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Zürich

Elternmord in Zollikon: Mit 60 Messertstichen getötet

17 Messerstiche für den Vater, 40 für die Mutter: Das Ein-Viertel-Leben des Andreas K.

Am Bezirksgericht Meilen muss sich ein 32-Jähriger für ein grausames Verbrechen verantworten: Mit fast 60 Messerstichen tötete er seinen Vater und seine Mutter. Eine Erklärung für die Tat fällt schwer. Die Biographie des Angeklagten zeichnet das Bild eines Menschen, der für kaum etwas Interesse aufbringen kann. Nicht einmal für sein eigenes Leben.
23.06.2016, 10:2423.06.2016, 13:00
William Stern
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Von draussen ist das Klicken von Handschellen zu hören. Andreas K., des zweifachen Mordes an seinen Eltern, Evangelos K. und Luigina K. angeklagt, wird in den Verhandlungssaal des Bezirksgerichts Meilen geführt. Vier Polizisten der Kapo Zürich begleiten ihn. Wofür sie da sind, ist nicht ganz klar. Der Mann, der neben seinem Pflichtverteidiger Platz nimmt, sieht nicht aus, wie jemand, der überhaupt noch die Kraft hat, einen Kugelschreiber zu heben, geschweige denn ein Messer. Zum Beispiel ein Küchenmesser Conran, schwarzer Griff, Klingenlänge ca. 20 Zentimeter, Klinge spitz zulaufend, beidseitig geschliffen.

Mit dem Conran und einem weiteren Küchenmesser hat Andreas K. 40 oder mehr Mal auf seine Mutter, Luigina K. eingestochen. Vier Klingenteile blieben in ihrem Schädel stecken. Zu diesem Zeitpunkt, am 11. Oktober 2014, irgendwann am frühen Nachmittag, war Evangelos K., sein Vater, wohl schon tot. Todesursache: Zentrale Atemlähmung. 17 Mal hat Andreas K. auf ihn eingestochen.

Die Zunge ist gelähmt von Medikamenten. Seroquel, Sequase und Valium stehen auf dem täglichen Speisezettel.

«Ja», tönt es kaum hörbar aus dem Mund des Angeklagten auf die Frage der Gerichtsvorsitzenden, ob er es sei, um den es heute hier gehe. Ja, Andreas K., das sei er. Nein, es gehe ihm nicht so gut. Ja, er treibe täglich Sport in der psychiatrischen Klinik, nur wenn beim Volleyball der Ball tief kommt, dann kann er ihn manchmal nicht nehmen. Die Knie. Räuspern. Die Zunge ist gelähmt von Medikamenten – Seroquel, Sequase und Valium stehen auf dem täglichen Speisezettel von Andreas K. Dazu Schmerzmittel und Psychopax-Tropfen in Reserve. «Brauchen Sie die Reserve?» – «Ja, eigentlich immer.»

Sein Nuscheln und die Gewohnheit, Wörter zu gebrauchen, deren Sinn er vielleicht selber nicht ganz versteht, machen es schwierig, ihm zu folgen. Dann wieder entfahren ihm Sätze von verblüffender Inhaltslosigkeit. «Ich bin traurig, dass das alles so ist, wie es ist.»

Bezirksgericht Meilen, Mittwochnachmittag: Hier wird der Prozess gegen Andreas K. verhandelt. 
Bezirksgericht Meilen, Mittwochnachmittag: Hier wird der Prozess gegen Andreas K. verhandelt. Bild: watson

Den Blick auf den gebeizten Eichentisch gerichtet, die Gedanken weit weg von seinen Aussagen, vielleicht bei den Drogen, dem Cannabis und dem Alkohol, von dem er fast sein ganzes Leben lang abhängig war. Oder bei dem Moment, kurz bevor er seinem Vater das erste Mal in den linken oberen Brustkorb stach. Oder bei dem Moment, als alles schief gelaufen ist im Leben von Andreas K. Wobei das kaum genau festzustellen ist.

Ein «Herz aus Stein» habe sein Vater gehabt und «von Grund auf Böse» sei er gewesen. Die Mutter, die habe ihm bloss Leid getan.

