Schweiz
Wirtschaft

Bauern züchten zu viele Schweine, damit aufhören will aber niemand

Bauern züchten zu viele Schweine, damit aufhören will aber niemand – warum nur?

In der Schweiz gibt es zu viele Schweine – der Überschuss ist so gross, dass tonnenweise Fleisch exportiert werden muss. Das geht für die Schweinebauern ins Geld. Drei von ihnen erzählen, weshalb sie trotz allem nicht ans Aufgeben denken.
24.02.2023, 07:00
Chiara Stäheli / ch media
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Der Schweinemarkt in der Schweiz ist gezeichnet von Hochs und Tiefs, von Überschüssen und Mängeln. Zuletzt war das Überangebot an Schweinen so gross, dass tonnenweise Schweinefleisch in andere europäische Länder exportiert und eingefroren werden musste. Gemäss Zahlen der Branchenorganisation Proviande wurden bis Mitte Februar über 31’000 Schweine – in Hälften geteilt – exportiert, knapp 15’000 eingefroren. Den Export finanzierten die Mäster und der Handel gemeinsam: Pro Kilogramm Schlachtgewicht nahmen sie 20 Rappen in die Hand.

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Bild: KEYSTONE

Die Branchenvereinigung Suisseporcs spricht von einer «beispiellosen Massnahme zur Marktentlastung». Diese war bitter nötig. Denn in den Ställen kam es aufgrund der ausgelasteten Schlachthöfe und des harzenden Absatzes zu Überbelegungen – vielerorts konnten die Tierschutzvorschriften kaum noch eingehalten werden.

Wie konnte es so weit kommen?

Einerseits führten die geschlossenen Grenzen während der Pandemie dazu, dass der Einkaufstourismus stark zurückging. In der Folge stieg die inländische Nachfrage an, die Bauern erhöhten die Bestände – schliesslich haben sie damit ein gutes Geschäft gemacht. Doch seit Sommer 2021 kennen die Schweinepreise nur noch eine Richtung: Bis August 2022 sank der Preis pro Kilogramm Schlachtgewicht auf 3 Franken, wo er seither verharrt.

Andererseits essen die Menschen immer weniger Schweinefleisch. Der Pro-Kopf-Konsum sank in den letzten zehn Jahren um rund zehn Prozent auf 21 Kilogramm pro Jahr.

7000 Muttersauen weniger

Unterdessen zeichnet sich langsam eine Erholung ab, doch die Notlage hinterlässt Spuren: bei den Landwirten, den Händlern und den Verarbeitern. Auf Dauer könne es so nicht weitergehen, sagt Raphael Helfenstein von Suisseporcs: «Um den Markt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, müssen Bauern aus dem Schweinegeschäft aussteigen.» Suisseporcs rechnet mit einer Reduktion der Gesamtproduktion um rund 5 Prozent. Heisst: Der Bestand an Muttersauen muss schweizweit um 7000 Tiere schrumpfen.

Von diesen Tatsachen wissen auch die Bauernfamilien. Viele der schweizweit rund 5600 Schweinehalter stellen sich in diesen Tagen grundsätzliche Fragen. Lohnt sich die Schweinemast noch? Wie sichere ich die Existenz meiner Familie? Und: Was hätten wir anders machen können? Drei Landwirte erzählen von ihren Sorgen – und davon, was sie trotz allem an der Produktion von Schweinefleisch festhalten lässt.

Urs Stoller, Romanshorn TG

«Momentan mache ich mit der Schweinezucht keinen Gewinn mehr. Im Gegenteil: Für jedes Ferkel, das ich weggebe, zahle ich unter dem Strich drauf.» Landwirt Urs Stoller macht die aktuelle Situation auf dem Schweinemarkt zu schaffen. Der 53-jährige Schweinezüchter aus Romanshorn macht sich viele Gedanken über die Zukunft des Betriebs, den er von seinem Vater übernommen hat: «Man fragt sich schon, wie lange man das noch so weitermachen möchte.» Das Auf und Ab gehe «an die Substanz». Und dennoch: «Wir Schweinezüchter sind Unternehmer und müssen uns auch in schlechten Phasen zu helfen wissen. Das gehört zu unserem Job.»

Die Schweinezucht gänzlich aufzugeben, kommt für Stoller nicht infrage. Zu stark hängt er an den Tieren und an seinem Betrieb: «Ich mache das aus Leidenschaft und will nicht einfach aufgeben, was ich mir über Jahre aufgebaut habe.» Hinzu komme die Lage des Hofs: «Unser Betrieb ist nicht geeignet für andere Betriebszweige. Ich kann also nicht einfach auf Ackerbau umstellen, das wäre von der Zone her rein geografisch nicht einfach so möglich», so Stoller.

