Wenn die Körper wie in einer Sardinenbüchse dicht an dicht auf der Wiese liegen, eine Kakofonie an Kindergeschrei, Reggaeton und Hip-Hop durch die Lüfte mäandert und es nach einer Mischung aus Bratwurst, Sonnencreme und Schweiss riecht, dann ist klar: Es ist Sommer.
Viele Schweizerinnen und Schweizer warten sehnlichst auf die heisse Jahreszeit. Doch für tausende Menschen bedeuten Temperaturen jenseits der 30-Grad-Marke auch eine grosse Belastung. Oder gar Lebensgefahr.
Langfristig stellen die immer häufiger auftretenden Hitzetage in der Schweiz eines der grössten Gesundheitsrisiken für unsere Gesellschaft dar. Ein Beispiel: Im Hitzesommer 2003 starben europaweit rund 70'000 Menschen an den Folgen der hohen Temperaturen. In der Schweiz waren es rund 1000. Die Übersterblichkeit lag in den jeweiligen Sommermonaten bei bis zu sieben Prozent. In den letzten hundert Jahren sorgte nur Corona für eine höhere Übersterblichkeit.
Anders als bei Corona gibt es jedoch keine Impfung gegen die Hitze, auch kann sie nicht endemisch werden. Im Gegenteil: In den nächsten Jahrzehnten sollen sich die Anzahl Hitzetage im Vergleich zum langjährigen Mittel etwa verdreifachen. Und um bei den Pandemien zu bleiben: Der Klimawandel begünstigt auch diese, da Tiere mit anderen Tieren in Kontakt kommen, die sie normalerweise nicht treffen würden. So finden Pathogene neue Träger.
Der Klimawandel stellt die Schweiz also nicht nur auf Umweltebene vor riesige Probleme, sondern auch auf Gesundheitsebene. Lösungsansätze gibt es zuhauf, doch sie erfordern ein Zusammenspiel verschiedenster Institutionen, Ämter, Organisationen und Departemente. Stellt sich die Frage: Ist die Schweiz bereit für das grosse Schwitzen?
In der Schweiz und ganz Europa herrscht derzeit eine Affenhitze. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Nächste Woche soll es bis zu 40 Grad heiss werden.
Solche Temperaturen können lebensbedrohlich sein. Die Abläufe im menschlichen Körper sind darauf ausgerichtet, bei rund 37 Grad zu funktionieren. Ist die Umgebung ähnlich warm oder sogar wärmer, können unsere Kühlungsmechanismen nicht mehr richtig funktionieren. Schwitzen und Gefässerweiterung kommen an ihre Grenzen, der menschliche Körper gleicht einem heissgelaufenen Computer mit kaputter Lüftung.
Gemäss dem Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut nimmt das hitzebedingte Todesfallrisiko ab 30 Grad mit jedem Grad stark zu. Am grössten ist das Sterberisiko am Hitzetag selbst. Aber auch in den zwei bis vier Tagen danach bleibt ein signifikant erhöhtes Todesfallrisiko bestehen, sodass sich bei einer mehrtägigen Hitzewelle die Auswirkungen kumulieren.
Das betrifft keineswegs nur sehr alte Menschen, die ohnehin schon in den letzten Zügen liegen. Personen ab 75 Jahren stellen zwar die grösste Risikogruppe dar, aber auch solche mit chronischen Erkrankungen, Schwangere und Kleinkinder sind gefährdet. Der Verlauf verschiedenster Krankheiten kann bei Hitze verschlimmert werden, etwa Multiple Sklerose, Nierenschwäche, Adipositas, Neurodermitis, Demenz, Schizophrenie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrankheiten. Auch können gewisse Medikamente bei grosser Hitze zu einer Gefahr werden, weil sie den Körper zum Beispiel noch schneller austrocknen.
Zwischenfazit: Hitze stellt ein immenses Gesundheitsrisiko für grosse Teile der Gesellschaft dar. Dementsprechend liegt es im Verantwortungsbereich der öffentlichen Gesundheitspflege, oder auf Neudeutsch «Public Health», das Risiko so gut wie möglich zu senken. So wie beim Rauchen. Oder bei Corona. Gerade die Pandemie hat jedoch gezeigt, dass es mit der öffentlichen Gesundheitspflege in den deutschsprachigen Ländern nicht allzu gut bestellt ist.
Die deutsche Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann kritisiert dies in ihrem Buch «Überhitzt» ebenfalls. So stünden die Schweiz, Deutschland und Österreich in Sachen Hitzeprävention «blank» da. «Alle drei Länder haben die zunehmenden Hitzewellen ignoriert und keine Vorsichtsmassnahmen entwickelt.»
