«Lassen Sie mich nun auf die Inflationsentwicklung eingehen», begann Thomas Jordan, Präsident der Nationalbank SNB. Kurz vor Weihnachten, am 16. Dezember 2021, wagte er einen Blick ins neue Jahr. «Die Teuerung lag im November bei 1.5 Prozent. Wir gehen davon aus, dass die Inflation bald ihren Höhepunkt erreicht und im Lauf des nächsten Jahres zurückgehen wird.» Dann wurde er konkret:
Ein gutes halbes Jahr nach Jordans Aussagen beträgt die Jahresteuerung in der Schweiz 3.4 Prozent, dreimal so hoch wie vorhergesagt. Die Inflation, die wichtigste Kennzahl für die Nationalbank, hat im Juni den höchsten Wert seit drei Jahrzehnten erreicht.
Dass die SNB Putins Überfall auf die Ukraine nicht kommen sah, wird ihr niemand übelnehmen. Der Krieg und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland führten auf den Energiemärkten zu Verwerfungen und zu Preiserhöhungen insbesondere bei Gas und Öl.
In der SNB regt sich dennoch Kritik an der «epochalen Fehleinschätzung», wie es ein Insider formuliert. Denn auch ohne den Ukraine-Krieg gab es schon Ende des letzten Jahres Anzeichen einer anziehenden Teuerung. Einerseits weil die Nachfrage der Konsumenten und Konsumentinnen stieg, die nach fast zwei Jahren Corona einen gewissen Nachholbedarf verspürten. Andererseits, weil die Geldpolitik nach wie vor sehr grosszügig war: An Zinserhöhungen dachte die SNB nicht, der Negativzins blieb unangetastet, es wurden weiter unverdrossen Franken in den Wirtschaftskreislauf gepumpt.
Hinzu kam, dass in vielen Ländern die Teuerung stark angezogen war, was sich via «importierte Inflation» fast zwangsläufig auf die Schweiz auswirken musste. So kletterte in den USA die Inflationsrate im Herbst 2021 auf 5.4 Prozent (September), 6.2 (Oktober) und 6.8 (November) – diese Woche nun wurde die Marke von 9 Prozent übersprungen.
In der Euro-Zone, dem mit Abstand wichtigsten Handelsraum für die Schweiz, war die Teuerung zum Zeitpunkt von Jordans 1-Prozent-Prognose ebenfalls längst angestiegen. Hatte sie im Sommer noch weniger als 2 Prozent betragen, schoss sie ab September in die Höhe, um gegen Jahresende 5 Prozent zu erreichen.
In der Nationalbank aber ging man davon aus, dass die Teuerung die Schweiz wegen des Frankeneffekts umschiffen und dass sie im Ausland wieder abnehmen würde. O-Ton Thomas Jordan im Dezember 2021: «Mit einer Entspannung der Lieferengpässe, der Stabilisierung der Energiepreise und dem Wegfall verschiedener Einmaleffekte dürfte die Inflation im Ausland im Verlauf des nächsten Jahres wieder auf moderatere Niveaus sinken.»
Am 24. Februar griff Russlands Armee die Ukraine an. Am 29. April äusserte sich Thomas Jordan erstmals ausführlich zu den Folgen für die Geldpolitik und die Konjunktur. An der Generalversammlung der SNB hob er die Inflationsprognose auf 2.1 Prozent an. Eine Leitzins-Erhöhung sei weiterhin nicht nötig. Jordan sagte dazu:
Erst am 16. Juni, vor genau einem Monat, änderte das SNB-Direktorium seine Meinung. Jordan gab bekannt, den Leitzins um einen halben Prozentpunkt auf −0.25 Prozent zu erhöhen.
Er begründete das so: «Wir haben uns für eine Zinserhöhung entschieden, weil es inzwischen Anzeichen dafür gibt, dass die Inflation auch auf Waren und Dienstleistungen übergreift, die nicht direkt vom Krieg in der Ukraine und den Pandemiefolgen betroffen sind.» Weiter räumte Jordan ein, es bestehe die Gefahr, dass die Inflation «längere Zeit oberhalb von 2 Prozent liegt».
Gemäss Informationen der «Schweiz am Wochenende» hat die Nationalbank ihre Prognosemodelle, welche die Inflation unterschätzt hatten, nun einer kritischen Prüfung unterzogen. Die ökonometrischen Modelle würden hinterfragt und nötigenfalls neu justiert, ist zu hören. Bei der SNB sagt man dazu, das treffe zu, sei aber nicht aussergewöhnlich: «Wir überprüfen unsere Modelle laufend.»
Die SNB äussert sich auch zum Vorwurf, die Inflation unterschätzt und zu spät reagiert zu haben. Sie betont, erst der Kriegsausbruch habe diese nach oben getrieben, die Kerninflation sei nach wie vor tief, der hohe Wert von 3.4 Prozent sei zu einem grossen Teil auf die Energiepreise zurückzuführen.
Zudem, so heisst es bei der SNB, habe sie schon im Dezember auf den Inflationsdruck reagiert, indem sie die Aufwertung des Schweizer Frankens zugelassen habe. Konkret hat die Nationalbank die Interventionen reduziert, die sie über Jahre unternommen hatte, um eine Aufwertung des Frankens zu mindern. «Wir haben Gegensteuer gegeben, wenn auch bis Mitte Juni ohne Zinserhöhungen», betont man bei der SNB.
Tatsächlich hat die Nationalbank die Möglichkeit, über eine Aufwertung des Frankens den Inflationsdruck einzudämmen. Dieses Mittel hat sie genutzt, sonst stünde die Teuerung in der Schweiz aktuell statt bei 3.4 wohl eher bei 5 Prozent, wie Insider vermuten – mit unabsehbaren Folgen für die Lohnverhandlungen im Herbst.
Dass die Nationalbank bei ihrer nächsten Lagebeurteilung vom 21. September erneut den Leitzins erhöht, hat sie angedeutet. Eher überraschend ist indes das Ausmass, das zurzeit angepeilt wird, wie involvierte Kreise gegenüber dieser Zeitung sagen: Es soll erneut um einen halben Prozentpunkt nach oben gehen, von -0.25 auf 0.25 Prozent. Das könne sich aber bis September noch ändern, je nach Entwicklung der Inflation und der Konjunktur, wird betont.
Sollte die Teuerung noch stärker anziehen, sei gar eine Erhöhung um drei Viertel Prozentpunkte denkbar, auf 0.5 Prozent. Fest steht aber schon jetzt: Die Zeit der Negativzinsen wird zu Ende gehen, einen Tag nach dem Entscheid, am 22. September, soll dies kommuniziert werden.
(aargauerzeitung.ch)
"Es wird nie wieder Inflation geben und wenn schon dann nur gering, und wenn stark, dann wird man sie kontrollieren können und wenn man sie nicht kontrollieren kann, dann ist Inflation effektiv gut".
Konnte ja niemand wissen, dass die Wirtschaft "exogenen" Schocks ausgesetzt ist.
Aber Geld an den Staat zahlen, wenn viel Geld vorhanden ist, geht dann nicht - in der Form von Steuern natürlich.