Schweiz
Wirtschaft

Bilaterale: So will der Arbeitgeberdirektor die Schweizer Löhne schützen

Roland Mueller
Roland Müller ist Direktor des Schweizer Arbeitgeberverbands.Bild: az/zvg
Interview

Arbeitgeber-Chef zum Lohnschutz: «Keine Rechnungen von EU-Lohndumping-Firmen zahlen»

Roland Müller überrascht: «Wir setzen uns auch für Lohnschutz ein», sagt der Direktor des Arbeitgeberverbands im Interview. Nicht mit Mindestlöhnen, wie das die Gewerkschaften fordern, sondern mit neuen Instrumenten. Erstmals präsentiert er konkrete Ideen.
13.01.2025, 06:1413.01.2025, 07:22
Stefan Bühler / ch media
Mehr «Schweiz»

Es sind die Wochen der Entscheidung. Hinter den Kulissen laufen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern die Diskussionen heiss über die Frage: Wie sollen die Löhne in der Schweiz künftig geschützt werden? Nötig ist das, weil mit den neuen EU-Verträgen gewisse Schutzmassnahmen beschränkt werden. Mitten im Sturm: Roland A. Müller, seit zwölf Jahren Direktor des Arbeitgeberverbands. Die Gewerkschaften präsentieren im Wochentakt Forderungen – nun holt Müller zum Gegenschlag aus.

Haben Sie in Ihrem Berufsleben schon einmal Lohndruck am eigenen Leib erlebt?
Dass es Veränderungen nach oben oder unten gibt, erleben alle einmal. Aber missbräuchlichen Lohndruck, dass mein Arbeitgeber versuchte, mich zu benachteiligen, das habe ich nie erlebt.​

Beim Arbeitgeberverband, der sich unter anderem intensiv mit der Schweizer Arbeitsmarkt-Politik befasst, werden kaum EU-Bürger arbeiten – insofern gibt es für Sie und Ihre Mitarbeitenden keine Konkurrenz aus dem Ausland, richtig?
Das liegt daran, dass man bei unserer Tätigkeit die Schweizer Verhältnisse gut kennen muss. Insofern gibt es für unsere Funktionen kaum einen ausländischen Konkurrenzdruck.​

In anderen Berufen und Branchen, etwa auf dem Bau oder in der Gastronomie, sieht das anders aus. Haben Sie Verständnis dafür, dass die Gewerkschaften im Hinblick auf die neuen bilateralen Verträge mit der EU einen starken Lohnschutz fordern?
Ja, selbstverständlich. Wir setzen uns auch für Lohnschutz ein, denn niemand will missbräuchliche Lohnunterbietungen – das würde zu sozialen Unruhen führen. Und wenn wir Firmen mit Lohndumping in der Schweiz arbeiten lassen, ist das auch eine schädliche Konkurrenz für unsere Unternehmen.​

Aber für die einzelne Schweizer Firma ist es doch klar, dass sie lieber Personen zu tieferen Löhnen einstellt und Aufträge an die günstigsten Anbieter vergibt?
Es gibt sicher Unternehmen, die so denken. Schwarze Schafe gibt es überall. Doch das ist kurzfristig gedacht: Wenn Sie in Ihrer Firma Personen für die gleiche Leistung ungleich entlöhnen, führt das zu Unzufriedenheit und Unruhe.

Wenn Sie beim Lohnschutz die gleichen Ziele verfolgen wie die Gewerkschaften, warum sind denn die Diskussionen zwischen Ihnen und den Gewerkschaftschefs so schwierig?
Weil die Gewerkschaften alles vermischen und Forderungen stellen, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Dossier haben. Bei den Verhandlungen über die bilateralen Verträge geht es nur um jene Firmen, die aus der EU heraus zu uns arbeiten kommen. Die Gewerkschaften wollen aber beispielsweise mehr allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge, in Branchen, wo es das heute nicht gibt und auch nicht braucht.

Dass in den neuen EU-Verträgen der Lohnschutz geschwächt wird, sagt aber auch die Staatssekretärin für Wirtschaft, Helene Budliger: Künftig müssen nur noch EU-Firmen eine Kaution hinterlegen, die schon mal Schweizer Regeln gebrochen haben. Es wird schwieriger, solche Unternehmen auszusperren. EU-Firmen müssen ihren Einsatz in der Schweiz nur noch vier Tage im Voraus anmelden, nicht mehr acht. Und sie müssen sich nicht an unsere Spesenregeln halten.
Den Gewerkschaften geht es um ihre Ideologie: Sie wollen möglichst flächendeckend Mindestlöhne vorschreiben. Deshalb wollen sie mehr allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge. Die Probleme mit der Kaution oder den Spesen lösen sie damit aber nicht. Denn die Branchen, in denen besonders viele Firmen aus der EU zu uns in die Schweiz kommen, haben schon jetzt allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge. Bau, Reinigung, Sicherheit, Maler, Gipser, Elektriker, überall da haben wir schon Mindestlöhne.