Anders Frankreich: Das Land hat aus dem Hitzesommer 2003, dem rund 15'000 Menschen zum Opfer fielen, gelernt. Die französischen Behörden liessen danach einen «Plan Canicule» ausarbeiten, einen Hitzeplan. Dieser hat zum Ziel, die gesundheitlichen Folgen von extremer Hitze effizient zu kommunizieren, Verhaltensanpassungen innerhalb des Gesundheitssektors und in der Bevölkerung zu erreichen sowie Präventionsmassnahmen zu koordinieren. In der Praxis geschieht das etwa durch regelmässige Besuche bei betagten Menschen, Radio- und Fernsehspots oder auch bei Nacht geöffneten Parks und Gärten.
So blank, wie Traidl-Hoffmann behauptet, steht die Schweiz jedoch nicht da. Es gibt zwar keinen Hitzeplan auf nationaler Ebene. Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit BAG liegt dies in der Kompetenz der Kantone. Und einige haben nach 2003 tatsächlich einen erarbeitet. Namentlich sind das Genf, Waadt, Freiburg, Neuenburg, Wallis und das Tessin – also alle nicht deutschsprachigen Kantone.
Dass Hitzeaktionspläne wirken, lässt sich statistisch belegen. In der Schweiz ist die mit der Hitze assoziierte Übersterblichkeit in den Jahren 2018 und 2019 im Vergleich zu den Sommern 2003 und 2015 deutlich geringer ausgefallen, trotz ähnlicher Temperaturen. «Am deutlichsten war der Rückgang in der Westschweiz und im Tessin, wo die Prävention mittels kantonalen Hitzeaktionsplänen geregelt wird», schreibt das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut in einem Bericht.
Mittlerweile regt sich jedoch auch in den Deutschschweizer Kantonen etwas. Seit dem Sommer 2019 setzt der Kanton Zürich im Rahmen des neuen Massnahmenplans zur Anpassung an den Klimawandel neue Aktivitäten um. So laufen seit dieser Woche etwa Radiospots. St.Gallen steckt mitten in der Erarbeitung eines Hitzeplans.
Wie die CH-Media-Zeitungen schreiben, gibt es zudem in Basel eine Hitzehotline und der Aargau will unter anderem mit dem Projekt «Schatten für Kinder und Klima» mehr schattige Plätze schaffen, etwa auf Schularealen oder Spielplätzen. Des Weiteren läuft in Luzern ein Pilotprojekt, bei dem der direkte Kontakt mit Einwohnerinnen und Einwohner über 75 Jahre gesucht wird.
Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut begrüsst diese Massnahmen zwar, ist jedoch auch der Ansicht, dass kantonale Hitzepläne besser wären. Es hat deswegen eine «Hitze-Massnahmen-Toolbox» veröffentlicht, eine Art Baukasten für Kantone zur Unterstützung eines eigenen Hitzeplans. Es beruht auf mehreren Ebenen und umfasst 23 potenzielle Massnahmen:
Viele Kantone haben davon erst einzelne Massnahmen eingeführt. Selbst jene Kantone mit einem Hitzeplan konzentrieren sich vornehmlich auf die Ebenen A und B. Was uns zum nächsten Punkt führt.
Die Ebene C, die langfristige Anpassungen behandelt, zielt hauptsächlich auf Städte ab, nicht Kantone. Diese sind ungleich heftiger von der Hitzeproblematik betroffen, denn: Betonwüsten, wie man sie in den grossen Städten findet, heizen sich im Sommer extrem auf.
Besonders anschaulich lässt sich das in Zürich beobachten. Im Sommer 2020 stieg das Thermometer beim Kasernenareal im Stadtzentrum an 24 Tagen über die 30-Grad-Grenze. Am Stadtrand, nur wenige Kilometer entfernt, stieg das Quecksilber nur an neun Tagen auf 30 Grad. Dieses Phänomen hat einen Namen: Hitzeinsel-Effekt.
Die Stadt Zürich hat Klimakarten erstellt, auf denen ersichtlich wird, wo dieser Hitzeinsel-Effekt am grössten ist. In Gebieten rund um die Langstrasse oder entlang der Gleise vom Hauptbahnhof nach Altstetten ist es bis zu zehn Grad wärmer als im ländlichen Umfeld. Auch in der Nacht kühlt es vergleichsweise wenig ab. Schuld daran sind Strassen und Gebäude, die Wärme speichern. Auch können die Winde kaum zirkulieren und es fehlen Pflanzen, die Wasser verdunsten und so die Umgebung kühlen könnten. Es zeigt sich: Schweizer Städte wurden nicht für mediterrane Temperaturen gebaut.
