Welche Familiennamen waren in welchen Gemeinden schon vor dem Jahr 1800 heimatberechtigt? Wir haben ein interaktives Tool gebaut, mit dem du (vielleicht) so einiges über die Herkunft deines Namens lernen kannst:
Aber warum tragen wir eigentlich Nachnamen? Wie haben wir sie erhalten? Warum heissen wir Manser, Reich, Helfenberger, Schmutz, Kummer, Scherz, Zweifel, Böllenrücher oder Tschumper? Wir haben bei Namensexperte Matthias Friedli vom «Schweizerischen Idiotikon» nachgefragt.
Matthias Friedli, gibt es so etwas wie den ersten Schweizer Nachnamen?
Matthias Friedli: Nein, man weiss nicht, welcher Name der erste war. Aber man kann sagen, wie die Namen vergeben wurden.
Wie?
Es gibt fünf Motive: Beruf, Herkunft, Wohnstätte, Rufname, Übername.
Und welches Motiv war das erste?
Das kann man nicht sagen. Klar ist: Bis ins Mittelalter reichte der Rufname (Vorname). Aber mit der Zeit wurde ein weiterer Name nötig. Es gab grössere Städte, mehr Leute wohnten an einem Ort, man musste unterscheiden können.
Wie die Motive Beruf, Herkunft oder Wohnstätte entstanden, ist ja klar. Was ist der Unterschied zwischen Nachnamen, bei welchen der Ruf- oder Übername Paten standen?
Beim Rufnamen wurde dieser verwendet (z.B. Gabriel, Frank etc.) oder eine Kurzform davon wie Fitze zu Vincenz oder Friedli als Kosename von Friedrich. Und dann gab es noch die Übernamen, die nichts mit dem Vornamen zu tun hatten.
Zum Beispiel?
Der Name Schwarz konnte vergeben werden, wenn jemand auffällig schwarze Locken hatte, oder Klein/Gross, wenn jemand auffällig klein oder gross war. Neben den körperlichen gab es auch charakterliche Eigenschaften oder solche, die sich aus einem Ereignis in der jeweiligen Lebensgeschichte herleiten. Zum Beispiel «Freitag» für jemanden, der an diesem Wochentag auf die Welt kam oder an diesem Tag eine Dienstleistung, Abgabe oder Ähnliches zu erbringen hatte.
Und dann musste die Person den Nachnamen irgendwann annehmen?
Dieses «Zweinamensystem» etablierte sich schon im 12. und 13. Jahrhundert. Da waren die Namen aber noch nicht fix, man spricht von sogenannten Beinamen. Wenn jetzt der Sohn von Schwarz extrem klein war, wurde dann vielleicht dieses Attribut zu seinem Beinamen.
Wann wurde das alles «offiziell»?
Im 16. Jahrhundert verfestigten sich die Namen. Mit der vermehrten Schriftlichkeit wurden sie wichtiger, beispielsweise, wenn festgehalten wurde, wem ein Haus gehört. Die Namen wurden dann auch auf Geschwister oder Nachfahren übertragen. Da war es natürlich gut möglich, dass die Tochter von Schwarz helle Haare hatte, aber der Name wurde dann trotzdem übernommen. Ab jetzt spricht man vom «Familiennamen» und nicht mehr vom «Beinamen».
Sie sagten ja schon, einen ersten Nachnamen kann man nicht mehr nachvollziehen. Aber vielleicht einen letzten Schweizer Nachnamen?
1876 wurden Zivilstandsregister eingeführt, ab da waren Namen dann wirklich fixiert. Vorher entstanden verschiedene Varianten von Namen, wie beispielsweise Meier, Maier, Meyer, Mayer. Das war danach nicht mehr möglich. Änderungen wurden schwierig. Man kann trotzdem sagen, dass ab dem 17. Jahrhundert das «Namensinventar» mehr oder weniger fix war.
Weitere neue Schweizer Namen kommen ja durch Einbürgerungen laufend dazu. Gibt es sonst noch eine Möglichkeit?
Es gibt die Möglichkeit, seinen Nachnamen abzuändern. Die Hürde dafür ist aber hoch. Ein berühmtes Beispiel ist Kliby (der Bauchredner Urs Kliby und Caroline). Hier wurde ein Künstlername zum Familienname. Allerdings hiess Kliby ursprünglich Kliebenschädel. Dies war früher der Schädelspalter (Motiv: Beruf), heute natürlich ein unrühmlicher Name.
Gibt's Nachnamen, die verschwunden sind?
Ja klar, wenn keine (männlichen) Nachkommen da waren, verschwand oder verschwindet ein Name heute noch. Beispiele von früher sind da von Beroldingen (aus Uri), Jekelmann, Kinimann oder Silberrad (aus Fribourg) oder Anthonien aus dem Wallis. Meist sind es aber Varianten, die aussterben. Jeckelmann existiert beispielsweise noch.