Ein Wunschkind sei der Beschuldigte gewesen, sagt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. 1984 in Zürich auf die Welt gekommen. Evangelos K. so sagten Freunde, Bekannte und Verwandte aus, sei überglücklich gewesen bei der Geburt seines ersten und einzigen Sohnes.

Hochintelligent sei er gewesen, sagt Andreas K. über sich selber. Im Kindergarten sollte er eine Klasse überspringen, aber die anderen Eltern hätten sich dagegen ausgesprochen, bei der Kindergartenleitung interveniert. In der ersten Klasse konnte er schon lesen und schreiben. «Ich habe die Aufgaben für Drittklässler gemacht, war permanent unterfordert». Irgendwann in seiner Kindheit sei er dann schwierig geworden. Das war der Moment, als Evangelos K. nicht mehr so glücklich war über sein einstiges Wunschkind.

In Andreas K.s Erinnerung ist seine Kindheit eine Abfolge von Berührungen: Ohrfeige, Schläge mit dem Handrücken, Schläge auf den Kopf. Fast täglich. Weil er zum Beispiel auf den Möbeln herumgeturnt sei, oder wenn seine Tischmanieren zu wünschen übrig liessen. Fürsorgliche Gefühle habe er nie erhalten. «Der Zusammenhalt und die Liebe in der Familie haben gefehlt, nur am Finanziellen mangelte es nie.» Ein «Herz aus Stein» habe sein Vater gehabt und «von Grund auf Böse» sei er gewesen. Die Mutter, die habe ihm bloss Leid getan, dass sie mit so einem Mann zusammenleben musste.

Der Beginn des Entzugs war für den 12. Oktober geplant. Einen Tag nach der Tat.

Seit 2014 befindet sich Andreas K. im vorgezogenen Strafvollzug. Momentan im Hochsicherheitsbereich der Psychiatrischen Klinik Rheinau. Der Tagesablauf sieht ungefähr so aus: Am Morgen Sport, dann Arbeitsgruppen, «irgendwas mit Industriellem», dann Gruppentherapie. Setzen Sie sich mit der Tat auseinander? «Ja, natürlich. Man lernt auch seine Krankheit besser kennen.»

Über den Ablauf der Tat besteht grundsätzlich Einigkeit. Andreas K. bestreitet nicht, seine Eltern getötet zu haben. Bei der ersten Einvernahme nach der Tat legte er ein umfassendes Geständnis ab. Das, so die Hoffnung seines Verteidigers am Verhandlungstag, sollte strafmindernd wirken.

Nur bei Beweggrund, der zwischen Mord, vorsätzlicher Tötung, Totschlag und fahrlässiger Tötung unterscheidet, und damit darüber, ob Andreas K. in zwei, fünf oder 20 Jahren das Gefängnis als freier Mann verlässt, gehen die Meinungen auseinander.

Die Verteidigung plädiert auf Notwehr und Schuldunfähigkeit, oder zumindest stark verminderte Schuldfähigkeit. Andreas K. habe sich bedroht gefühlt, als sein Vater den Arm um seinen Hals legte. Todesangst habe sein Mandant verspürt. Die Relation zu Ort und Umgebung verloren. Er sei zurückkatapultiert worden in der Zeit: Einen Monat vor der Tat geriet er an der Zürcher Langstrasse in eine Auseinandersetzung mit einem Türsteher. Dieser würgte ihn so fest, dass er das Bewusstsein verlor. Andreas K. verspürte seither Schmerzen. Die Eltern nahmen es ihm nicht ab, von Phantomschmerzen sollen sie gesprochen, ihn einen Hypochonder genannt haben. Ihre Geduld mit dem Sohn war am Ende, einen letzten Versuch wollten sie wagen. Andreas K. sollte seine Abhängigkeit von Medikamenten, Drogen und Alkohol in einer Entzugsklinik bei Rimini behandeln lassen. Der Beginn war für den 12. Oktober geplant. Einen Tag nach der Tat.

Hätte man Gleichgültigkeit studieren können, Andreas K. hätte seinen Abschluss wohl längst in der Tasche.

