Die Schweiz wird ihr Reduktionsziel von minus 20 Prozent Treibhausgasausstoss bis 2020 gegenüber 1990 insgesamt wohl verfehlen, wie das Treibhausgasinventar 2019 zeigt. Die Daten für 2020 sind allerdings noch nicht bekannt und sind durch die Pandemie beeinflusst, in welcher die Emissionen tiefer waren.
Bis 2019 hat die Schweiz in 30 Jahren also nur um 14 Prozent reduziert, bis 2030 müssen es aber 50 Prozent sein und bis 2050 100 Prozent – so sieht es das von der Schweiz ratifizierte Klimaabkommen von Paris vor. Allerdings gehen die CO2-Emissionen seit 2018 tendenziell zurück. «Es gibt zwar Fortschritte, aber wir sind noch nicht auf Kurs für Paris», sagt Reto Knutti, Klimatologe an der ETH Zürich.
Pro Kopf sind die CO2-Einsparungen grösser als beim Gesamtausstoss, was mit dem Bevölkerungswachstum ausgeglichen wird. Die Einsparung pro Kopf hat mit dem technischen Fortschritt und der damit besseren Energieeffizienz zu tun. Für die internationale Verpflichtung innerhalb des Abkommens und auch für das Klima zählt allerdings nicht die Pro-Kopf-Emission, sondern die gesamten Treibhausgasemission, welche die Schweiz ausstösst. In den Länderemissionen werden zudem die Flugemissionen nicht dazugerechnet. Sonst würde die Gesamtbilanz für die Schweiz noch schlechter aussehen.
«Mit den heutigen Zusagen würden die Emissionen global nicht mehr steigen, sondern bis 2030 konstant bleiben, aber sie sollten um rund 50 Prozent sinken», sagt der Klimatologe Knutti. Die Erwärmung der Erde ist abhängig vom CO2-Ausstoss über die Zeit. Je mehr CO2 in die Atmosphäre gelangt, desto wärmer wird es global. Das Temperaturziel steht also in Abhängigkeit zu dem, was alle Länder zusammen produzieren.
Mit den heutigen Massnahmen bewegt sich die Welt zurzeit auf eine Erwärmung um 2.9 Grad bis Ende Jahrhundert zu. Mit den im Pariser Abkommen gemachten Zusagen steuert die Erde auf 2.4 Grad zu. Ganz ohne Klimaschutz wären es 3 bis 5 Grad.
Vor allem der Umstieg auf Wärmepumpen hat die Situation im Gebäudebereich deutlich verbessert. Zudem wirken auch die Energie-Mindeststandards für Neubauten. Im Gebäudebereich konnten die Emissionen 2019 im Vergleich zum Basisjahr 1990 um 34 Prozent gesenkt werden. Fortschritte gibt es auch in der Industrie, wo eine Reduktion von 14 Prozent erreicht wurde, vor allem dank eines effizienteren Umgangs mit Energie. Zudem sind energieintensive Industrien ins Ausland abgewandert.
Konstant sind die Emissionen aus dem Strassenverkehr. 2019 lag der Ausstoss ein Prozent über jenem von 1990. Beim Strassenverkehr werden die Motoren laufend effizienter. Das wird allerdings ausgeglichen, weil mehr Menschen und mehr Fahrzeuge unterwegs sind und schwere Autos weiterhin beliebt sind. Generell steigen die Flugemissionen jedes Jahr um 5 Prozent. Corona hat das fürs erste unterbunden. Die Flug-Entwicklung ist schwer abschätzbar.
Schliesslich bleibt noch der Konsum – die dadurch ausgelösten Emissionen steigen an. Mit den Emissionen, welche durch in die Schweiz importierte Güter produziert werden, ergibt sich ein Treibhausgas-Fussabdruck der Schweiz von 14 Tonnen-CO2-Äquivalent pro Kopf. Der weltweite Durchschnitt beträgt 6 Tonnen CO2-Äquivalent. Bei dieser Masseinheit wird zur Vergleichbarkeit die Emissionsmenge aller Gase in eine CO2-Menge umgerechnet.
Das Bafu hat im Bericht Klimawandel in der Schweiz 2020 solche Szenarien berechnet. Die Sommer werden trockener, Mitte des Jahrhunderts sind bis zu 25 Prozent weniger Niederschlag möglich. Die Verdunstung nimmt zu, die Böden werden trockener.
