Das Urteil der Bundesrichter ist für Simon Stocker bitter – nicht nur wegen der Konsequenzen, die es für ihn und seine Familie hat. Der Entscheid sei auch eine Absage an ein gleichberechtigtes Familienmodell, sagt der Schaffhauser SP-Politiker, der von heute auf morgen sein Ständeratsamt abgeben muss.
Für den Kanton Schaffhausen politisieren, während Frau und Kind in Zürich leben: Das geht nicht, urteilte das höchste Gericht. Stocker mag noch so sehr in seinem Heimatkanton verwurzelt sein, die Wohnsitzpflicht sehen die Richter aus Lausanne verletzt. Als verheiratetes Paar hat man, so die Regel, den gleichen Wohnsitz.
Die Berner GLP-Nationalrätin, Kathrin Bertschy, findet:
«In der Bundesverfassung ist das Recht auf Ehe und Familie verankert. Das gilt in unserer hochgelobten Demokratie aber nicht für Menschen, die Kinder betreuen und politisch tätig sind», sagt sie.
Denn faktisch bedeute dies, dass der Partner oder die Partnerin auf eine Karriere verzichten müsse – beziehungsweise man sich als Ständerat oder Ständerätin zwischen Kindern und politischem Amt zu entscheiden habe. So repräsentiere die Demokratie nicht die Bevölkerung.
Die ehemalige Genfer Ständerätin Lisa Mazzone, Präsidentin der Grünen, sieht das Urteil ebenfalls kritisch: «Bei solchen Entscheiden ist es nicht verwunderlich, wenn bald wieder nur ältere Männer im Ständerat sitzen.»
Während Nationalrätinnen und Nationalräte auch ausserhalb des Kantons wohnen dürfen, für den sie politisieren, gilt für Ständerätinnen und Ständeräte in vielen Kantonen Wohnsitzpflicht, so auch in Genf.
Mazzone, selbst zweifache Mutter, hält die starre Interpretation der Wohnsitzpflicht für aus der Zeit gefallen. «Das passt nicht zum heutigen Verständnis von Familie.» Komme dazu, dass niemand ohne starke Verankerung in einem Kanton gewählt werde.
Die Zürcher Grünliberale Tiana Angelina Moser musste sich 2023 beispielsweise Kritik gefallen lassen, als sie für den Ständerat kandidierte. Während sie in Zürich gemeldet ist, lebt ihr Partner Matthias Aebischer, damals Nationalrat und jetzt Mitglied der Berner Stadtregierung, in Bern. Gemeinsam haben sie eine Tochter und je drei Kinder aus früheren Beziehungen, die in Zürich und Bern leben. Sie sei nur eine «Teilzeit-Zürcherin», kritisierten anonyme Stimmen.
Baptiste Hurni kann ob solcher Diskussionen nur den Kopf schütteln. Der Neuenburger SP-Ständerat sagt, er bedaure, dass das Bundesgericht die Tatsache nicht berücksichtigt habe, dass sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt habe. Auch er hält den Entscheid für «sehr restriktiv». «Es steht mir nicht zu, die Schaffhauser Gesetze zu beurteilen. Aber ich denke, dass sich die Kantone etwas mehr der heutigen Situation bewusst sein und über die Wohnsitzpflicht nachdenken sollten.»
Im Falle Stockers stösst bei Lisa Mazzone zudem auf Unverständnis, dass der Wille der Schaffhauser Wählerinnen und Wähler nicht höher gewichtet wurde. Schliesslich habe Stocker nie ein Geheimnis aus seiner Wohnsituation gemacht.
Das betonte auch Stocker selbst. Die zwei Wohnsitze hätten das Leben etwas komplizierter gemacht. Doch «wir waren auch immer stolz darauf, wie wir das gelöst haben».
Aus seiner Sicht müsste nicht die Festlegung des Wohnsitzes ganz generell überdacht werden. Das Zivilgesetz müsse «endlich» das abbilden, «was in der Realität stattfindet». Nämlich, dass auch verheiratete Paare mit Kindern zwei verschiedene Wohnsitze haben können.
Das beste an der Sache ist, dass das Minder Team diese Anschuldigungen schon vor der Wahl kannte aber erst nach der verlorenen Wahl nutzte. Wäre es ihnen wirklich wichtig gewesen, hättten sie es vorgängig kundgetan.