Christine Lagarde hat gesprochen. Und nun hecheln alle dem hinterher, was die Präsidentin der mächtigen Europäischen Zentralbank gesagt oder auch nur angedeutet hat. Die Märkte erwarten noch für 2022 eine Erhöhung der Leitzinsen um einen halben Prozentpunkt. Nachdem in den USA die Notenbank Fed schon überdeutlich höhere Leitzinsen signalisiert hat, wäre das die Zinswende für die Eurozone, wenn auch nur eine kleine.
Auch die Schweizerische Nationalbank wird da nachziehen. Davon gehen hierzulande die Experten aus. Und damit wird auch die Schweiz ihre Zinswende haben, ebenfalls nur eine kleine. Doch auch diese Mini-Wende hat Folgen. Sie hat sie heute schon. Es geht um die Zinsen auf Hypotheken. Und es geht um die Negativzinsen, welche die Banken bis noch vor kurzem auf immer weitere Kreise ihrer Kundschaft überwälzten.
«Hypozinsen auf Mehrjahreshoch.» So übertitelt der Vergleichsdienst Moneyland eine Pressemitteilung. Die Zinssätze auf Hypotheken mit festen Laufzeiten seien seit Mitte Dezember «ungewöhnlich stark gestiegen». So verlangen die Banken im Schnitt nun schon 0.4 Prozentpunkte mehr, wenn Kundinnen oder Kunden sich für zehn Jahre fest verschulden. Wie es von Moneyland auf Anfrage heisst, erklärt sich der «ungewöhnliche» Trend grösstenteils so: «Gegenwärtig erscheinen baldige Erhöhungen der Leitzinsen wahrscheinlicher als noch vor einigen Monaten.»
Die Zinsen auf Hypotheken vollziehen nach, was die Zinsen auf Staatsanleihen vorgemacht haben. Bei den Schuldtiteln des Bundes ist die Ära negativer Zinsen vorbei, vorläufig zumindest. Von Mitte Dezember bis heute sind die Zinsen auf 10-jährige Bundesobligationen um 0.6 Prozentpunkte gestiegen, auf neu 0.3 Prozent. Wie Marc Brütsch, Chefökonom des Versicherers Swiss Life herausstreicht, stehen sie heute so hoch wie nie, seitdem die Nationalbank im Januar 2015 den Mindestkurs zum Euro aufgab und dafür den Negativzins einführte. Brütsch dazu: «Was wir aktuell erleben, kann als Abkehr von den extrem tiefen Zinsen bezeichnet werden.»
Dabei hat Lagarde die Leitzinsen noch nicht einmal verändert. Sie hat lediglich in einer Pressekonferenz auf Nachfrage hin nicht länger ausgeschlossen, dass die Europäische Zentralbank ihre Leitzinsen noch dieses Jahr erhöht. Von der Nationalbank gibt es überhaupt keine Neuigkeiten.
Doch allein die Aussicht auf Veränderungen hat die Zinsen auf Hypotheken und Staatsanleihen bewegt. Die Märkte nehmen vorweg, dass die Nationalbank bald ihre rekordtiefen Leitzinsen aufgibt. Bei der Credit Suisse geht man davon aus, dass es erst im Jahr 2023 zu diesem Schritt kommt. Eine erste Erhöhung komme im Juni 2023, eine zweite im Dezember 2023. Dann stünde der Leitzins nicht mehr bei minus 0.75 Prozent, sondern neu bei minus 0.25 Prozent.
Nach wie vor müssten die Banken dann der Nationalbank einen Zins zahlen, wenn sie ihr Geld leihen, aber nicht mehr ganz so viel. Die Leitzinsen wären noch immer negativ. Die Ära der negativen Zinsen wäre noch nicht vorbei.
Wenn jedoch nicht die Credit Suisse richtig liegt, sondern die Finanzmärkte, so wäre es schon im Laufe des Jahres 2023 vorbei mit den Negativzinsen. Wie die Experten der Credit Suisse schreiben, rechnen die Märkte bereits im Jahr 2023 mit einer Rückkehr zur Normalität. Die Leitzinsen lägen wieder über null. Wenn die Banken der Nationalbank ihr Geld verleihen, erhalten sie wieder wie früher einen Zins.
So oder so. Laut Brütsch von der Swiss Life werden die Zinsen nicht noch allzu viel steigen – also die Leitzinsen nicht, und in der Folge auch die Hypothekarzinsen nicht. Die Trendwende sei von den Märkten sozusagen schon vollzogen. So habe die Europäische Zentralbank keinen Grund, ihre Leitzinsen um mehr als einen halben Prozentpunkt zu erhöhen bis Ende 2023. Die zuletzt hohe Inflation sei zu mehr als der Hälfte eine Folge steigender Energiepreise gewesen. Und mit den Energiepreisen verhält es sich so: Sie steigen schnell mal in die Höhe, fallen aber bald auch wieder. Darum achten Notenbanken nicht allzu sehr darauf.
Beruhigend für Hypothekarschuldner ist auch: Lagarde selbst hat schon zu verstehen gegeben, dass die Finanzmärkte gerade übertreiben. Die Inflation werde mittelfristig zurückfallen auf um die 2 Prozent, sagte Lagarde gemäss der Nachrichtenagentur Reuters. Das entspricht in etwa dem Zielwert der Europäischen Zentralbank. Also werde, so Lagarde, auch keine «nennenswerte Straffung» der Geldpolitik nötig sein. Sprich: In der Eurozone werden die Leitzinsen nicht allzu hoch steigen.
Eine Folge des Negativzinses war, dass die Schweizer Banken anfingen, diese Kosten zu überwälzen. Immer mehr Kunden mussten einen Negativzins zahlen oder höhere Gebühren, wenn sie Geld bei den Banken brachliegen lassen wollten. Besonders deutlich wurde diese Botschaft vom Postfinance-Chef Hansruedi Köng übermittelt. Kunden, die nicht bereit seien, etwas zu bezahlen, und keine zusätzlichen Dienstleistungen nutzen, werde er «nicht vermissen.»
Diese Aufforderung verärgerte wiederum den singenden Komiker Peach Weber. Der langjährige Kunde von Postfinance forderte in einem Leserbrief seinerseits Köng zum Rücktritt auf. «Tun Sie das bitte, Herr Köng, wir werden Sie nicht vermissen.»
Köng und Weber hätten weniger Grund zu zanken, sollte die Nationalbank tatsächlich die Leitzinsen erhöhen. Selbst wenn die Leitzinsen noch unter null blieben, bliebe eine Leitzinserhöhung nicht ohne Wirkung. Das zeigen Ausführungen von Thomas Stucki. Auf Anfrage sagt der Anlagechef der St.Galler Kantonalbank, schon mit einer ersten Zinserhöhung würde die Nationalbank den Druck auf die Banken senken, die Negativzinsen an Kundinnen und Kunden weiterzugeben. «Denn allein die Aussicht auf ein Ende der Negativzinsen hätte eine entlastende Wirkung.»
Damit wäre ein Trend gebrochen: Es wären nicht länger immer weitere Kundenkreise von Negativzinsen betroffen. Doch sind die neuen Zeiten nicht unbedingt bessere Zeiten für Kleinsparer, wie Brütsch von Swiss Life betont. Zwar bleiben ihnen vielleicht noch höhere Bankgebühren erspart. Aber zugleich gibt es wieder etwas mehr Inflation in der Schweiz. Zuletzt stand das allgemeine Preisniveau um 1.5 Prozent höher als im Vorjahr. Somit ist das Geld auf dem Sparkonto weniger wert. (saw/aargauerzeitung.ch)