Und an diese müssen sich auch die Entsendefirmen aus der EU halten?
Ja, absolut.​

Trotzdem bleiben Lücken im Lohnschutz wegen der neuen Verträge. Wie wollen Sie diese ohne zusätzliche Gesamtarbeitsverträge schliessen?
Es gibt andere Instrumente, um das Schutzniveau zu sichern: Eine Arbeitssperre für Firmen, die sich nachweislich nicht an Schweizer Regeln halten. Oder einen Zahlungsstopp, der dafür sorgt, dass Schweizer Auftraggeber keine Rechnungen von EU-Firmen bezahlen, die in der Schweiz Lohndumping betreiben. Zur Diskussion steht auch das Instrument der Bau-Card zu stärken, das ist gewissermassen eine Akkreditierung für Firmen der Baubranchen, die belegt, dass sie sich an alle Regeln halten. Die kürzere Voranmeldefrist lässt sich schliesslich über neue, digitale Lösungen problemlos kompensieren.​

Warum ist denn das alles noch nicht umgesetzt?
Derzeit laufen die Diskussionen der Sozialpartner zusammen mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft, Seco, und Staatssekretärin Budliger. Es geht auch um technische Fragen, zum Beispiel zur Verhältnismässigkeit: Wenn nur ein Angestellter einer EU-Firma nicht korrekt bezahlt wird, ist es dann angebracht, eine ganze Baustelle stillzulegen?​

Aber im Grundsatz sind Sie für Arbeitssperren, Zahlungsstopps und eine strengere Ausweispflicht mit der Bau Card auch für EU-Firmen?
Ja, wir wollen diese Instrumente ernsthaft prüfen. Wie gesagt: Auch wir wollen das Lohnniveau in der Schweiz schützen. Aber wir müssen die Massnahmen so formulieren, dass sie zwar wirkungsvoll sind, aber keine schädlichen Nebenwirkungen für sich korrekt Verhaltende haben. Hier suchen wir gemeinsam mit den Gewerkschaften nach Lösungen. Was wir hingegen nicht wollen: Unser liberales Arbeitsrecht mit einem generellen Ausbau der Mindestlöhne aufs Spiel setzen in Branchen, die mit dem EU-Entsenderecht nichts zu tun haben.​

Derzeit läuft ein öffentlicher Schaukampf: Gewerkschaftschef Pierre-Yves Maillard stellt in Interviews Bedingungen, Arbeitgeberpräsident Severin Moser signalisiert ebenfalls öffentlich Unnachgiebigkeit. Wie muss ich mir Ihre Treffen mit den Gewerkschaften vorstellen, ist man da «hässig» aufeinander?
Nein, das sind vielmehr Diskussionen als Verhandlungen. Die Fachleute des Bundes sind dabei. Selbstverständlich kann es zwischendurch etwas lauter werden, aber wir haben alle das gleiche Ziel: Wir suchen nach Lösungen.​

Wie erklären Sie sich dann die Proteste der Gewerkschaften?
Sie sind mir ein Rätsel, denn in den Verhandlungen mit Brüssel hat der Bund viel herausgeholt: In der Schweiz sind es in Branchen mit Gesamtarbeitsverträgen weiterhin die Sozialpartner, die die Kontrollen auf dem Arbeitsmarkt durchführen, nicht der Staat. Wir dürfen selber festlegen, wie viele Kontrollen es gibt – obwohl die EU stets klagte, wir kontrollierten zu oft. Und wir haben eine «non-regression clause»: Sollte neues EU-Recht in Zukunft den Lohnschutz schwächen, müssen wir das nicht übernehmen.​

Allerdings beruht diese Klausel auf dem tieferen Lohnschutz-Niveau der neuen Verträge.
Ja, aber nur bei den Punkten, die wir erwähnt haben: Kaution, Voranmeldung und Spesen. Und diese Lücken wollen ja auch wir schliessen. Herr Maillard verlangt aber viel mehr – und das wollen wir nicht, weil es auch nicht nötig ist.​