Jammern will der Thurgauer Landwirt nicht: «Es nützt nichts, wenn wir nach Schuldigen suchen. Schliesslich sind wir alle – die Futtermittelproduzenten, die Züchter, die Mäster, die Verarbeiter und die Vermarkter – mitverantwortlich für den jetzigen Überschuss.»

Markus Käppeli, Hildisrieden LU

Auch Markus Käppeli macht sich Gedanken über die Zukunft: «Obwohl wir uns im Schweinemarkt an Preisschwankungen gewöhnt sind, frage ich mich manchmal schon, wann sich der Markt wieder einpendelt und ob es langfristig vielleicht Sinn macht, dass die Branche künftig noch früher oder konsequenter eingreift.» Käppeli bewirtschaftet einen Bauernhof im luzernischen Hildisrieden, er hat ihn 2016 von seinen Eltern übernommen. Nebst der Milchwirtschaft ist die Schweinezucht das zweite grosse Standbein auf Käppelis Betrieb.

Der Preis, den er in den letzten Monaten für seine Ferkel erhielt, sei «ruinös» gewesen. «Mittlerweile kann ich mit dem Erlös aus dem Ferkelverkauf immerhin die Direktkosten knapp decken», so der 35-jährige Familienvater. In den letzten Jahren hat Käppeli in den Betrieb investiert – vor allem, weil ihm die Arbeit mit den Schweinen Freude bereitet: «Ich bin ein Vollblut-Schweinezüchter und hoffe, dass ich das noch eine Weile bleiben kann.»

Käppeli will an der Schweineproduktion festhalten: «Ich bin bereit, mit kurzfristigen Massnahmen dazu beizutragen, den Überschuss einzudämmen. So habe ich etwa seit letztem Herbst den Bestand leicht reduziert. Aber ganz Aussteigen ist für mich keine Option.» Das sähe anders aus, würde er kurz vor der Pension oder vor grossen Investitionen stehen, sagt er. «Dann würde ich mir das wohl überlegen.»

Franz Guillebeau, Lanzenhäusern BE

«Wir haben schon manche Krise durchgestanden, aber was wir jetzt haben, ist schon ziemlich ausserordentlich», sagt Franz Guillebeau. Der 59-jährige Berner sichert sich sein Einkommen mit der Schweinezucht. Auch er hat den Bauernhof in Lanzenhäusern von seinem Vater übernommen. Guillebeau hofft, dass die Negativspirale bald ein Ende hat und er mit der Zucht wieder Geld verdient: «Der Leidensdruck ist in der ganzen Branche sehr hoch, das jetzige System erzeugt Frust bei allen Beteiligten.»

Für Guillebeau ist klar, dass die Produktion angepasst werden muss, in erster Linie durch eine Reduktion der Zahl der Mastplätze. Dann sinke in der Folge auch die Nachfrage nach Jagern, also jungen Schweinen. Guillebeau selbst will die Schweinezucht weiterführen: «Hinter meiner Arbeit steckt viel Herzblut, ich bin stolz, Schweinebauer zu sein und will diesen Job nicht leichtfertig aufgeben.»

Die Misere sei nicht zuletzt auch «eine Folge politischer Entscheide», sagt Guillebeau. «Die Politik wollte, dass die Landwirtschaft effizienter wird. Das hatte zur Folge, dass sich viele Betriebe auf einen Betriebszweig spezialisiert haben, welcher nun das Haupteinkommen generiert. Eine Umstellung auf einen anderen Betriebszweig ist deshalb sehr schwierig.» (aargauerzeitung.ch)

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137 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Allkreis
24.02.2023 07:26registriert Januar 2020
Wieso finanziert der Handel den Export mit? Völlig daneben, dass die Konsumenten eine Überproduktion mittragen MÜSSEN, notabene nebst milliardenschweren Subventionen! Dann kommen noch Umweltschäden durch Schweinegülle (zB durch Nitratüberschuss), resistente Bakterien durch Antibiotika, und hohe CO2 Emmissionen hinzu. Der Bauernverband lässt Grüssen...
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lumpensammlerin
24.02.2023 07:08registriert Mai 2019
Und da soll noch einer sagen, es nütze nichts, wenn man seinen eigenen Fleischkonsum ein wenig reduziere.
Jetzt müssen die Züchter die Zeichen nur richtig deuten und die Produktion auch tatsächlich drosseln.
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Potzholzöpfel
24.02.2023 08:35registriert August 2019
Ich produzierte leidenschaftlich gerne Faxgeräte, ich bin ein Vollblut Faxer. Leider kauft mir nur noch das BAG Geräte ab, aber jänu🤦‍♂️
In der Privatwirtschaft wären die sowas von pleite innerhalb 30 Minuten
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