Was Grünflächen ausmachen können, wird ersichtlich, wenn man sich das Stadtgebiet in Zürich etwas genauer ansieht. Auf dem Friedhof Sihlfeld, dem grössten grünen Park der Stadt, ist es tagsüber bis zu 10 Grad kühler als im weniger als einen Kilometer entfernten Hard-Quartier. In Bern, Genf und Basel ist die Situation ähnlich.
Allen voran Zürich will nun aktiv gegen die Hitze ankämpfen. Im Sommer 2020 wurde dafür die «Fachplanung Hitzeminderung» publiziert. Darin werden detaillierte Lösungsvorschläge aufgezeigt. Diese reichen von Bäumen, Biotopen und begrünten Fassaden bis hin zur aerodynamischen Ausrichtung von Neubauten. Dabei sollen Häuser so positioniert werden, dass der Wind zirkulieren kann. Das sorgt für schnellere Abkühlung in der Nacht.
Eine weitere interessante Idee stellt das sogenannte Schwammstadtprinzip dar. Dabei wird die Stadt als Schwamm verstanden und entwickelt. Sie soll Regenwasser aufsaugen und bei Bedarf wieder abgeben. Konkret heisst das: Regenwasser wird nicht in die Kanalisation abgeleitet, sondern lokal gespeichert. Etwa in Regenwasserteichen. Bei Trockenperioden kann das Wasser dann zu den Grünflächen gepumpt werden. So kann verhindert werden, dass Wiesen bei längeren Trockenperioden verdorren. Das würde lediglich für noch mehr Hitze sorgen. An der Giessereistrasse in Zürich-West führt das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement ein Pilotprojekt dazu durch.
Auch andere Städte haben sich dem Hitzeproblem mittlerweile angenommen. So hat Sion etwa das Projekt «Acclimatasion» ins Leben gerufen. Der Hauptort des Kantons Wallis will der Vegetation und dem Wasserkreislauf bei der Stadtentwicklung künftig Vorrang einräumen. In Mendrisio TI wird die Dach- und Fassadenbegrünung gefördert, in Genf und Solothurn setzt man ebenfalls auf eine dem Klima angepasste Entwicklung der Städte.
Ist die Schweiz also bereit für das grosse Schwitzen?
Jein. Wie schon bei der Corona-Pandemie scheint der Föderalismus bremsend zu wirken. Es gibt einen kantonalen Flickenteppich an Massnahmen. Dabei sei eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene unerlässlich, schreibt das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut. Nur so seien die Massnahmen zur Prävention von hitzebedingten Erkrankungen und Todesfällen effizient umzusetzen.
Dennoch tut sich etwas. Die Hitzesommer der letzten Jahre und der Ausblick auf viele mehr scheint die Politik in Kantonen und Städte aufgeschreckt zu haben. Vor allem die Westschweizer Kantone sowie Zürich und Tessin scheinen sich dem Thema vollumfänglich angenommen zu haben. Sie setzen auf innovative Ideen, um das Leben während der heissesten Tage im Jahr erträglicher zu machen. Das zeigt sich auch in der Statistik: Die Anzahl an hitzebedingten Todesfällen sinkt langsam.
Die beste Massnahme gegen eine überhitzte Bevölkerung ist allerdings schon seit Jahrzehnten bekannt: den CO₂-Ausstoss mindern und dabei die globale Erderwärmung bremsen.
Reisst alle Inseln auf und pflanzt Blumenwiese…
Reisst Trottoire in Abständen zu x Meter auf und pflanzt Bäume…
Reisst alle Plätze auf und pflanzt Bäume, Blumenwiesen und macht Kieswege…
Reisst Wege in Parks und am See entlang auf und macht Kieswege…
Reisst die Strasse zwischen den Tramschienen auf und pflanzt Blumenwiese…
Verwendet als Verengungen und Schikanen bepflanze Blumenkübel…
Verwendet gegen Rammbockräuber bepflanze Blumenkübel…
Persönlich habe ich schon vor Jahren das ganze Haus klimatisiert, es wird leider nicht mehr kühler werden und wieso sollte man darunter leiden. Der Strom für die Klimageräte kommt direkt vom eigenen Dach und der Sonne und der Batterie im Keller.