Mit den Drogen fing es früh an. 12 oder 13 sei er gewesen, als er das erste Mal gekifft habe. «Mit Kollegen, im Freundeskreis.» Am Anfang ab und zu. Dann immer mehr. MDMA, Ecstasy, Alkohol, Kokain, Pilze, PCP: Die Drogengeschichte des Angeklagten liest sich wie die Anleitung zu einer ziemlich gelungenen Street-Parade. Bei Andreas K. fand sie jedoch nicht nur einmal im Jahr statt.

In der Schule habe es nicht so gepasst, sagt K. achselzuckend. Nach der Mittelstufe sollte er aufs Gymnasium. Der Vater, ein Unternehmer, «Self-Made-Man», in jungen Jahren aus Griechenland in die Schweiz gekommen, wollte, dass sein Sohn es einmal besser habe, als er selber. Die schulische Ausbildung sollte dafür die Grundlage bilden. Mindestens die Matur sollte es sein, um es dereinst «besser» zu haben. Intercommunity School, Internat Montana, Akad. Schliesslich klappte es im letzten Anlauf doch noch mit der Reife.

Was folgte, könnte als Lebenslauf-Warnschild in jedem Berufsberatungsbüro hängen. Hätte Andreas K. alles zu Ende geführt, was er begonnen hatte, dann wäre er ein Universalgenie: Architekturstudium in Mailand, Studium Medien und Kommunikation in Zürich, Vorkurs an der ZHdK, Chemiestudium an der ETH.

Es tönt nach einem, der ein extrem breit gefächertes Interessengebiet hat. Das klassische Generalisten-Dilemma. Von allem ein bisschen zu wollen, aber für nichts wirklich Leidenschaft aufbringen können. Andreas K. sagt: «Chemie habe ich studiert, weil ich in der Schule gut darin war.» Es tönt nicht nach einem Bekenntnis zum Fach. Die Noten waren dann ungenügend, wie jedes Mal, wenn er eine Prüfung abgelegt hatte. Meistens aber brach er das Studium vor den Klausuren ab. Ein Viertel studiert, drei Viertel im Ausgang. Hätte man Gleichgültigkeit studieren können, Andreas K. hätte seinen Abschluss wohl längst in der Tasche.

Einmal ist Andreas K. von einem Trip nach Amsterdam mit dem Taxi zurückgefahren. 2800 Franken, bezahlt nach der Ankunft. Von der Mutter.

«Hatten Sie nie den Ehrgeiz, auf eigenen Füssen zu stehen?» «Doch, aber ich war zu wenig konsequent, zeigte zu wenig Einsatz.» Wozu auch? Wozu das Lernen, der Fleiss, wozu sich im Leben Mühe geben, wozu sich auf Herausforderungen einlassen und an ihnen wachsen oder sie als Vorbereitung für die nächste Hürde nutzen? Wozu, wenn man bis 30 von den Eltern mit mehreren Tausend Franken pro Monat unterstützt wird, eine Wohnung zur Verfügung gestellt, einen Mercedes geschenkt bekommt, zu Schrott fährt und dann das Auto der Mutter benutzen kann? Die Staatsanwältin spricht von einem «parasitären Lebensstil».

Einmal ist Andreas K. von einem Trip nach Amsterdam mit dem Taxi zurückgefahren. 2800 Franken, bezahlt nach der Ankunft in der elterlichen Wohnung in Zollikon. Von der Mutter. Andreas K. hatte sich im Kiffer-Mekka zugedröhnt, dann war ihm der Reisepass geklaut worden. Wieso er nicht das Flugzeug genommen habe? Oder den Zug? Er sei zu gestresst gewesen, zu sehr durch den Wind. Nur ins Taxi und ab nach Hause, das kein Zuhause war.

Andreas K.s Geschichte ist die Geschichte eines Menschen, der nichts mit seinem Leben anzufangen weiss. Dessen Leben zwischen den Fingern zerrinnt, so wie das weisse Pulver, das er auf Kreditkarten präparierte. Es ist auch eine Geschichte des Scheiterns, immer und immer wieder. In der Schule, auf der Arbeit, im Studium. Im Verhältnis zu seinen Eltern. Und mit jedem mal Scheitern scheint das Interesse an der eigenen Existenz ein bisschen mehr zu schwinden. Falls es für das Leben von Andreas K. eine Note geben würde, er würde auch ein «Ungenügend» erhalten – oder ein «Nicht-anwesend».

