noch nie die Stärke von linken PolitikerInnen 😉
Ich bin über dem Durchschnitt und das deutlich, aber es juckt mich überhaupt nicht. Ich arbeite, kann es mir Leisten (wohne ja auch nicht in Zürich). Somit ist es eine Sache zwischen dem Vermieter und mir. Mein verdientes Geld, meine Sache. Ansonsten schmarotze ich gerne beim Staat, erst dann kann er mir diktieren was ich mit dem Geld mache ;)