«Die Schweizer Unternehmer bei Trump haben patriotisch gehandelt»
Herr Bundesrat, ich trage hier die 39-Zoll-Uhr von Nick Hayek. Haben Sie auch eine?
Guy Parmelin: Ich habe sogar zwei.
Haben Sie sie schon mal getragen?
Nein, noch nicht. Ich habe mir aber schon ein paar mal überlegt, wem ich sie schenken könnte.
Und wen haben Sie da im Auge?
Ich hatte eine Frau im Auge, aber die hat schon eine. Vielleicht könnte ich sie ja gewissen Politikerinnen oder Politikern schenken, damit sie sich daran erinnern, wie viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, wenn wir mit den 39 Prozent hätten weiterfahren müssen.
Nick Hayek sagt, seine Zoll-Uhr bleibe im Verkauf, bis die 39 Prozent wirklich weg seien. Wie lange ist die Uhr noch aktuell?
Wir gehen davon aus, dass es zehn bis zwölf Arbeitstage braucht, bis die technische Umsetzung von 39 auf 15 Prozent in den Zollsystemen erfolgt ist.
Frühestens in zwölf Tagen sind die 39 Prozent also Geschichte?
Genau. Ein genaues Datum kann ich aber noch nicht sagen.
Für viel Unruhe sorgt auf der linken Seite die Rolle der Handvoll Unternehmer und Milliardäre, die bei Trump waren. Ist es richtig, wenn zum Teil sogar ausländische Chefs von Schweizer Unternehmen mit teuren Rolex-Uhren und Goldbarren als Geschenk im Namen der Schweiz bei Trump sitzen?
Halt. Das sind keine Geschenke der Schweizer Eidgenossenschaft. Das sind private Geschenke der Unternehmer, die bei ihm waren. Wenn jetzt die Unternehmer kritisiert werden, so finde ich das nicht ganz gerecht. Sie haben uns geholfen, unser Problem bei Trump sichtbar zu machen. Das war der springende Punkt.
Der «Blick» sprach von der Rolex-Schweiz und der Swatch-Schweiz. Hat jetzt die Rolex-Schweiz gewonnen?
Nein. Die ganze Schweiz hat gewonnen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ohne diesen Deal massive Probleme in etlichen Sektoren der Exportindustrie bekommen hätten. Viele Arbeitsplätze wären bei einer Fortsetzung der 39-Prozent-Zölle unter Druck gekommen. In der Uhrenindustrie, in der Medtech-Branche, aber auch in der MEM- und in der Ernährungsindustrie sowie bei Zulieferern der Automobilindustrie. Einige Unternehmen mussten bereits schliessen, viele haben Kurzarbeit beantragt.
Sie sind atypisch. Spielen kein Golf, sind kein Blender, Sie sind bescheiden, ein Teamplayer. War genau das der Schlüssel zum Erfolg?
Nein. Das hat nichts mit mir zu tun. Ich bin als Wirtschaftsminister einfach der Ansprechpartner für Jamieson Greer, der als Handelsbeauftragter von Präsident Donald Trump mit der Umsetzung des Deals beauftragt worden war. Nicht mehr, nicht weniger war meine Rolle.
Hayek, der nicht dabei war, sagt dazu: Das sei unterwürfig. Man müsse unterscheiden zwischen Tell und Gesslers Vasall. Selbst die NZZ meint, es sei erklärungsbedürftig, dass da kein einziges Mitglied der Schweizer Landesregierung dabei war. Können Sie es mir erklären?
Noch mal. Es war richtig so, dass wir nicht dabei waren. Es war eine private Initiative von Unternehmern, die in den USA stark vernetzt und involviert sind. Sie wollten Präsident Trump erklären, was die 39 Prozent für die Unternehmen in der Schweiz bedeuten, wie sie leiden. Natürlich profitiert jetzt Rolex logischerweise davon, wenn auf Schweizer Uhren 24 Prozent weniger Zoll bezahlt werden muss. Aber davon profitieren alle betroffenen Unternehmen. Es ging also nicht um Eigeninteresse.