Mehr als die Durchschnittstemperaturen steigen die Höchsttemperaturen im Sommer, diese könnten 2050 zwischen 2 und 5.5 Grad höher liegen. Hitzewellen werden häufiger und extremer, vor allem in städtischen Gebieten. Wenn es regnet, dann stärker und zwar in allen Jahreszeiten. Mitte Jahrhundert ist mit 10 bis 20 Prozent mehr Starkregen zu rechnen, die zu Überschwemmungen und Murgängen führen können.
Die Winter werden etwa 2 bis 3.5 Grad wärmer. Es gibt mehr Niederschlag, aber in Form von Regen. Die Nullgrad- und damit die Schneegrenze steigt von heute 850 auf 1250 bis 1500 Meter über Meer.
Es gibt Beispiele, welche die Folgen des Klimawandels jetzt schon zeigen. Eine internationale Studie unter Koordination der Universität Bern stellt diese Woche erstmals den tatsächlichen Beitrag des menschengemachten Klimawandels an hitzebedingten Todesfällen dar. Zwischen 1991 und 2018 waren demnach mehr als ein Drittel aller Todesfälle, bei denen Hitze eine Rolle spielte, auf die Klimaerwärmung zurückzuführen wie Daten aus 732 Städten in 43 Ländern zeigen.
Eine umfassende Reduktion würden den Klimawandel auch in der Schweiz wirksam eindämmen. Bis 2050 liesse sich nach den Klimaberechnungen die Hälfte der erwarteten Veränderungen vermeiden, bis Ende des Jahrhunderts zwei Drittel.
«Nein», sagt Reto Knutti. «Das CO2-Gesetz regelt nur die Ziele bis 2030, danach braucht es eine neue gesetzliche Grundlage.» In diesem Gesetz ist einiges noch nicht berücksichtigt. Der Finanzsektor ist nach Knutti noch kaum eingebunden. Fragezeichen gibt es bei den schwer vermeidbaren Emissionen, beim Flugverkehr, der Landwirtschaft und der Zementherstellung. Für das Pariser Ziel sind auch negative Emissionstechnologien notwendig. Also die Aufforstung, die CO2-Direktabscheidung aus der Umgebungsluft wie Climeworks oder das Potenzial der CO2-Speicherung in Böden.
Dem Klima ist es egal, wo man CO2 einspart. Da die Schweiz keine Kohle hat, kann in Ländern mit Kohle recht günstig eine Tonne Treibhausgas eingespart werden, wenn dort investiert wird. Günstiger als in der Schweiz. Der Klimatologe Knutti relativiert allerdings:
Weil im Pariser Abkommen zudem alle Länder auf Null Emissionen müssen, wird es die Auslandkompensation bald kaum mehr geben. Jedes Land muss das Ziel selbst erreichen.
Zudem wird die Auslandkompensation mit der Zeit teurer, weil die Kosten für die technischen Investitionen steigen. Diese Kompensationen entbinden zudem langfristig nicht davon, die eigene Energieinfrastruktur umzubauen. So zahlt man dann doppelt, zuerst für die Klimainvestition im Ausland, später für die eigene Heizung, die sowieso ausgewechselt werden muss. Wir das Geld im Inland investiert, profitiert die eigene Wirtschaft. Es gibt nur noch eine Handvoll Staaten die auf Auslandkompensationen setzen.
Kommt drauf an, wieviel man dafür in Franken und Rappen investieren will. Für eine Tonne CO2 entstehen 600 Franken Vermeidungskosten für die CO2-Abscheidung mit Climeworks. Bei synthetischen Treibstoffen, die mit erneuerbarer Energie produziert werden, müssen 1100 Franken für die Vermeidung einer Tonne CO2 gerechnet werden. Allerdings sind diese beiden Technologien im Moment nur marginal verfügbar. Um synthetische Treibstoffe in genügender Menge, zum Beispiel für den Flugverkehr, herzustellen braucht es noch sehr hohe Investitionen. Erst mit der Menge wird auch der Preis für die Negativ-Technologien sinken und marktreif.
Das hängt von der Entwicklung der Erderwärmung ab. Praktisch alle führenden Ökonomen kommen zum Schluss, dass es günstiger ist, in Klimamassnahmen zu investieren, als später für die Schäden zu bezahlen. Wirtschafter zerbrechen sich darüber schon seit Jahrzehnten den Kopf, wie die gesellschaftlichen Kosten von Emissionen zu beziffern sind. Die Schätzungen der Ökonomen gehen dabei weit auseinander und liegen zwischen 40 und 260 Franken pro eingesparte Tonne CO2-Äquivalent.
1990 ist historisch das Basisjahr für die Berechnung, weil mit dem Kyoto-Protokoll die Klimaverhandlungen gestartet worden sind. (aargauerzeitung.ch)