Im Sturm gehört der Kapitän auf Deck. Als die SBB nach dem tödlichen Einklemm-Unfall eines Zugbegleiters die Medien (sehr zögerlich) informierte, versteckte sich SBB-Boss Andreas Meyer und präsentierte lieber eine neue ÖV-App. Sein Vorgehen weckte nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch beim Personal viele Fragezeichen. Die Stimmung beim SBB-Personal ist seither im Keller.
Meyers Prioritätensetzung zeigt sinnbildlich, wie sehr der SBB-Chef die Bodenhaftung verloren hat. Ein weiteres Beispiel: Anstatt endlich die Bombardier-Pannenzüge richtig auf die Schiene zu bringen, experimentieren die SBB-Manager lieber mit Lufttaxis oder selbstfahrenden Fahrzeugen. Im Januar 2019 ging die SBB tatsächlich eine Kooperation mit einem deutschen Drohnen-Startup ein.
Dies erweckt den Eindruck, dass die SBB ihr Kerngeschäft je länger je mehr aus den Augen verloren haben: Passagiere pünktlich und komfortabel mit dem Zug von A nach B zu bringen.
Verspätungen, Zugausfälle, verkürzte Kompositionen, versprayte Wagen. Die SBB-Misere der letzen Monate hängt direkt mit Meyers grösstem Flop in seiner Amtszeit zusammen: Die völlig aus dem Ruder gelaufene, 1.9 Milliarden Franken teure Beschaffung der Bombardier-FV-Doppelstockzüge. Trotz sechs Jahren Verspätung fahren die Schüttelzüge noch immer nur auf Nebenstrecken – oder stehen nutzlos auf Abstellgleisen herum. Dies, während Pendler auf Hauptrouten wie Bern-Zürich manchmal selbst in der 1. Klasse stehen müssen. Da blutet das Schweizer Bähnler-Herz.
Für den grössten Beschaffungs-GAU der Schweizer ÖV-Geschichte ist Meyer als oberster Chef direkt verantwortlich. Als Jeannine Pilloud, die damalige Leiterin Personenverkehr, 2010 in der SBB-Zentrale den neuen «Superzug» präsentierte, war Meyer bereits gut drei Jahre im Amt. Mit einer völlig neuartigen Wankkompensation gingen die SBB bei der Ausschreibung aufs Ganze – und überforderten den kanadischen Hersteller Bombardier sowie die eigenen Leute komplett.
Die SBB-Manager versuchten in den letzten Monaten immer wieder, dem Hersteller die Schuld in die Schuhe zu schieben. Teils sicher zu Recht. Meyer hat es jedoch verpasst, frühzeitig die Alarmzeichen zu erkennen und die nötigen Massnahmen einzuleiten. Mittlerweile ist bei der Dosto-Beschaffung der Point-of-no-return längst überschritten.
Das für einen SBB-Zugbegleiter tödliche Tür-Desaster sowie hunderte, teils gefährliche Defekte bei den Einheitswagen IV haben das Fass beim Personal und bei den Pendlern zum Überlaufen gebracht. Aber verantwortlich für Meyers überraschenden Abgang ist höchstwahrscheinlich der Dosto-Flop.
Bleibt nur zu hoffen, dass die SBB die Probleme mit dem Schüttelzug irgendwann in den Griff kriegen und die Pendler nicht 40 Jahre lang mit einem Schüttelzug herumfahren müssen.
Natürlich kann man sagen: Der verwöhnte Schweizer Pendler motzt auf hohem Niveau. So hat sich in Meyers Amtszeit die Zahl der Zugpendler pro Tag von gut 840'000 (2007) auf 1,3 Millionen erhöht. 9 von 10 Zügen kommen im Schnitt noch immer pünktlich (bis 3 Minuten Verspätung) an. Aber die Schweiz investiert pro Kopf europaweit mit Abstand am meisten in die Schiene. Jeder Schweizer Steuerzahler zahlt pro Jahr rund 350 Euro in das Bahnsystem ein. In Österreich sind es 190 Euro, in Deutschland fünfmal weniger als in der Schweiz.
Back to the roots: Dieses Motto muss sich die neue SBB-Chefin oder der neue SBB-Chef dick hinter die Ohren schreiben. Denn was die über 1,3 Millionen Pendler täglich wollen, sind pünktliche und saubere Züge. Nicht mehr und nicht weniger.