Schauen wir noch auf einige ausgewählte Namen. Weit verbreitet sind beispielsweise Müller und Meier. Bei Müller ist die Herkunft logisch. Woher stammt Meier?
Da lieferte auch der Beruf das Motiv. Ein Meier ist mittelhochdeutsch ein Gutsverwalter oder auch ein Grossbauer. Meier stammt von lateinisch «maior» für «grösser» bzw. «maior domus» für «Hausmeier, Gutsverwalter».
vor 1800
1801 - 1900
1901 - 1962
Mein Nachname (Fehr) stammt vom Fährmann ab. Aber wenn ich auf der Karte des Familienbuchs vor 1800 schaue, hat es doch einige Gemeinden darunter, wo die Fehrs zwar heimatberechtigt sind, aber nicht wirklich an einem grossen Gewässer liegen. Gibt's noch eine zweite Abstammung?
Nein, das ist schon so mit dem Fährmann. Die Registrierung erfolgte aber später. Da waren dann einige Fehrs schon vom Fluss oder See weggezogen und fanden eine andere Arbeit.
Unser watson-Walliser heisst Minnig. Da gibt es zwei Regionen, wo der Name früh heimatberechtigt war. Einmal im Goms, einmal im Simmental. Ist das auch wegen der erst späteren Registrierung?
Das kann ich so nicht nachvollziehen, da müsste ich weitersuchen. Aber grundsätzlich geht man davon aus, dass Minnig entweder vom Rufnamen Dominikus oder aus dem Spitznamen Minikus entstand. Das kann so an beiden Orten unabhängig passiert sein.
Mein Chef heisst Reich. Ich nehme an, da ist die Herkunft eindeutig?
Das ist ein typischer St.Galler Name. Man geht davon aus, dass er aus dem Motiv Übername entstand. Weil jemand mal finanziell reich war. Es kann aber auch im Sinn von mächtig oder vornehm gewesen sein.
Das leuchtet ein. Aber wieso ist das ein typischer St.Galler Name? Reiche Leute gab es ja überall?
Das ist zufällig. In St.Gallen setzte sich das durch, in anderen Regionen nicht.
Unsere Chefredaktorin heisst Sommerhalder. Was steckt da dahinter?
Das ist ein Name, der aus der Wohnstätte entstammt. In der Deutschschweiz gibt es viele Orte, die nach Süden
ausgerichtet sind. Die ersten Sommerhalders haben an so einem Fleck gewohnt.
Dann hätten wir noch einen Manser in der Chefredaktion.
Ein typischer Appenzeller Name. Es gibt zwei Erklärungen. Zum einen gibt es die Alp Mans in der Gemeinde Schwende. Da wohnten die Vorfahren womöglich. Es könnte aber auch aus dem Beruf entstanden sein: «Manse(n)» bezeichnet in einigen (alten) Dialekten
ein Rind vor der ersten Trächtigkeit. Die Mansers könnten also auch Rinderzüchter gewesen sein. Weil der Name aber wiederum nur in Appenzell gebräuchlich wurde, deutet mehr auf die Wohnstätte.
Damit wir unsere Chefredaktion komplett haben (Meier wurde ja schon oben beantwortet): Woher stammt Helfenberger?
Da gibt es in Gossau SG einen Weiler, der Helfenberg heisst. Es hat da übrigens auch eine Ruine. Die Helfenbergers lebten wahrscheinlich da.
Das sind ja jetzt alles positive oder neutral konnotierte Namen. Gibt es auch solche, die aus «Spottnamen» entstanden?
Ja, klar. Nievergelt war wohl ein notorisch säumiger Schuldner, einer der nie vergelten (zurückbezahlen) konnte. Oder Tschumper charakterisierte eine Person, die durch ihren schwerfälligen, wohl langsamen und wenig vorsichtigen Gang auffiel. Und Böllenrücher, ein Name, der im Kanton Luzern heimisch ist, dürfte vom Wort «Bölle» für Zwiebel stammen. Ob die Vorfahren aber nach Zwiebeln rochen, damit handelten oder gerne Zwiebeln assen, lässt sich nicht sagen.
Wie steht es mit Angst? War das einfach eine ängstliche Person?
Ja, das war wohl so. Abstrakte Begriffe konnten problemlos Familiennamen bilden. Das zeigen Demuth, Kummer, Sorg, Scherz, Zorn oder Zweifel. Aber Achtung: Manchmal ist die Herkunft nicht so, wie man jetzt vielleicht denkt.
Zum Beispiel?
Schmutz. Das ist entweder ein Übername für jemanden, der positiv auffiel (mittelhochdeutsch «smuzen» für «schmunzeln») oder vielleicht auch für den Fetthändler (schweizerdeutsch «Schmutz» für ein tierisches Fett verschiedener Herkunft und Qualität).
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Können Sie über neue Namen stolpern, ohne dass Sie sich direkt zur Herkunft des Namens Gedanken machen?
Manchmal. Wenn ich aber auf einen speziellen Namen stosse, dann suche ich schon kurz.