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Andreas Meyer tritt zurück: Wie er die SBB aufs Abstellgleis führte

Andreas Meyer, CEO SBB, spricht ueber seinen Ruecktritt waehrend einer Medienkonferenz, am Mittwoch, 4. September 2019 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
SBB-Chef Andreas Meyer tritt 2020 nach 13 Jahren an der SBB-Spitze zurück. Bild: KEYSTONE
Kommentar

Der tägliche Pendlerfrust: Wie Meyer die SBB aufs Abstellgleis steuerte

Nach 13 Jahren an der Spitze wirft SBB-Chef Andreas Meyer das Handtuch. Back to basics: Es ist an der Zeit, dass sich die Bundesbahnen wieder an ihre Kernaufgabe erinnern.
04.09.2019, 12:3205.09.2019, 07:28
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Im Sturm gehört der Kapitän auf Deck. Als die SBB nach dem tödlichen Einklemm-Unfall eines Zugbegleiters die Medien (sehr zögerlich) informierte, versteckte sich SBB-Boss Andreas Meyer und präsentierte lieber eine neue ÖV-App. Sein Vorgehen weckte nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch beim Personal viele Fragezeichen. Die Stimmung beim SBB-Personal ist seither im Keller.

Meyers Prioritätensetzung zeigt sinnbildlich, wie sehr der SBB-Chef die Bodenhaftung verloren hat. Ein weiteres Beispiel: Anstatt endlich die Bombardier-Pannenzüge richtig auf die Schiene zu bringen, experimentieren die SBB-Manager lieber mit Lufttaxis oder selbstfahrenden Fahrzeugen. Im Januar 2019 ging die SBB tatsächlich eine Kooperation mit einem deutschen Drohnen-Startup ein.

Dies erweckt den Eindruck, dass die SBB ihr Kerngeschäft je länger je mehr aus den Augen verloren haben: Passagiere pünktlich und komfortabel mit dem Zug von A nach B zu bringen.

Verspätungen, Zugausfälle, verkürzte Kompositionen, versprayte Wagen. Die SBB-Misere der letzen Monate hängt direkt mit Meyers grösstem Flop in seiner Amtszeit zusammen: Die völlig aus dem Ruder gelaufene, 1.9 Milliarden Franken teure Beschaffung der Bombardier-FV-Doppelstockzüge. Trotz sechs Jahren Verspätung fahren die Schüttelzüge noch immer nur auf Nebenstrecken – oder stehen nutzlos auf Abstellgleisen herum. Dies, während Pendler auf Hauptrouten wie Bern-Zürich manchmal selbst in der 1. Klasse stehen müssen. Da blutet das Schweizer Bähnler-Herz.

Abfahrt des Fernverkehrs-Doppelstockzugs FV-Dosto im Zuercher Hauptbahnhof am Mittwoch, 1. Mai 2019. (KEYSTONE/Walter Bieri)
Trotz sechs Jahren Verspätung bislang ein Flop: Der FV-Dosto von Bombardier. Bild: KEYSTONE

Für den grössten Beschaffungs-GAU der Schweizer ÖV-Geschichte ist Meyer als oberster Chef direkt verantwortlich. Als Jeannine Pilloud, die damalige Leiterin Personenverkehr, 2010 in der SBB-Zentrale den neuen «Superzug» präsentierte, war Meyer bereits gut drei Jahre im Amt. Mit einer völlig neuartigen Wankkompensation gingen die SBB bei der Ausschreibung aufs Ganze – und überforderten den kanadischen Hersteller Bombardier sowie die eigenen Leute komplett.

Die SBB-Manager versuchten in den letzten Monaten immer wieder, dem Hersteller die Schuld in die Schuhe zu schieben. Teils sicher zu Recht. Meyer hat es jedoch verpasst, frühzeitig die Alarmzeichen zu erkennen und die nötigen Massnahmen einzuleiten. Mittlerweile ist bei der Dosto-Beschaffung der Point-of-no-return längst überschritten.

Das für einen SBB-Zugbegleiter tödliche Tür-Desaster sowie hunderte, teils gefährliche Defekte bei den Einheitswagen IV haben das Fass beim Personal und bei den Pendlern zum Überlaufen gebracht. Aber verantwortlich für Meyers überraschenden Abgang ist höchstwahrscheinlich der Dosto-Flop.

Bleibt nur zu hoffen, dass die SBB die Probleme mit dem Schüttelzug irgendwann in den Griff kriegen und die Pendler nicht 40 Jahre lang mit einem Schüttelzug herumfahren müssen.

Natürlich kann man sagen: Der verwöhnte Schweizer Pendler motzt auf hohem Niveau. So hat sich in Meyers Amtszeit die Zahl der Zugpendler pro Tag von gut 840'000 (2007) auf 1,3 Millionen erhöht. 9 von 10 Zügen kommen im Schnitt noch immer pünktlich (bis 3 Minuten Verspätung) an. Aber die Schweiz investiert pro Kopf europaweit mit Abstand am meisten in die Schiene. Jeder Schweizer Steuerzahler zahlt pro Jahr rund 350 Euro in das Bahnsystem ein. In Österreich sind es 190 Euro, in Deutschland fünfmal weniger als in der Schweiz.

Back to the roots: Dieses Motto muss sich die neue SBB-Chefin oder der neue SBB-Chef dick hinter die Ohren schreiben. Denn was die über 1,3 Millionen Pendler täglich wollen, sind pünktliche und saubere Züge. Nicht mehr und nicht weniger.

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400 Meter lang, 1300 Passagiere, 4 Jahre Verspätung: Der neue Intercity der SBB ist da
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400 Meter lang, 1300 Passagiere, 4 Jahre Verspätung: Der neue Intercity der SBB ist da
Die SBB präsentierten im Mai 2017 ihren neuen Intercity-Zug erstmals den Medien. Der Zug mit dem Namen «Twindexx Swiss Express» wird von der Firma Bombardier hergestellt. Hier steht er im Bahnhof Interlaken bereit für die Abfahrt.



quelle: keystone / anthony anex
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Bombardier-Zug weiter unter Beschuss
Video: srf
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158 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Coffeetime ☕
04.09.2019 12:46registriert Dezember 2018
Also die SBB mit der DB vergleichen, bei der so viel Unpünktlichkeit gibt, dass die Zugbegleiter extra dafür trainiert werden, "lustige" Sprüche dazu zu klopfen? 🤔 Ich bin mit den SBB sehr zufrieden... und pendle weiterhin jeden Tag mit dem Bus/SBB.
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grandvlad
04.09.2019 12:44registriert Januar 2014
....wenn's Probleme gibt, dann abrauschen.... wie viel Abfindung/Rente er wohl erhält....
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Namenloses Elend
04.09.2019 16:33registriert Oktober 2014
Danke für die Abschlussworte. Ich arbeite selbst seit 15 Jahren bei der SBB. Ich kann dem zu 100% beipflichten! Natürlich soll auch die SBB ein innovatives, modernes Unternehmen sein, aber sie darf dabei die Kernaufgabe nicht aus dem Blick verlieren. Ausserdem wird diese kurzfristige Ansicht wie Geld gespart werden kann, häufig von den falschen Leuten getroffen. Wer derart an der Basis spart wird die Quittung bekommen. Gleichzeitig wird Oben massig Geld zum Fenster rausgeworfen, an Leute die absolut keine Ahnung vom Bahnbetrieb haben. Das Resultat sieht man ja z. B an der Infrastruktur.
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