Weiss der Bundesrat, was die Unternehmer für sich selbst bei US-Präsident Trump rausgeholt haben?
Ich weiss heute nur, dass sie für ihre eigenen Unternehmen wie für alle Unternehmen in der Schweiz 24 Prozent weniger Zoll bezahlen müssen.
Haben die Unternehmer mehr gewusst über die Schweizer Strategie als die Vertreter des Parlaments?
Nein. Die Unternehmen haben kein einziges geheimes Dokument gesehen und wussten in keiner Phase mehr als die Parlamentarier der zuständigen Kommissionen.
Für die SVP sind diese Unternehmer Helden, die WOZ nennt sie Oligarchen: Was sind Sie in Ihren Augen?
Sie haben patriotisch gehandelt. Für die Schweiz, wo ihre Unternehmen ihren Sitz haben. Ich bin ihnen dankbar, dass sie ihre Beziehungen spielen liessen und uns die Tür geöffnet haben. Aber die Verhandlungen haben immer nur wir geführt.
Was bei Rechts für Unruhe sorgt, ist, dass auf dem Joint Statement zum Deal die US-Forderung im Raum steht, dass die Schweiz das amerikanische Regime für Exportkontrollen und Sanktionen übernehmen solle. Stimmt das?
Nein. Das ist falsch. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung der Schweiz, mehr zu tun, als das, was bisher schon unsere Praxis war bei der Umsetzung von Sanktionen. Im Gegenteil: Andere Länder haben sich verpflichtet, alle Sanktionen der USA automatisch verbindlich mitzutragen. Wir nicht. Wir haben diese Forderung erfolgreich abgewehrt. Wir entscheiden autonom und souverän, wollen aber weiterhin in diesen Bereichen wie in der Vergangenheit mit den USA zusammenarbeiten.
Eine besondere Rolle spielt der Schweizer Mormone Alfred Gantner von der Partners Group: Die Bilateralen Verträge mit der EU geisselt er als Unterwerfungsvertrag. Mit Trump hingegen diskutiert er im Oval Office die Übernahme der US-Sanktionspolitik durch die Schweiz. Bei der EU-Frage ist seine Partners Group mit Kompass Schweiz ein schwergewichtiger Gegner des Bundesrates, in der Zollfrage ist er ein Freund des Bundesrats. Geht das auf? Bekommt er dafür bei den Bilateralen ein Zückerchen?
Nein, das ist Unsinn. Herr Gantner kennt die Haltung des Bundesrats zu den bilateralen Abkommen mit der EU. Trotzdem wollte er uns helfen. Es ging immer nur um die 39 Prozent, die wir beide weghaben wollten.
Zurück zum Deal: Die NZZ titelte am Samstag: «Die Schweiz kauft sich frei». Stimmt das?
Nein. Auch das ist falsch. Wir haben nichts gekauft. Die Schweizer Unternehmer haben uns einfach ihre Investitionsabsichten mitgeteilt, die sie in den nächsten Jahren in den USA tätigen wollen.
«Es darf nicht salonfähig werden, mit materiellen Versprechen politische Zusagen zu erkaufen», sagt FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann. Ist das heute nur noch Wunschdenken?
Was heisst da salonfähig? Es wurde mit diesem Deal nichts erkauft. Die Unternehmen hätten diese Investitionen auch sonst beabsichtigt. Es gibt auch keine Verpflichtung der Schweiz oder der Unternehmen, diese Investitionen zu tätigen.
Die Sonntagszeitung titelte: «Der Bundesrat sagt nur die halbe Wahrheit zum Zoll Deal». Was ist da dran?
