Sie sind selbst aus grosser Distanz erkennbar: Die beiden Türme, die der Pharmakonzern Roche im beschaulichen Quartier Kleinbasel hochgezogen hat. Turm 2 ist mit 205 Metern das höchste Gebäude der Schweiz. Die klotzigen Hochhäuser «erschlagen» das Basler Stadtbild in einer Weise, dass man sich fragt: Wäre das woanders auch möglich?
Die erdrückende Dominanz der beiden Roche-Türme lässt sich symbolisch interpretieren. Sie zeigt, wie sehr die stolze Humanistenstadt Basel von «Big Pharma» abhängig ist. Der linksgrün dominierte Stadtkanton schwimmt vor allem dank Novartis und Roche im Geld. Gleichzeitig besteht damit am Rheinknie ein potenziell fatales Klumpenrisiko.
Der Basler Bevölkerung ist dies zuletzt wieder sehr bewusst geworden. Denn die beiden Pharma-Riesen, die eigentlich hochprofitabel arbeiten, haben ein Powerplay aufgezogen, bei dem man überspitzt an die Banditenforderung «Geld oder Leben» denken muss. Konkret fordern sie höhere Medikamentenpreise, und das teilweise mit harten Bandagen.
Letzte Woche enthüllten die Tamedia-Zeitungen einen Vorfall, den es in dieser Form in der Schweiz wohl noch nie gegeben hat. Der Roche-Konzern zog das Medikament Lunsumio, das sich bei der Behandlung von Lymphdrüsenkrebs als «echter Hoffnungsträger» erwiesen habe, kurzerhand vom Markt zurück. Krebsmediziner zeigten sich konsterniert.
Grund ist ein Streit ums Geld. Lunsumio erhielt von Swissmedic und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) nur eine befristete Zulassung, weil nicht alle geforderten Daten verfügbar waren. Als es um eine Verlängerung ging, lehnte Roche «plötzlich das ausgehandelte Preismodell ab». Doch das BAG blieb hart und wies die Forderung nach mehr Geld zurück.
Es fürchtet gemäss Tamedia eine Art Präzedenzfall für andere Hersteller. Roche wiederum argumentierte mit den Entwicklungskosten von 5,5 Milliarden Franken und zog Lunsumio zurück. Selbst eine Einzelfallvergütung – ein bewährter Mechanismus in der Schweiz – lehnt Roche ab. Einzig für Härtefälle soll es demnach eine kostenlose Abgabe geben.
Der Basler Konkurrent hält sich noch zurück. Allerdings sprach Novartis-Chef Vas Narasimhan letzte Woche bei der Präsentation der Halbjahreszahlen Klartext: «Wir wollen Schritte vermeiden, in denen wir ein Produkt komplett vom Markt nehmen müssen. Aber ich denke, dass das häufiger vorkommen wird, ausser Europa reformiert seine Systeme.»
Mit anderen Worten: Auch Novartis will mehr Geld für seine Medikamente. Eine entsprechende Forderung hatte Narasimhan im April zusammen mit Paul Hudson, dem Chef des französischen Sanofi-Konzerns, in der «Financial Times» platziert. Die beiden Pharmabosse verlangten, dass die EU ähnlich hohe Preise festlegen solle wie die USA.
Damit stachen sie in ein Wespennest. Denn die EU und die Schweiz regulieren ihre Medikamentenpreise aus Rücksicht auf Gesundheitssysteme und Krankenkassenprämien stark. In Amerika sind sie weitgehend frei und entsprechend hoch. Das schlägt sich in den Bilanzen nieder. Einen grossen Teil ihrer Profite machen Europas Pharmafirmen in den USA.
Das soll sich nach dem Willen von Präsident Donald Trump ändern. Im Mai kündigte er an, die Medikamentenpreise auf europäisches Niveau senken zu wollen. Doch Trump verhält sich auch bei diesem Thema extrem widersprüchlich. Erst kürzlich drohte er mit Zöllen bis 200 Prozent auf pharmazeutische Produkte, was die Preise explodieren lassen würde.
In erster Linie will Trump die Hersteller zur Produktion in den USA zwingen. Novartis und Roche haben Investitionen in Milliardenhöhe angekündigt, wobei die Pläne teilweise nicht ganz neu sind. Und die Schweiz soll sich mit Trumps Team auf Ausnahmen für Pharma geeinigt haben, doch der US-Präsident hat das Papier noch immer nicht unterschrieben.
Das Problem der Basler Pharma ist teilweise «hausgemacht». Roche kämpfe «mit einer ungewöhnlich langen Pechsträhne bei der Entwicklung neuer Medikamente», kommentierte die NZZ. Vor drei Jahren zeigte sich, dass ein vermeintlich vielversprechendes Präparat gegen Alzheimer die Erwartungen nicht erfüllte. Dabei geht viel Geld «verloren».
Konkurrent Novartis ist erfolgreicher, doch es besteht gemäss NZZ die Befürchtung, dass die neuen Produkte nicht schnell genug «die Löcher stopfen können», die durch den auslaufenden Patentschutz bei älteren Medikamenten drohten. Ausserdem haben die Basler Firmen das enorm lukrative Geschäft mit Abnehmspritzen «verschlafen».
Auf der anderen Seite steht die Politik, die angesichts der Kostenexplosion im Gesundheitswesen auf die Preisbremse drückt. Das führt zu fragwürdigen Entwicklungen, etwa wenn Behörden mit den Konzernen «Mengenrabatte» bei Medikamenten aushandeln, die geheim gehalten werden, wodurch Staaten gegeneinander ausgespielt werden.
Eine Kritikerin ist Kerstin Noëlle Vokinger, Professorin für Recht und Medizin an ETH und Universität Zürich. Das betrifft auch das «Reizthema» Krebs. «Es gibt keinen messbaren Zusammenhang zwischen dem Nutzen der neuen Krebsmedikamente und ihren hohen Preisen», sagte sie der «NZZ am Sonntag» und sprach von einer deutlichen «Krebsprämie».
Der Preispoker dürfte an Schärfe zunehmen. In Basel verfolgt man die Ausbaupläne von Novartis und Roche in den USA mit Besorgnis. Also erfüllt man «Big Pharma» fast jeden Wunsch. Im Mai sagte das Stimmvolk klar Ja zu einer «Abfederung» der OECD-Mindeststeuer. Die Roche-Türme mögen dominant sein, aber nichts ist für die Ewigkeit gebaut.
Für die Preisfestsetzung sollte es eine Schlichtungsstelle geben. Behaupten die Pharmafirmen die Kosten werden nicht gedeckt, müssen sie dies belegen.