Der Bundesrat lockert den Lockdown, aber nicht alles macht Sinn
Genau einen Monat ist es her, seit der Bundesrat die Schweiz in eine Art Wachkoma versetzt hat. Die Furcht vor untragbaren Zuständen in den Spitälern aufgrund der Corona-Pandemie veranlasste ihn, öffentlich zugängliche Einrichtungen mit wenigen Ausnahmen (Lebensmittelläden, Apotheken) zu schliessen. Nun ist die Zeit für eine erste Bilanz gekommen. Sie fällt positiv aus.
Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetroffen. Selbst im Tessin, dem am stärksten vom Virus betroffenen Kanton, hat sich die Lage entspannt. Eines der beiden Covid-Spitäler nimmt wieder «normale» Patienten auf. Die «grösste Teilmobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg» hat dazu geführt, dass viele Soldaten herumsitzen und sich die Sinnfrage stellen.
Highlights der Bundesrats-PK
Safety first, lautet die berechtigte Rechtfertigung. Wenn es um die Gesundheit geht, macht man besser zu viel als zu wenig. Weil die Bevölkerung sich selbst am gefürchteten Oster-Wochenende diszipliniert verhalten hat und die Infektionskurve sich erfreulich entwickelt, hatte der Bundesrat in seiner Sitzung vom Donnerstag jedoch keine andere Wahl, als den Lockdown zu lockern.
Warum nicht die kleinen Läden?
Nun liegt ein Fahrplan vor, und er sorgt für eine gewisse Irritation. Warum gehören ausgerechnet Einrichtungen mit direktem Körperkontakt wie Coiffeursalons und Tattoo-Studios zu den Profiteuren der ersten Lockerungsetappe am 27. April? Warum werden Baumärkte und Gartencenter geöffnet? Hat der Bundesrat einfach die Österreicher kopiert?
Kleinere Läden bleiben bis am 11. Mai geschlossen, was der Gewerbeverband als «massive Diskriminierung» kritisiert. Dabei kann man dort die Kundschaft wesentlich besser «überwachen». Keinen Tag zu früh kommt die Öffnung der Schulen, damit lernschwache Kinder nicht abgehängt werden.
Beizer von Pleite bedroht
Besonders bitter ist der Lockerungs-Fahrplan für die Gastronomie. Sie ist vollständig ausgeklammert und soll erst einmal ein Schutzkonzept vorlegen. Konkret bedeutet dies, dass es kaum zu einer Wiedereröffnung von Bars und Restaurants vor Juni kommen wird. Lauschige Abende in der Gartenbeiz sind vorerst kein Thema, ebenso private Gartenpartys mit mehr als fünf Personen.
Wirklich hart aber ist die Verzögerung für die Beizer selbst. Die Branche operiert mit sehr knappen Margen, viele betreiben Selbstausbeutung. Nun sind auf absehbare Zeit keine nennenswerten Umsätze in Sicht, während sie bei den Mieten höchstens auf eine Fristerstreckung hoffen dürfen. Wie so die befürchtete Pleitewelle verhindert werden kann, weiss wohl nicht einmal der Bundesrat.
Ein Ereignis ohne Drehbuch
Vollkommen in den Sternen steht auch, wie es bei den Grossveranstaltungen weitergeht. Der Bundesrat will frühestens am 29. April darüber entscheiden. Man ist kein Prophet, wenn man voraussagt, dass die Open-Air-Saison gestrichen ist. Auch für grosse Sportveranstaltungen sieht es vorerst schlecht aus. Es ist nicht einmal klar, ob die Eishockey-Saison im September starten kann.
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Ein solcher Blick in die Zukunft wäre ohnehin unseriös. Man muss den Bundesrat deshalb auch ein wenig in Schutz nehmen. Die Coronakrise ist und bleibt ein Jahrhundert-Ereignis, das für uns alle vollkommen neu ist. Es gibt dafür kein Drehbuch, alles ist Learning by Doing. Und niemand will, dass der positive Trend in die Gegenrichtung kippt und es zu einem Rückfall in den Lockdown kommt.
Fast schon beschwörend forderten Simonetta Sommaruga und Alain Berset die Bevölkerung einmal mehr auf, bei den Schutzmassnahmen keine Lockerung zuzulassen. Also weiter Hände waschen, Abstand halten, zu Hause bleiben und Homeoffice machen. Damit die ersehnte Rückkehr zu einer «echten» Normalität in absehbarer Zeit möglich ist.