«Mach etwas aus deinem Leben, anstatt immer nur zu kiffen und zu onanieren»

Vielleicht ist es bezeichnend, dass K. es nicht einmal geschafft hat, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen: Nach der Tat, als seine Eltern in einer Blutlache am Boden lagen und er realisierte, was er getan hatte, wollte er sich die Pulsadern aufschneiden, so K. Aber das Messer war zu wenig scharf. Dann wollte er sich die Halsschlagader aufschlitzen. Auch das klappte nicht. Dann wollte er sich vor einen Zug werfen und damit dem Wunsch seiner Mutter nachkommen. Sie hatte ihn angeblich zwei Wochen zuvor dazu aufgefordert: Wirf dich doch vor den Zug! «Aber auch dazu fehlte mir der Mut.»

So ging er schliesslich ins Universitätsspital und liess seine Wunden behandeln. Besonders tief waren sie nicht, hält die Staatsanwältin fest. Für sie ist klar: Der Beschuldigte wollte sich gar nie umbringen. Reine Schutzbehauptungen, um seine Strafe zu mildern.

Einmal sagt Andreas K.: «Es gab eine Zeit, da ist meine Seele aus meinem Körper gewichen.»

Später sei sie dann wieder zurückgekommen.

Einmal hat Evangelos K. seinen Sohn dazu aufgefordert, «etwas aus seinem Leben zu machen und nicht nur zu kiffen und zu onanieren». Später hat Andreas K. seinem Vater ein Messer auf einem Kissen präsentiert und ihn aufgefordert, sich umzubringen. Ansonsten würde er, Andreas, es machen.

«Ich hoffe, dass es sich zum Guten wendet. Dass es gut und schön ist für alle.»

Der Anwalt von Andreas K. sagt, die Tatsache, dass der Angeklagte an einer Schizophrenie und einer Cannabis-Abhängigkeit leidet, sei weder in der Anklageschrift noch im staatsanwaltschaftlichen Gutachten genug gewürdigt. Dabei habe schon ein Gutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) im August 2014, also zwei Monate vor der Tat, klare Anzeichen für eine schwere Gefährdung und ein hohes Risiko für Eigen- und Fremdgefährdung geliefert. Der Beschuldigte war damals für eine stationäre Therapie in der Klinik. «In geradezu unheimlich akkurater Weise» sei damals die Tat angekündigt worden.

«Wie sehen Sie ihre Zukunftsperspektive?», fragt die Gerichtsvorsitzende an einem Punkt: «Ich hoffe, dass es sich zum Guten wendet. Dass es gut und schön ist für alle.»

Durch die weissen Gardinen scheint die Sonne, die Luft im lichtdurchfluteten Raum steht. Es ist Ende Juni und der erste Hitzetag des Jahres ist endlich Tatsache. Die Polizisten im Raum gähnen während des zweistündigen Plädoyers des Verteidigers. Andreas K., der kleine Mann, kaum ein 1,70 Meter gross, weisses Baumwollhemd, Schuhe mit Klettverschluss, umgekehrte Tonsur auf dem Kopf, steht auf und rückt seinen Gürtel zurecht. Mit einer Engelsgeduld hält er dem Polizisten die Hände hin. Die Gedanken scheinen weit weg. Die Handschellen klicken.

Spätestens Mitte Juli weiss er, wo, wie und mit welchem Grad Freiheit er die nächsten paar Jahre verbringen wird. Man fragt sich, ob es ihn gross kümmern wird.

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14 Kommentare
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buehler11
23.06.2016 10:43registriert November 2014
Ein sehr trauriger, aber gut recherchierter Bericht.
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Globalteamrider
23.06.2016 11:37registriert Februar 2016
Ohne Liebe und Zuneigung ist das Leben so unglaublich sinnlos. Geld kann das nicht ersetzen. A K scheint wie ein Toter unter den L(i)ebenden.
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Qwertz
23.06.2016 11:06registriert September 2014
Der erinnert mich irgendwie an Meursault aus Albert Camus' "L' Etranger" 😔
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