Dieser Haarschnitt? Diese Jacke? Dieb! Nach diesem vereinfachten Prinzip funktioniert eine neue Software, welche die Migros derzeit testet, um Langfinger ausfindig zu machen. In einer Zürcher Filiale sind 74 intelligente Kameras installiert, die den Kunden nachspionieren. Um welche Filiale es sich handelt, verrät ein Sprecher der zuständigen Genossenschaft Zürich nicht.
Die Software analysiert die Kunden anhand von Erscheinungsmerkmalen wie Haarfarbe, Körpergrösse, Kleidung und sogar dem Geschlecht. Das soll helfen, um zu eruieren, wie oft, wo und wie lange ein verdächtigter Kunde im Geschäft war, und ob es ein Einzeltäter war oder eine Gruppe. Die Hautfarbe werde nicht analysiert, heisst es auf Nachfrage. Problematisch: Die Kunden werden nicht explizit darauf hingewiesen, dass sie von den Kameras auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Laut dem Migros-Sprecher verzichtet man darauf, «da die Analyse nur bei einzelnen Ereignissen und auf bereits gespeicherte Daten angewendet wird». Analysen von Liveaufnahmen seien nicht möglich.
Für den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten reicht die Erklärung nicht: «In so einem speziellen Fall, bei dem biometrische Daten abgeglichen werden und das Bewegungsprofil durch den ganzen Laden hindurch nachgezeichnet wird, muss den Kunden deutlich gemacht werden, dass sie mit mehr als einer herkömmlichen Überwachungskamera gefilmt werden», sagt ein Sprecher. Nur so könnten die Kunden ihr Auskunftsrecht geltend machen und verlangen, dass die Aufnahmen gelöscht werden.
Der Sprecher sagt, bei begründeten Verdachtsfällen müssten die Sequenzen manuell gespeichert werden. Ansonsten werde das Bildmaterial «regelmässig» und «automatisch» gelöscht, wobei unklar bleibt, was «regelmässig» heisst. Die Migros gibt sich relativ zurückhaltend. Allerdings hat der zuständige Migros-Sicherheitsexperte erst kürzlich in der deutschen «Lebensmittelzeitung» das System ausführlich geschildert. Künftig sollen auch Attribute wie Rucksäcke, Koffer oder Taschen in die Analyse miteinbezogen werden. Die Kameras sind an «Hotspots» angebracht, wie der Kasse, in der Kosmetikabteilung und oberhalb der Fleischtheke, aber auch an den Ein- und Ausgängen und auf dem Parkplatz.
«Die Idee ist, der Polizei gerichtsfestes Videomaterial aushändigen zu können, wenn man einen Dieb gefasst hat», lässt sich der zuständige Migros-Sicherheitsexperte zitieren. Bisher musste sich ein Filialdetektiv nach der Ergreifung des Diebes stundenlang Videomaterial ansehen. Mit dem neuen System ist dies in 30 Minuten möglich.
In jede einzelne Sequenz lässt sich hineinzoomen. «Ich kann genau erkennen, ob jemand die teure Creme nur in die Hand genommen hat, hin und her gedreht und dann doch wieder zurückgestellt, oder ob er sie in die Jacke oder die Handtasche hat fallen lassen», so der Sicherheitsexperte. Gesichter könne die schlaue Software nicht erkennen. Ein weiteres Beispiel: Bestellt der Kunde ein Rindsfilet an der Fleischtheke, wandern die Bon-Daten, die die Verkäuferin an der Waage eintippt, ans Kassensystem. Bleibt die Bezahlung dort aus, ist dies ein Diebstahlindiz.
Laut dem Sprecher würden für das neue System primär Filialen in Betracht gezogen, die umgebaut werden. Den Verdacht, dass diese «Big Brother»-Offensive etwas mit steigenden Diebstählen aufgrund der Self-Scanning-Kassen zu tun haben könnte, verneint er.
Bei der Stiftung für Konsumentenschutz ist man skeptisch. «Wir erachten die allgemeine Entwicklung in Richtung konstanter Überwachung der Kundschaft und der Angestellten als problematisch», sagt ein Sprecher. Die Migros ist mit ihrem Vorgehen allerdings nicht allein. Die US-Kette Walmart, der grösste Detailhändler der Welt, setzt seit Juni auf künstliche Intelligenz im Kampf gegen Diebstähle. Und Coop? Eine Sprecherin sagt nur: «Neue Technologien werden laufend evaluiert.»
Neu bei Migros... 😉