40 Jahre ist es nun schon her, dass Jakob Künzle anfing mit der Imkerei. Lange waren die Bienen nur ein Hobby. Dann hat er sie zu seinem Beruf gemacht. Künzle hat über die Jahre viel erlebt. Er sagt, als Imker sei man sich daran gewöhnt, dass es auf und ab geht. Dass auf ein gutes Jahr ein schlechtes folgt. Aber dass eine Saison fast ganz ausfällt, das hat es noch nie gegeben. Bis jetzt. Bis 2021.
Wenn Künzle von der Bienensaison 2021 berichtet, dann nimmt er einmal das Wort «himmeltraurig» in den Mund und einmal eines, das man nicht drucken kann. Irgendwann landet er dann bei «Jahrhunderttief». Ein Grossteil seiner 250 Völker lieferte diesen Sommer keinen Honig. Insbesondere gilt das für die Bienen, die Künzle im Toggenburg hält.
In der Schweiz gibt es rund 18'000 Imker. Jakob Künzle ist einer der wenigen Berufsimker unter ihnen. Doch 2021 war für die allermeisten schlecht, ganz egal, ob die Imkerei ihr Beruf ist oder ein zeitintensives Hobby. Nur in wenigen Regionen – vor allem im Tessin und in gewissen Bergregionen – verlief die Saison einigermassen normal. Für alle anderen war es ein «historisch schlechtes Jahr», wie es Mathias Götti Limacher, der Präsident von Apisuisse, dem Verband der Schweizer Imker, formuliert.
Das Ausmass der Honig-Krise lässt sich an einer Zahl festmachen: 7.2 Kilo. So viel Honig lieferte ein Bienenvolk in der Schweiz dieses Jahr im Durchschnitt. Das zeigen unveröffentlichte Zahlen des Imkerverbands.
7.2 Kilo, das ist zwar besser als nichts. Aber es ist viel weniger als sonst – und so wenig wie noch nie, seit Apisuisse im Jahr 2009 begonnen hat, jährlich mit einer Umfrage die Zahlen zu erheben. Vermutlich sogar das schlechteste Jahr überhaupt. Verbandspräsident Götti Limacher jedenfalls hat mit vielen Imkern gesprochen, die davon berichteten, dass sie noch nie eine Honig-Saison wie diese erlebt haben.
7.2 Kilo, das ist nur ein Viertel des Ertrags von 2020. Und 65 Prozent weniger als im langjährigen Durchschnitt. Der beträgt etwas mehr als 20 Kilo. In manchen Gegenden der Deutschschweiz setzte es gar ein Nullerjahr ab. So wie bei Jakob Künzles Bienen im Toggenburg.
Es gibt in der Schweizer Bienen-Saison zwei wichtige Termine: Der eine liegt im Frühling, wenn alles aufblüht, Löwenzahn, Obstbäume, der Raps. Dann fliegen die Bienen aus und versorgen sich mit Nektar. Der andere folgt im Hochsommer, wenn es viele Blattläuse gibt, die Honigtau ausscheiden. Den mögen die Bienen. Auch dann fliegen sie wieder aus. Eigentlich. Doch heuer fielen beiden Termine «ins Wasser», wie Mathias Götti Limacher es formuliert.
Der Regen, die Kälte: Das mögen die Bienen nicht. Sie fliegen dann nicht aus, und wenn man sich vorstellt, dass ein Regentropfen die 0.1 Gramm schweren Tieren zu Boden schleudern kann, weiss man auch warum. Und der Frühling und der Sommer 2021, das war vielerorts eben vor allem: Regen und Kälte zur falschen Zeit. Eine Art perfekter Sturm für Bienen und Imkerinnen.
Jakob Künzle sagt, als Berufsimker habe man nicht einen Job. Sondern etwa 50. Man sei Meteorologe und Putzfrau, Landwirt und Marketingverantwortlicher, Pharmazeutiker und Veterinär. Diesen Sommer war der 52-Jährige plötzlich auch noch: Nothelfer. Mitte Juni musste Künzle für seine Bienen im Toggenburg eine Rettungsaktion starten, bei der es um nichts weniger als das Leben seiner Tiere ging.
