Donnerstag, der 16. März. Eine anstrengende Frühjahrssession der eidgenössischen Räte neigt sich ihrem Ende entgegen. In der Wandelhalle des Nationalrats aber dominiert ein Gesprächsthema: das Schicksal der Credit Suisse, die am Vortag von der Nationalbank eine offenbar dringend nötige Finanzspritze von 50 Milliarden Franken erhalten hatte.
Die SP veranstaltet kurzfristig eine Medienkonferenz, zieht über die schier endlose Skandalchronik der CS und ihr Bonus-gieriges Management vom Leder und äussert gleichzeitig in seltenem Einklang mit den Bürgerlichen die Hoffnung, die zweitgrösste Bank der Schweiz möge es schaffen, den Vertrauensverlust der Kundschaft zu stoppen.
Was niemand im Parlament an diesem Tag ahnt: Das Schicksal der CS ist bereits besiegelt. Am Mittwoch war die «unheilige» Dreifaltigkeit aus Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP), Nationalbankpräsident Thomas Jordan und Marlene Amstad, der Vorsitzenden der Finanzmarktaufsicht (FINMA), «notfallmässig» (so der Tages-Anzeiger) nach Zürich geeilt.
Sie hatten nur ein Ziel: die Spitzen von UBS und CS zu «bearbeiten», damit sie einer Fusion zustimmten, die faktisch auf eine Übernahme der maroden Credit Suisse hinauslief. Denn die Liquiditätshilfe der Nationalbank bewirkte das Gegenteil des erhofften Effekts. Sie verstärkte bei der Kundschaft die Überzeugung, dass die CS auf dem letzten Loch pfeift.
Der Abfluss der Kundengelder soll sich zuletzt auf zehn Milliarden Franken belaufen haben – pro Tag. Das überlebt auf Dauer keine noch so gut kapitalisierte Bank. Am Ende sorgte eine Kaskade von Ereignissen für den Untergang der einstigen Kreditanstalt. Hauptgründe aber waren die desaströse Misswirtschaft der letzten Jahre und eine mangelhafte Aufsicht.
Am denkwürdigen Sonntagabend, dem 19. März, wurde die «Fusion» verkündet. Dem Parlament blieb nur eine Zuschauerrolle. Die Finanzdelegation (FinDel) aus je drei Mitgliedern von National- und Ständerat sowie die Parteien wurden von Karin Keller-Sutter und Bundespräsident Alain Berset erst kurz vor der Medienkonferenz informiert.
Umso grösser ist seither der Aktivismus. In der Woche nach Ostern ist eine dreitägige ausserordentliche Session im Bundeshaus traktandiert. Das ist ein seltener Vorgang. Ob daraus mehr wird als eine grosse «Chropfleerete», ist fraglich. Immerhin will das Büro des Nationalrats eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) einsetzen.
Sie verfügt über weitreichende Befugnisse und wird ebenfalls nur selten aktiviert. Nun muss noch das Büro des Ständerats entscheiden. Es hatte 2008 die Einsetzung einer PUK verhindert, die die Rettung der damaligen UBS während der Finanzkrise durch Bund und Nationalbank untersuchen sollte. Dieses Mal wird es sich kaum verweigern können.
Denn zu gross ist das Bedürfnis, die Pleite der CS und die Umstände der Übernahme lückenlos abzuklären. Um die Dimension des Ereignisses zu verdeutlichen, muss man sich nur die Tatsache vor Augen führen, dass es bis vor rund 30 Jahren noch fünf international tätige Grossbanken in der Schweiz gab. Jetzt sind sie zu einer einzigen «verschmolzen».
Es ist eine veritable Sackgasse, denn die neue Giga-UBS ist «much too big to fail». Die Schweiz ist ihr auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. In der Bevölkerung sind Unbehagen und Verunsicherung gross. In einer Sonntagsblick-Umfrage sprachen sich 81 Prozent der Befragten sicher oder eher für eine Minimierung des Klumpenrisikos aus.
Die Forderung ist verständlich, denn der Finanzplatz Schweiz wird mit dem Banken-Monster so angreif- und erpressbar wie nie zuvor. Ob skrupellose Spekulanten oder russische Hacker – sie alle wissen, dass die Schweiz diese UBS nie fallen lassen kann. Also müssen sie nur auf einen Fehltritt warten. Die Frage ist nicht, ob, sondern wann er kommt.
Allein durch ihre schiere Grösse ist die UBS anfällig für Fehlverhalten. Es braucht nur einen Trader wie Kweku Adoboli, der 2011 der «alten» UBS mit illegalen Spekulationsgeschäften einen Verlust von zwei Milliarden Dollar beschert hatte. Der Zürcher Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann brachte das Problem gegenüber dem Portal Infosperber auf den Punkt:
Die Frage aller Fragen lautet deshalb: Wie lässt sich dieses Banken-Monster zähmen? Das nach der Finanzkrise verabschiedete «Too big to fail»-Gesetz wurde beim ersten Ernstfall in den Papierkorb spediert. Und an dem mit Notrecht über die Köpfe der Aktionäre hinweg vereinbarten Deal zu «schräubeln», ist keine ernsthafte Option. Zu gross sind die Risiken.
Den Parteien mangelt es dennoch nicht an Vorschlägen. SP, Grüne und SVP setzen auf das Trennbankensystem, das sie schon zweimal im Nationalrat durchgebracht hatten, ehe es jeweils vom Ständerat versenkt wurde. Die eigentlich wirtschaftsliberale FDP will die UBS faktisch dazu «überreden», das Schweiz-Geschäft der CS zu verselbständigen.
Für die Freisinnigen ist die Lage pikant. Als «Wirtschaftspartei» sind sie in solchen Fällen stark exponiert. Tatsächlich zeigt eine SRG-Umfrage, dass nur ein Akteur im Bankenskandal über noch weniger Glaubwürdigkeit verfügt als die FDP: das Management der Credit Suisse. Die UBS aber scheint keine Lust zu haben, auf dieses «Filetstück» zu verzichten.
Eine Aufspaltung der Monster-Bank, für die Christoph Blocher im Westschweizer Fernsehen plädierte, wäre sinnvoll. Aber ist der Mut dafür vorhanden? Andere Vorschläge betreffen eine Limitierung oder ein Verbot von Boni. Oder ein höheres Eigenkapital, damit das Risiko für die Nationalbank und die Steuerzahler im Fall einer Schieflage eingegrenzt wird.
Der Zürcher Bankenprofessor Teodoro Cocca von der Universität Linz schlägt in der NZZ vor, dass die UBS eine Art Versicherungsprämie für ihre faktische Staatsgarantie bezahlen soll. Dieses Geld flösse in einen für den Ernstfall vorgesehenen Fonds. Für Tobias Straumann braucht es kein neues Gesetz, sondern einen konkreten Plan für künftige Krisen:
Diese Option hätte es auch für die Credit Suisse gegeben, und die Bevölkerung hätte sie laut der «Sonntagsblick»-Umfrage befürwortet. Doch für Karin Keller-Sutter kam sie nicht infrage, wie die Finanzministerin auf Radio SRF erklärte: «Das ganze Risiko wäre beim Steuerzahler gelegen und am Montagmorgen hätte der Bund eine Grossbank besessen.»
Ihre Argumentation hinkt gewaltig, denn mit der Monster-UBS besteht dieses Risiko erst recht. Jetzt kann es wohl nur darum gehen, einen künftigen Schaden zu begrenzen.