Das ist schlicht falsch. Die meisten haben sich einfach nicht die Mühe gemacht, zu lesen, was genau im gemeinsamen Joint Statement steht. Dort ist genau unterschieden zwischen rechtlich verpflichtend und rechtlich nicht verpflichtend. Und vieles von dem, was jetzt für Aufruhr sorgt, muss im Gegenteil nun ausgehandelt werden.
Im Moment sorgen folgende Punkte für Aufregung. Nehmen Sie doch bitte kurz und bündig Stellung: Die Schweiz muss in Zukunft die US-Sicherheitsstandards für Autos übernehmen. Stimmt das? Darf bald der Tesla-Cybertruck hier fahren?
Auch das ist so falsch. Wir sind bereit, darüber zu diskutieren, ob es bei der Zulassung von Fahrzeugen Vereinfachungen geben kann. Vereinfachungen sind auch in anderen Bereichen gefragt. Es gibt zum Beispiel eine Motion des Ständerats Damian Müller, der uns auffordert zu schauen, wie sinnvoll es ist, wenn Medizinprodukte, die in den USA für sicher erklärt werden, in der Schweiz noch einmal von A bis Z geprüft werden müssen. Das und nur das werden wir nun anschauen.
Die Schweiz muss Chlorhühner importieren, die schädlich für die Gesundheit sind und darum hier verboten sind?
So ist das falsch. In der Schweiz ist das derzeit verboten. Was wir hingegen anschauen wollen, ob es zum Beispiel möglich ist, dass wir Hühner, die in den USA wegen Salmonellen in ein Chlorbad kommen, auch in der Schweiz verkaufen könnten, wenn sie klar deklariert sind. Aber das muss natürlich das Parlament beschliessen. Etwas Ähnliches haben wir bei den Kühen gemacht. Hormonell behandeltes Rindfleisch darf aus den USA importiert werden, aber es muss deklariert sein. Seit es diese Deklaration gibt, fielen die Importe von 800 Tonnen auf 250 Tonnen. Das könnte auch bei den Poulets der Fall sein. Zudem gilt es die Verhältnisse zu wahren: Wir importieren schon heute 40 Prozent unserer Poulets. Aus den USA kämen laut Absichtserklärung lediglich 0,8 Prozent. Und ich frage mich: Wenn die Schweizer in den USA sind, fragen sie dann immer nach, ob sie dort chlorfreie Poulets im Fastfood-Restaurant zu essen bekommen? Da ist auch viel Heuchelei im Spiel.
Die Bauern müssen für die Rinder-, Bison- und Geflügelimporte entschädigt werden mit Struktur- und Investitionshilfen, fordert Bauernverbands-Boss Markus Ritter.
Unsere Zusagen zu US-Importen auf landwirtschaftliche Güter sind in keiner Art und Weise für die Schweizer Bauern eine Existenzbedrohung.
Die Schweiz muss ihre Zölle auf US-Produkte wie Nüsse, Fisch, Meeresfrüchte, Früchte, Chemikalien, Whiskey und Rum auf null senken.
Das stimmt, aber das sind keine Produkte, die für die Schweizer Landwirtschaft eine Konkurrenz sind.
Die Schweiz darf keine Steuern von Facebook, Amazon und Co. erheben.
Das war schon bisher nicht die Haltung des Bundesrates in dieser Frage.
Die Schweizer Wirtschaft muss in den nächsten fünf Jahren 200 Milliarden in den USA investieren. 80 Milliarden davon bereits 2026. Wie realistisch ist das?
Das ist wie gesagt absolut realistisch. Die Zahlen und Absichten sind ja von den Unternehmen selbst. Sie haben Bauprojekte, die zum Teil bereits bewilligt wurden.
Und Sie haben keine Angst, dass die USA uns wieder 39 Prozent aufs Auge drücken, wenn wir die zugesagten 80 Milliarden bis Ende 2026 nicht erreichen?
Vielleicht erreichen wir es um ein bis zwei Milliarden nicht. Aber die Grössenordnungen stimmen sicher.
