Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen ist stolz. Sehr stolz sogar: «Wir freuen uns, Ihnen eine Weltneuheit präsentieren zu dürfen», sagte der Neuenburger am Dienstag vor den Medien, als er in Zürich die nach eigenen Angaben grösste Innovation der Unternehmensgeschichte des orangen Riesen vorstellte.
Eine Überraschung ist diese allerdings nicht mehr. CH Media hatte bereits vor gut einer Woche darüber berichtet, dass es sich bei der Innovation um ein neues Kaffeeportionensystem namens CoffeeB handeln dürfte. Dieses kommt im Gegensatz zum Branchenpionier Nespresso ohne Aluminium und Plastikhülle für seine Portionen aus. Sprich: Es soll deutlich nachhaltiger sein.
Fabrice Zumbrunnen begann seine Präsentation mit einem Verweis auf das Jahr 1986 - der Geburtsstunde von Nespresso. Das sei eine grosse Innovation gewesen. Nur: «Der grosse Erfolg der Kapsel ist zu einem grossen Umweltproblem geworden.» Jährlich würden weltweit 63 Milliarden Kaffeekapseln konsumiert, und deren Recyclingquote sei tief - selbst wenn sie aus Aluminium sind. Laut dem Migros-Chef betragen die Kapselabfälle pro Jahr 100'000 Tonnen pro Jahr - das zehnfache Gewicht des Eiffelturms.
«Riesige Mengen an Alu- und Plastikkapseln landen heute im Müll», sagt Fabrice Zumbrunnen. Davon sei auch die Migros betroffen. Schliesslich stellt sie sowohl Alu- als auch Plastikkapseln ihrer Marken Delizio und Caffè Royal her. Zwar biete man Sammelstellen in den Filialen an und verwende seit diesem Jahr nur noch rezykliertes Aluminium. «Aber wir wollten weiter gehen und haben uns vor fünf Jahren das Ziel gesetzt, eine wirklich nachhaltige Lösung zu finden», sagt Zumbrunnen. «Jetzt gibt es einen Coffee-Ball.» Dieser sei im Garten kompostierbar und zersetze sich innert vier Wochen. Die Schutzschicht ist pflanzenbasiert.
Trotz der grünen Botschaft: Am Verkauf der bisherigen, nicht nachhaltigen Kapseln will die Migros auch weiterhin festhalten. Sprich: Diese werden trotz CoffeeB nicht aus dem Regal genommen.
Die CoffeeB-Kugeln, die in Birsfelden BL produziert werden und von denen es vorerst acht Aromen gibt, verkauft die Migros in ihren Supermärkten, in den Filialen von Melectronics und online. Ab heute sind sie laut Zumbrunnen auch in Frankreich erhältlich, ab nächstem Jahr dann in Deutschland. «Das Interesse aus anderen Ländern ist bereits sehr gross und wir hoffen, dass es noch grösser wird. Wir wollen das System Land für Land weiterverbreiten.» Eine Prognose, welcher Marktanteil angepeilt wird, wagte Zumbrunnen nicht. Für die Produktion in Birsfelden hat die Migros einen zweistelligen Millionenbetrag investiert.
Die dafür nötige, in China produzierte Maschine kostet 169 Franken, soll 12 Jahre lang halten und wenig Strom verbrauchen. Eine Packung mit neun Coffee-B-Kugeln kostet zwischen 4.60 und 4.95 Franken, also rund 50 Rappen pro Portion. Damit liegen die CoffeeB-Preise auf dem Niveau der Nespresso-Kapseln - und deutlich über den zahlreichen Nespresso kompatiblen Kopien, die es teils für weniger als 10 Rappen gibt. Fragt sich, ob das Nachhaltigkeitsargument bei der Kundschaft reicht, damit diese die höheren Preise schluckt. Denn ein grosser Faktor des Nespresso-Erfolgs ist auch das Lifestyle-Gefühl, welches Nestlé mithilfe millionenschwerer PR-Kampagnen und Stars wie George Clooney vermittelt.
Zudem gibt es Fragezeichen, ob die Migros mit CoffeeB tatsächlich das Ei des Koffein-Kolumbus gefunden hat. Denn an sich ist die Idee von biologisch abbaubaren Kaffeeportionen nicht neu. Die Genfer Firma Ethical Coffee Company begann bereits in den 2000er-Jahren, Nespresso-kompatible, biologisch abbaubare Kapseln zu verkaufen. Ihr war zwar kein Erfolg beschieden, doch weitere folgten. Die Migros sieht darin kein Problem. Die heute verfügbaren, kompostierbaren Kapseln hätten oftmals ein Qualitätsproblem, hiess es an der Pressekonferenz vom Dienstag.
Fakt ist, dass die Schweiz als Kaffeeland gilt und grosses, entsprechendes Know-how hierzulande vorhanden ist, in erster Linie beim Kapsel-Pionier Nespresso von Nestlé - aber auch bei der Migros. Deise begann bereits zu Beginn der 2000er-Jahre mit der Entwicklung eines eigenständigen Kaffeekapselsystems und lancierte 2004 die Marke Delizio - mit eigenen Maschinen und Kapseln, die günstiger als jene von Nestlé sind. Unter dem Namen Cremesso verkauft sie das System auch in ausländischen Märkten. 2012 folgte dann die Linie Café Royal mit Nespresso-kompatiblen Kapseln.
Und auch beim Kaffeetrinken ist die Schweiz Spitzenklasse gemessen am Pro-Kopf-Konsum. 2020 wurden hierzulande laut dem Branchenverband Cafetier Suisse pro Person jährlich 1070 Tassen getrunken - also fast drei pro Tag. Das ergibt Rang vier im internationalen Vergleich hinter Norwegen, Deutschland und Österreich.