Warum halten Sie es für nicht nötig?
Der Bund erstellt regelmässig Berichte zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit – darin zeigt sich: Schweizer Arbeitnehmende werden von den Zuwanderern nicht aus dem Arbeitsmarkt gedrängt. Doch die Gewerkschaften verknüpfen nun die bilateralen Verträge mit ihrem ideologischen Forderungskatalog mit Mindestlöhnen, Kündigungsschutz und so weiter, obwohl das nichts miteinander zu tun hat.​

Aber gibt es nicht einen generellen Lohndruck, wenn Menschen aus Tieflohnländern zu uns kommen? Viele sind doch hier mit einem tieferen Lohn zufrieden, weil sie schon mit ihrer Rückkehr in die Heimat rechnen, wo sie dann mit dem Ersparten eine viel grössere Kaufkraft haben.
Eine vernünftige Konkurrenz ist Teil des Arbeitsmarktes. Das darf aber nicht ausufern und zu sozialen Missständen führen. Aus Arbeitgebersicht entscheidend ist für uns, ob ein Missbrauch vorliegt, zum Beispiel Lohndumping. Das müssen wir bekämpfen. Die Berichte des Bundes zeigten regelmässig, wo es Probleme gab – und da wurden in der Vergangenheit die Kontrollen verstärkt und Massnahmen ergriffen. Unser Lohnschutzsystem funktioniert.​

Die Gespräche zwischen Ihnen, den Gewerkschaften und dem Bund sollen bis in zwei Monaten abgeschlossen werden. Werden Sie sich einig – oder wird am Ende der Bundesrat entscheiden müssen, wie der Lohnschutz gesichert wird?
Ich gehe davon aus, dass wir in vielen Bereichen Lösungen finden. Wir hatten schon über 50 Sitzungen, da wurde ernsthaft gearbeitet. Aber möglicherweise bleibt ein Restbereich, in dem wir uns nicht einigen. Dann muss wohl der Bundesrat entscheiden, ob er die Arbeitgeber übersteuert, den Forderungen der Gewerkschaften widersteht oder eine nochmals andere Lösung will.​

Unter welchen Bedingungen kann der Arbeitgeberverband die neuen bilateralen Verträge nicht mehr unterstützen?
Wenn es Eingriffe in den flexiblen Arbeitsmarkt gibt, die mit den EU-Entsendefirmen nichts zu tun haben. Zum Beispiel stärkeren Kündigungsschutz, Einschränkungen der Temporärarbeit mit Quoten, flächendeckende Mindestlöhne und erleichterte Allgemeinverbindlicherklärungen von Gesamtarbeitsverträgen in neuen Branchen. Das würde das Fass zum Überlaufen bringen. (aargauerzeitung.ch)​

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
72 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Fairness
13.01.2025 07:09registriert Dezember 2018
Als hätte der Arbeitgeberverband je etwas für faire Löhne getan. Das Gegenteil ist der Fall. Lügen wie Trump tun viele auch in der Schweiz.
8023
Melden
Zum Kommentar
avatar
Chill Dude
13.01.2025 06:38registriert März 2020
Die Idee mit der Bau-Card ist nicht neu, wird schon seit ein paar Jahren von GUs verlangt.
Funktioniert aber nicht, da es nie kontrolliert wird, ob jemand eine entsprechende Karte hat oder nicht.
464
Melden
Zum Kommentar
avatar
DeutschTürke
13.01.2025 06:38registriert Januar 2025
Wie süss wenn es in der Schweiz echt Personen gibt die noch an den Lohnschutz denken.
Auf den Baustellen sieht man dies ganz gut wohin die Reise gehen wird mit dem Lohnschutz. An den Grenzgebieten ist des schon die Realität, stellt man lieber einen Tessiner/Deutschen an, ist doch billiger..
4123
Melden
Zum Kommentar
72
    Erstmals seit drei Jahren: Arbeitslosenquote steigt im Januar auf 3 Prozent
    In der Schweiz ist die Arbeitslosigkeit zu Beginn des neuen Jahres weiter gestiegen. Dabei rückte die Arbeitslosenquote im Januar erstmals seit gut drei Jahren zurück auf die Dreiprozentmarke vor. In der Industrie ist die Lage angespannt.

    Ende Januar 2025 waren in den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) schweizweit 135'773 Personen als arbeitslos gemeldet, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Donnerstag mitteilte. Das waren 5480 oder 4,2 Prozent mehr als im Dezember 2024. Im Vergleich zum Vorjahr lag die Arbeitslosenzahl um ein Fünftel höher.

    Zur Story