Bis 2028 muss das Handelsbilanzdefizit ausgeglichen sein. Was passiert, wenn das nicht gelingt?
Auch da habe ich keine Angst. Schon jetzt war das in der Schweiz geschmolzene Gold ein Treiber, der bereits wieder am Abklingen ist. Wir werden mit den von den Unternehmen beabsichtigten Investitionen sicher das Ziel erreichen. Da bin ich überzeugt.
Muss die Schweiz jetzt den USA Waffen abkaufen? Zum Beispiel Patriot-Systeme oder Lenkwaffen?
Auch das ist so nicht richtig. Allfällige Rüstungskäufe sind nicht Teil der Absichtserklärung. Grundsätzlich: Wir müssen nichts mit diesem Deal. Betreffend Rüstung: Wir haben uns als Bundesrat verpflichtet, Waffen aus verschiedenen Quellen zu beschaffen. Zum Beispiel auch aus der EU. Und wenn wir US-Waffen kaufen, dann brauchen wir natürlich auch die Munition dazu. Dort ist vielmehr die Frage, ob sie die uns auch liefern können.
Was ist unter dem Strich für die Schweiz wichtiger: dass die 39 Prozent wegkommen oder dass wir in allen strittigen Punkten noch recht bekommen? Können wir den Deal überhaupt ablehnen? Steht nicht zu viel auf dem Spiel?
Für mich sind die 15 Prozent entscheidend. Ich möchte sonst gern wissen, wie gewisse Politiker dann den Angestellten, die wegen den 39 Prozent um ihren Job bangen, erklären wollen, warum wir den Deal ablehnen sollen.
Es geht in der Diskussion viel um Moral: Heiligt der Zweck heute die Mittel?
Man mag das bedauern, aber ja, die Zeiten haben sich geändert. Ob man es gern hört oder nicht, aber kein Land kann auf die USA als Handelspartner verzichten. Wir müssen mit ihnen einen Umgang finden. Das ist unsere Aufgabe. Und vergessen Sie nicht: Auch die EU hat einen ähnlichen Deal. Unsere Unternehmen haben jetzt wieder die gleichen Voraussetzungen wie die Konkurrenz in der EU.
Muss die Schweiz im neuen Zeitalter des Egoismus und Protektionismus Auge um Auge mit gleichen Mitteln kämpfen? Und zum Beispiel Lobbyisten einsetzen?
Ich glaube nicht, dass das Parlament dem Bund den Einsatz von Lobbyisten goutieren würde. Auch wenn es so ist, dass in den USA vieles über solche Lobbyisten läuft. Was aber sicher ist: Wir müssen viel breiter denken als bisher und mit vielen Ländern reden und möglichst viele Deals machen. Mit der EU, mit Mercosur und so weiter. Das hilft uns am meisten.
Sowohl der EU-Vertrag wie auch der Zoll-Vertrag mit den USA können per Referendum vors Volk kommen. Ist das in beiden Fällen richtig oder falsch?
Wenn das Parlament so entscheidet, kann das Volk wie beim EU-Paket das fakultative Referendum ergreifen. Das ist auch gut so. Und wenn das Volk den dann rechtlich bindenden Deal ablehnt, dann ist es so. Dann können natürlich auf der anderen Seite auch die USA die Zölle wieder erhöhen.
Wann ist ein Volksentscheid frühestens der Fall?
Das hängt vom parlamentarischen Prozess ab.
Was passiert, wenn der Supreme Court die Strafzölle für illegal erklärt?
Dann werden wir sicher alles genau prüfen. Die Administration Trump wird sicher andere Wege finden, um an hohen Zöllen festzuhalten. Wichtig ist, dass wir den rechtlich bindenden Vertrag, den wir nun aushandeln, so ausgestalten, dass wir einer solchen Entwicklung Rechnung tragen können – etwa mit einer Ausstiegsklausel.
(aargauerzeitung.ch)
