Hahn oder Henne? Das ist die entscheidende Frage für Magnus Döbeli und seine Mitarbeitenden. 1,3 Millionen Legehennen-Küken schlüpfen jedes Jahr in seiner Brüterei in Schongau LU.
Vom Luzerner Seetal werden die Hennen in Ställe in der ganzen Schweiz geliefert. Die Männchen hingegen wurden bisher, weil sie keine Eier legen, vergast.
Jetzt ist damit Schluss. Nachdem das Parlament dem Schreddern lebender Küken 2020 einen Riegel geschoben hatte, hat die Branche vor einigen Jahren entschieden, auch das Vergasen der Tiere zu beenden. Stattdessen wird in der konventionellen Eierproduktion das Geschlecht der Bibeli neu schon im Ei bestimmt. Statt dass die Hähne nach dem Schlüpfen getötet werden, werden die Eier mit den männlichen Embryonen aussortiert, geschreddert und landen in der Biogasanlage.
Die Umstellung hat sich um ein Jahr verzögert. Seit wenigen Wochen nun ist die Maschine in der Schongauer Brüterei in Betrieb – ebenso wie in der zweiten konventionellen Brüterei der Schweiz, die sich im 25 Kilometer entfernten Schötz befindet.
Bei der Anlage handelt es sich um einen Magnetresonanztomografen (MRI), wie man ihn aus dem Spital kennt. Nur: Während ein Mensch gut und gern eine halbe Stunde in die Röhre muss, um Herz oder Hirn zu durchleuchten, dauert's bei einem Ei gerade einmal eine Sekunde, um Henne von Hahn zu unterscheiden. Dies geschieht mithilfe von künstlicher Intelligenz.
«Wir haben 48 Stunden Zeit, um die Eier durchs MRI zu schleusen», sagt Döbelis Sohn Andreas, der ebenfalls im Betrieb arbeitet. Bis zu 65'000 Eier müssen in dieser Zeitspanne durchleuchtet werden, zweimal pro Woche. Die Zeit drängt, weil die Geschlechtserkennung vor dem 13. Bruttag erfolgen muss – dem Zeitpunkt, ab dem Untersuchungen zufolge der Embryo Schmerz empfinden kann. Doch erst ab dem elften Tag lässt sich das Geschlecht überhaupt einigermassen zuverlässig bestimmen.
Bisher war ein Kükensortierer fürs Sexen zuständig, wie die Geschlechtsbestimmung der Küken auch genannt wird. Er stammt aus Südkorea, wo er bereits als Jugendlicher in eine «Sortierschule» geschickt worden sei, erklärt Andreas Döbeli. «Er kann das Geschlecht von 4000 Küken pro Stunde erkennen, während ich vielleicht 500 schaffe.»
Für den südkoreanischen Sexer bedeutet die Umstellung, dass er nun etwas weniger Arbeit hat. Er kümmert sich jetzt um die Nachkontrolle, nachdem die Maschine die Hähne aussortiert hat. «Zudem muss er jetzt auch Kisten waschen», sagt Andreas Döbeli. Bei gleichem Lohn, betont er. Der Kükensortierer bleibt wichtig, weil man gewappnet sein muss, sollte die Technik mal aussteigen.
Gleich neben dem Betrieb, in dem konventionell gehaltene Küken schlüpfen, liegt eine weitere Brüterei der Döbelis für Bio-Legehennen und -Mastküken. 300'000 Hennen schälen sich dort pro Jahr aus dem Ei – deutlich weniger also als im konventionellen Betrieb nebenan. Der Briefkasten ist derselbe, die Betriebe aber sind strikt getrennt. Jedes vierte Ei, das in der Schweiz gelegt und verkauft wird, ist bio.
Auch die Biobranche befindet sich im Umbruch. Sie hat sich allerdings für eine andere Lösung entschieden als die konventionell produzierenden Betriebe – aus ethischen Gründen. «Nicht der Zeitpunkt des Tötens ist entscheidend, sondern der Zweck», sagt David Herrmann, Sprecher des Verbands Bio Suisse. «Huhn, Ei und Hahn gehören zusammen. Aus Sicht von Bio Suisse ist es nur gerecht, dass man auch das Leben des Hahnes würdigt.»
Darum werden auch männliche Küken neu am Leben gelassen und für die Fleischproduktion eingesetzt. Über die Hälfte der Hähne ging bereits in die Aufzucht, sagt Herrmann. Bis Ende Jahr, so das Versprechen der Branche, wird kein Küken mehr getötet. Und auch kein Hühnerembryo.
Die meisten Biobetriebe setzen auf die sogenannte Bruderhahn-Aufzucht. Die Brüder der Legehennen geben weniger Fleisch her als Mastpoulets, zudem schmeckt das Fleisch etwas anders. Daneben werden spezielle Zweinutzungshühner gezüchtet, wo sich die Güggel etwas besser für die Fleischproduktion eignen und die Hennen trotzdem viele Eier legen.
Den Preis dafür zahlen die Konsumentinnen und Konsumenten. Konventionelle Eier sind auf Anfang Jahr um durchschnittlich 1 bis 2 Rappen teurer geworden. «Hochgerechnet auf den Jahreskonsum entsprechen die Mehrkosten einem Kafi pro Jahr», sagt Daniel Würgler, Sprecher der Eierproduzenten-Vereinigung Gallosuisse. Ein verkraftbarer Betrag, findet er. Bei Bioeiern fällt der Preisaufschlag mit rund 5 Rappen pro Ei etwas höher aus.
Laut Bio Suisse ist in den vergangenen Jahren in der Zucht von Hühnerrassen, die sich für die Eier- und Fleischproduktion eignen, viel gegangen. Auch die Geschlechtsbestimmung im Ei hat grosse Fortschritte gemacht – und dürfte sich weiterentwickeln. Die Maschinen, die in den konventionellen Brütereien die Eier scannen, sind darum geleast statt gekauft. Wie viel sie kosten, sagt Döbeli nicht.
«Bei der aktuellen Lösung handelt es sich um eine Brückentechnologie, nicht um die perfekte Lösung», sagt Daniel Würgler, Präsident von Gallosuisse. «Nach einem Jahr werden wir prüfen, ob es allenfalls Anpassungen braucht.» Auch beim Preis.
Nebst dem Ausstieg aus dem Kükentöten versucht die Branche auch auf andere Art und Weise, die Eierproduktion zumindest ein bisschen nachhaltiger zu machen. So würden Legehennen heute – egal, ob im konventionellen oder im Biobereich – länger gehalten als früher, sagt Würgler. Während viele Hennen früher nicht älter als ein Jahr wurden, leben sie heute zwei bis zweieinhalb Jahre.
Etwa 320 Eier legt eine Henne in dieser Zeit. Dann wird auch sie geschlachtet und landet meist in der Biogasanlage. Dabei gäbe es eine nachhaltigere Alternative: der Suppentopf. Würde jede Familie einmal im Jahr ein Suppenhuhn kochen, sagt Würgler, müsste keine Legehenne mehr entsorgt werden.