Der Honig, den wir uns beim Frühstück auf den Zopf streichen, stammt aus der Vorratskammer, den die Bienen in ihrem Stock anlegen. Dort landet, was die Tiere nicht für den Eigenverbrauch benötigen. Der Imker holt die Überschüsse aus dem Bienenstock und verarbeitet sie. Doch 2021 fanden viele von ihnen keine solchen Überschüsse. Denn ihren Bienen gelang es nicht einmal, sich selbst zu ernähren.
Deshalb waren sie auf die Hilfe der Imker angewiesen. Jakob Künzle musste seine Tiere ab dem 15. Juni mit einer Zuckerlösung futtern. «Das habe ich in all den Jahren noch nie gemacht», sagt er. Mathias Götti Limacher, der Imkerverbandspräsident, hat solche Geschichten aus verschiedenen Kantonen gehört. Er sagt, es sei ein anstrengender Sommer gewesen für die Imker, sie hätten mehr Arbeit gehabt – und sich auch viele Sorgen machen müssen um ihre Tiere.
Imker Künzle hält nicht nur im Toggenburg Bienenvölker, sondern auch in Graubünden und im Tessin. Dort hatten die Völker mehr «zu beissen», wie er sagt. Immerhin bei diesen Völkern konnte Künzle etwas Honig holen. Trotzdem muss er schon jetzt auf seine Reserven aus anderen Jahren zurückgreifen, um die Kunden zu bedienen. Und er rechnet damit, dass seine Bestände bis Weihnachten verkauft sind.
Droht der Schweiz nun, als Zugabe zum nasskalten Sommer 2021, auch noch ein Honig-Notstand? Bei Apisuisse befürchtet man, dass es so weit kommt. «Der Konsument bekommt das schon zu spüren, ich gehe davon aus, dass im Lauf des Winters der Schweizer Honig gegessen ist», sagt Mathias Götti Limacher.
Ungefähr ein Drittel des hierzulande verbrauchten Honigs stammt aus dem Inland. Auch auf die Preise könnte sich die Honig-Knappheit laut Götti Limacher auswirken.
Über den Sommer 2021, das steht jetzt schon fest, werden die Schweizer Bienenzüchter noch lange sprechen. Sie vertrauen nun auf ihre alte Weisheit, dass auf ein schlechtes Honig-Jahr ein gutes folgt. Doch sie haben auch ein paar Ideen, was man tun könnte, damit sich ein Sommer wie der letzte nicht wiederholt.
«Wir müssen den Bienen ein breiteres Blütenangebot zur Verfügung stellen», sagt Götti Limacher. Vor allem soll dieses sich nicht mehr nur auf ein paar wenige Wochen – etwas das grosse Aufblühen im Frühling – konzentrieren. «So können wir das Klumpenrisiko reduzieren – und schlechte Jahre besser abfangen», sagt er.
In die Pflicht nehmen die Imker insbesondere die Landwirte, von denen sie mehr Blühflächen einfordern und damit mehr Biodiversität - und weniger intensive Landwirtschaft. Davon profitierten letztlich auch die Bauern, sagt Mathias Götti Limacher und verweist auf die wichtige Funktion der Bienen als Bestäuber. Laut Zahlen von Agroscope erzielt ihre Bestäubungsleistung einen direkten ökonomischen Wert von jährlich rund 350 Millionen Franken, wobei hier auch die Wildbienen eingerechnet sind. Letztlich kann aber jeder etwas für die Bienen tun. «Jede Blüte zählt», sagt Götti Limacher. Dazu gehöre auch die im privaten Garten.
Der schlechte Sommer ist längst vorbei. Die Bienenvölker haben sich in ihre Stöcke zurückgezogen und fliegen nur noch an den wärmsten Tagen aus. Von den Imkern wurden sie schon vor Wochen noch einmal mit Zuckerwasser angefüttert, diesmal für den Winter.
Jetzt ist für die Imker die Zeit des Ruhens angebrochen. Erst im nächsten Frühling bekommen sie ihre Bienen wieder zu Gesicht. Es kann gut sein, dass sich dann die Spätfolgen des vergangenen Sommers zeigen werden, weil er manches Volk so geschwächt hat, dass es den Winter nicht überstanden hat.
Auch wenn ich die neuen EFHs hier in der ländlichen Umgebung anschaue, scheint das Thema Biodiversität komplett ignoriert zu werden. Traurig aber wahr, dass in den Städten heute die Biodiversität grösser ist als auf dem Land.